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Klimawandel und Corona: Wie entstehen belastbare Fakten?

Klimawandel und Corona: Wie entstehen belastbare Fakten?

Hitzig und oft ohne kleinsten gemeinsamen Nenner: In vielen Streits etwa über den Klimawandel oder Corona finden Menschen nicht mehr zusammen. Fakten werden verwechselt mit Meinung. Dieser #Faktenfuchs erklärt, wie Sie sich selbst orientieren können.

Über dieses Thema berichtet: radioWelt am .

Darum geht’s:

  • Viele Menschen sind unsicher, was sie glauben sollen. Fakten werden in der öffentlichen Debatte häufig abgestritten oder als Meinung abgetan - und Meinungen als Fakten präsentiert. Das kann verwirren.
  • Dabei gibt es klare Kriterien dafür, was man als Fakt bezeichnen kann.
  • Zu wissen, wie Wissenschaftler arbeiten, kann helfen, um Fakten von Meinung zu unterscheiden.

Galileo Galilei dient heute bisweilen als verquer genutztes Symbol: als vermeintliches Argument dafür, dass die Mehrheit doch auch falsch liegen könne - beim Klimawandel zum Beispiel oder bei Covid. Oberflächlich mag das nahe liegen. Galilei steht für den Kampf gegen eine überkommene Lehrmeinung der Kirche. Nicht unser Planet steht im Zentrum, wie die kirchliche Doktrin es sah - sondern die Erde dreht sich um die Sonne.

Viele Menschen erleben in ihrem Alltag inzwischen, dass es schwierig ist, miteinander zu sprechen über politisch aufgeladene Themen wie den Klimawandel oder Corona. Nicht nur online, auch bei Familienfeiern stehen sich dann oft unvereinbare Haltungen gegenüber. In Debatten gelangen viele an den Punkt, dass man sich nicht einmal auf den wissenschaftlichen Konsens als Grundlage einigen kann. Fakten werden als Meinung abgetan, Meinungsäußerungen hingegen behandelt wie Fakten.

Galileo Galilei als "Querdenker"? Das funktioniert nicht

Und gerade hier kommt auch immer wieder Galileo Galilei ins Spiel: als Argument dafür, dass der bestehende wissenschaftliche Konsens vielleicht doch auf einem großen Irrtum basieren könnte. Alles könnte auch genau andersrum sein als "die Wissenschaftler" sagen oder "die Medien", "die Politiker": Solchen Behauptungen begegnen wir am Essenstisch, in der Kneipe, im Gespräch mit Freunden oder Familie. Auch auf Plattformen wie X (ehemals Twitter), in Telegram-Gruppen oder auch in einigen sogenannten alternativen Medien spielt die Strategie, fundamentale Zweifel an Fakten zu säen, eine große Rolle - und wird häufig verbunden mit politischen Botschaften. Den Medien oder der Politik wird dann unterstellt, Minderheiten, die - angeblich - recht hätten, zu unterdrücken.

Eine solche Botschaft verbreitet etwa ein EU-Abgeordneter der AfD aus München, der in Bezug auf Corona und den Klimawandel auf X explizit Galileo Galilei als "Querdenker" bezeichnet und sich gegen den "vermeintlichen wissenschaftlichen Konsens" eine "tatsächliche Wissenschaft" wünscht. Andere User schreiben: "Der erste Querdenker demnach war Galileo Galilei, Schande über ihn, dass er der Wissenschaft damals widersprochen hat", oder: "Eine Umfrage aus dem Jahr 1632 hat ergeben, dass Galileo Galilei ein gefährlicher Querdenker und übler Schwurbler war". Galilei muss herhalten bis hin zur Theorie, die Erde sei flach.

Dabei vertrat Galilei gar nicht eine Einzelmeinung. Das betont Matthias Schemmel, Physiker, Historiker und Professor für Historische Epistemologie an der Universität Hamburg: "Es gab bereits viele Kopernikaner. Sie zusammen standen einer überkommenen Lehrmeinung entgegen." Galilei folgte der wissenschaftlichen Methode, die seinem Fach angemessen war. Er behauptete also nicht einfach, es könnte auch ganz anders sein, als die anderen denken. Er hatte sich die Arbeit gemacht, es nachzuweisen.

