Ein Zug mit Flüchtlingen aus der Ukraine trifft am 5. März 2022 am Bahnhof in Rosenheim ein. Eine Studie zeigt, dass die aus der Ukraine geflohenen Menschen in den ersten Kriegswochen 2022 viele unterschiedliche Gründe und Ziele hatten.
Ein Zug mit Flüchtlingen aus der Ukraine trifft am 5. März 2022 am Bahnhof in Rosenheim ein. Eine Studie zeigt, dass die aus der Ukraine geflohenen Menschen in den ersten Kriegswochen 2022 viele unterschiedliche Gründe und Ziele hatten.
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Eine Studie zeigt, dass die aus der Ukraine geflohenen Menschen in den ersten Kriegswochen 2022 viele unterschiedliche Gründe und Ziele hatten.
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Eine Studie zeigt, dass die aus der Ukraine geflohenen Menschen in den ersten Kriegswochen 2022 viele unterschiedliche Gründe und Ziele hatten.

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Studie zu Fluchtgründen aus der Ukraine: Zwischen Panik und Plan

Studie zu Fluchtgründen aus der Ukraine: Zwischen Panik und Plan

Nach Russlands Überfall verließen in den ersten Kriegswochen 2022 über vier Millionen Menschen die Ukraine. Wen mussten sie auf ihrer Flucht zurücklassen? Wohin sind sie geflohen und warum? Eine Studie hat all diese Fluchtentscheidungen untersucht.

Über dieses Thema berichtet: Bayern 2 Nah dran am .

Ielyzaveta Shcherbii ist 19 Jahre alt und geht nördlich von München zur Schule. Nur wenige Wochen nach dem Überfall Russlands auf die Ukraine ist sie im März 2022 mit ihrer Mutter und ihrer Schwester aus Kiew geflohen. "Meine Mutter hat entschieden, dass wir ins Ausland fliehen, weil es viel sicherer ist. Und in Deutschland hatten wir auch Freunde, die uns helfen konnten", erzählt sie. Für die Familie war es eine schwierige Entscheidung, denn der Vater musste in Kiew zurückbleiben.

Gründe für Flucht aus der Ukraine

Die Soziologin Prof. Céline Teney von der Freien Universität Berlin hat für eine Studie (externer Link) mehr als 250 Ukrainerinnen und Ukrainer in Berlin, Warschau und Budapest zu ihren Entscheidungen vor und während ihrer Flucht befragt. Und dazu, wie machtlos oder handlungsfähig sie sich dabei gefühlt haben. Sie unterscheidet verschiedene sogenannte Push-Faktoren – also Umstände, die dazu führen, dass man sich entscheidet, sein Land zu verlassen.

Angst vor Tod und Verletzung, Sorgen um Kinder

Ielyzavetas Mutter zum Beispiel machte sich Gedanken um die Sicherheit ihrer Kinder und deren Ausbildung in einem Land, das im Krieg ist. Ganz anders waren die Beweggründe der Menschen im Bombenhagel in der Ostukraine.

"Da gibt es sehr große Unterschiede, wie sie geflohen sind, je nachdem, ob sie wirklich um ihr Leben geflohen sind oder ob sie ein bisschen mehr Zeit hatten, um nachzudenken. Und das hat auch, glaube ich, einen sehr großen Einfluss darauf, wie sie dann ankommen und wie bereit sie sind, sich hier anzupassen", fasst Céline Teney ihre Ergebnisse zusammen.

EU-Schutz für ukrainische Kriegsflüchtlinge

In den Wochen nach Kriegsbeginn im Frühjahr 2022 flüchteten vor allem Frauen und Kinder. Die meisten rechneten damit, dass sie bald in die Ukraine zurückkehren könnten. Auch Ielyzaveta rechnete damit, dass ihre "Reise" nach wenigen Wochen enden würde.

Anders als Geflüchtete aus Ländern wie Syrien oder Afghanistan wurden die Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine nach der sogenannten "Massenzustrom-Richtlinie" der EU aufgenommen. Das heißt, sie konnten sich für ein EU-Land entscheiden, mussten keinen Asylantrag stellen und durften sofort arbeiten. Dieser besondere Schutz wurde immer wieder verlängert und gilt aktuell bis zum 4. März 2027.

Entscheidung für Zielländer Polen, Deutschland oder Ungarn

"Pull-Faktoren" der Migration sind Aspekte, die dazu führen, dass man sich zum Beispiel für ein bestimmtes Land entscheidet. Nach Polen flüchteten Menschen aus der Ukraine in den ersten Kriegswochen laut den Ergebnissen der Befragung von Prof. Teney vor allem, weil es dort traditionell eine große ukrainische Gemeinschaft von Arbeitsmigranten gibt und Polnisch für Ukrainisch-Sprechende gut zu lernen ist.

Fiel die Wahl auf Ungarn, wurde häufig die Nähe zur Ukraine genannt, und damit die Möglichkeit, schnell zurückkehren zu können. Für Deutschland entschieden sich Flüchtende laut Studie wegen des Zugangs zu Sprachkursen und Sozialleistungen und weil sie hofften, bessere Jobs zu finden, so die Studienautorin, aber: "Ein großes Problem in Deutschland ist es, wie langsam es geht, dass die Bildungsabschlüsse, die man im Ausland erworben hat, hier anerkannt werden. Das ist mit extrem viel Bürokratie verbunden und dauert Monate."

Ukrainische Geflüchtete auf dem Arbeitsmarkt

Rund die Hälfte der ukrainischen Kriegsflüchtlinge in Deutschland arbeitet mittlerweile, in Polen sind es weit über 70 Prozent. Céline Teney plädiert dafür, dass es auch in Deutschland nun schneller gehen müsse: "Druck auszuüben ist auch eine Art von Unterstützung. Ich glaube, wenn man ohne Ende Sprachkurse bezahlt, dann gibt es auch keinen Anreiz für die Geflüchteten, nach einem Job zu suchen." Im November haben sich Union und SPD darauf geeinigt, dass Geflüchtete, die seit April 2025 nach Deutschland eingereist sind, zukünftig statt Bürgergeld nur noch Asylbewerberleistungen bekommen.

Ankommen, aber die Flucht nicht vergessen

Für die Soziologin nicht überraschend zeigt die Studie, dass jüngere Menschen sich in der Regel schneller hier zurechtfinden als ältere. Ielyzaveta Shcherbii musste akzeptieren lernen, dass sie auf unbestimmte Zeit nicht in ihr Heimatland zurückkann. Aber jetzt steht sie kurz vor dem Fachabitur und will hier studieren.

Sie fühlt sich angekommen, die Fluchterfahrung wird aber immer Teil ihres Lebens bleiben: "Ich finde wichtig, dass man verstehen muss, dass jeder Ukrainer oder jede Ukrainerin eine eigene Geschichte hat, die sie hinter sich haben." Eines jedoch haben die meisten Geflüchteten gemeinsam: Bis in der Ukraine Frieden herrscht, werden die Lebenspläne von Ielyzaveta und von anderen Geflüchteten nie wirklich sicher sein.

Dieser Artikel ist erstmals am 23. Dezember 2025 auf BR24 erschienen. Das Thema ist weiterhin aktuell. Daher haben wir diesen Artikel erneut publiziert.

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