Auch das Team des #Faktenfuchs erhält immer wieder Mails von Leserinnen und Lesern, in denen unterstellt wird, in den Faktencheck-Artikeln würden die "Experten" ignoriert, die dem Konsens widersprechen. Die Krux: Es lassen sich - vor allem im Internet - immer für beide Seiten Menschen finden, die jeweils öffentlich für ihre jeweilige Überzeugung einstehen. Doch damit ist nicht gesagt, wer von ihnen gute Belege hat.

Wer selbst ins Zweifeln kommt oder in einer Debatte darauf reagieren will, dass Fakten infrage gestellt werden, kann also von der Wissenschaft lernen.

Wie können wir wissen, was stimmt - und was nicht? Und wie können wir das erklären? Bei wissenschaftlich basierten Fragen gibt es dafür Kriterien. Dieser #Faktenfuchs zeigt, welche das sind.

Zunächst aber hilft beim Debattieren eine grundlegende Unterscheidung: Was ist eine überprüfbare Tatsachenbehauptung? Und was ist eine subjektive Meinungsäußerung?

Meinung vs. Fakt: Beispiel Klimawandel

Sätze genau daraufhin anzuschauen, ob sie über das individuelle Erleben hinausgehen, ist ein erster Schritt. Ein Beispiel:

"Es gibt den menschengemachten Klimawandel." Lässt sich dieser Satz eher als eine Meinungsäußerung verstehen oder ist das eine Aussage über einen Fakt?

Das lässt sich beantworten: Der Satz benennt einen Fakt. Er ist gültig unabhängig von dem, der ihn sagt. Die Aussage ist überprüfbar und richtig: Es gibt einen wissenschaftlichen Konsens. (Was so einen wissenschaftlichen Konsens ausmacht und wie Wissenschaftler dorthin gelangen, lesen Sie später im Artikel.)

Die Aussage "Wir sollten nichts gegen den Klimawandel tun" hingegen ist eine Meinungsäußerung. Sie lässt sich in einer Debatte mit Argumenten unterfüttern, es lassen sich auch Gegenargumente finden - und diese können mehr oder weniger gut belegt sein.

Die Aussage "Es gibt den menschengemachten Klimawandel nicht" wiederum ist eine überprüfbare Tatsachenbehauptung, die falsch ist.

Schein-Belege: ein verbreitetes Mittel der Falschinformation

Hat man geklärt, was für einen Satz man vor sich hat, sollte man auch die Belege prüfen.

Vermeintlich gute Belege zu nennen ist ein beliebtes - und wirksames - Mittel der Falschinformation, um Glaubwürdigkeit zu erschleichen. Denn die Kompetenz, die jeweiligen Quellen einzuschätzen und auf ihre Qualität zu überprüfen, fehle oft, sagt Kommunikationswissenschaftler Joachim Trebbe von der Freien Universität Berlin. "Man kann heutzutage Professoren finden, die sagen, dass die Erde flach sei - einfach, weil man heute im Internet alles finden kann. Aber die Quellen zu gewichten, ist schwierig." Um gut belegte Aussagen als solche zu erkennen, ist aber gerade das zentral.

Gütekriterien in der Wissenschaft

Es gibt Anhaltspunkte dafür, wie gut Wissenschaft gemacht ist - und damit dafür, wie vertrauenswürdig die Äußerungen eines beliebigen Professors sind, der gegen den wissenschaftlichen Konsens argumentiert.

Die wichtigsten Gütekriterien für quantitative Forschung, die Hypothesen überprüft, sind Objektivität, Reliabilität und Validität. Diese drei Kriterien dienen dazu, einzuschätzen, wie belastbar die Forschungsergebnisse sind. Wenn die Forschung standardisiert ist, werden die Verfahrensweisen für Untersuchungen vereinheitlicht, es werden anerkannte Regeln eingehalten und statistische Methoden verwendet. Diese müssen transparent gemacht werden: Auf welchem Weg ist man zu den Erkenntnissen gekommen?

💡 Gütekriterien der Forschung

Das Maß der Objektivität beschreibt, wie unabhängig die Messergebnisse von der Person sind, die diese Daten erhebt.

Die Reliabilität gibt an, wie zuverlässig die Messung ist - also die Messgenauigkeit. Es geht darum sicherzustellen, dass ein Messinstrument genau so misst, wie es messen soll, und die Messergebnisse nicht von Messfehlern verzerrt sind.

Die Validität wiederum gibt an, ob die Messung gültig ist. Die Frage ist hier, ob und inwieweit die Messung das misst, was sie messen soll. Trifft sie sozusagen die Sache, die gemessen werden soll?

Naturwissenschaftler oder Psychologen zum Beispiel überprüfen ihre Hypothesen mithilfe von Experimenten. Gut gemachte Experimente laufen geplant ab und sind für andere Wissenschaftler wiederholbar und damit nachprüfbar.

In wissenschaftlichen Publikationen müssen die verwendeten Methoden und Laborbedingungen dargelegt werden. So können andere die Schritte wiederholen und sich selbst vom Ergebnis überzeugen.

Gerade wenn Falschinformation - absichtlich oder unabsichtlich - über wissenschaftliche Studien verbreitet wird, können solche Kriterien helfen, die Information als irreführend oder schlicht falsch zu erkennen. Weil die Studien, die als vermeintlicher Beleg vorgelegt werden, möglicherweise die Gütekriterien nicht ausreichend erfüllen. Für Journalisten und Journalistinnen etwa kann ein Weg sein, andere Wissenschaftler aus demselben Fachbereich zu fragen, wie aussagekräftig eine Studie ist. Für fachfremde Menschen - also für die meisten - ist das sehr schwierig zu beurteilen.

→ Wann eine Studie aussagekräftig ist, erklärt der #Faktenfuchs hier an Beispielen zu Corona

Beobachtung, Hypothese und Theorie

Das Problem für Menschen, die in der Wissenschaft - oder auch nur in einem speziellen Fachbereich - nicht so bewandert sind, ist allerdings: "Wissenschaft ist in Teilen so speziell geworden, dass es sehr schwierig ist, darüber allgemein verständlich zu sprechen", sagt Harald Wiltsche, Wissenschaftstheoretiker an der Universität Linköping in Schweden.

Eine weitere grundlegende Herausforderung: "Wissenschaft spricht sehr häufig durch Mathematik. Das ist eines der größten Probleme. Es bedarf einer langen Ausbildungszeit, um in diesen Diskurs einzusteigen."

Wiltsche wählt deshalb ein einfaches Beispiel, um vor Augen zu führen, wie Wissenschaftler vorgehen: Er eröffnet seiner Frau beim Frühstück, dass er glaubt, dass sie Mäuse in der Küche haben. "Die natürliche Reaktion meiner Frau wäre wahrscheinlich, mich zu fragen: Wie kommst du auf die Idee, dass wir Mäuse haben?"

Er weist dann auf ein paar Beobachtungen hin, die er gemacht hat. Zum Beispiel, dass auf dem Küchentisch Käse stand, dieser am Morgen aber verschwunden war; dass es ein Loch in der Fußleiste gibt; und kleine Kügelchen am Küchenboden. "Ich werde auf diese ganzen Fakten hinweisen, um eine Hypothese zu stützen, nämlich dass es in der Küche Mäuse gibt."

Nun sind zwei Begriffe klarer geworden: die Beschreibung von Fakten oder Beobachtungen und die Hypothese.

Je mehr Fakten man sammeln kann, desto besser wird die Hypothese gestützt. "Sie wird irgendwann zu etwas, was wir in der Wissenschaft eine Theorie nennen", sagt Wiltsche. Das geht zum Beispiel durch Experimente: eine Katze über Nacht in die Küche zu sperren und zu schauen, ob der Käse dann immer noch verschwindet; oder eine Mäusefalle aufzustellen. "All das generiert neue Fakten und trägt gegebenenfalls dazu bei, dass meine Hypothese tatsächlich eine gute Theorie ist."

Das, was wir beobachten können (Loch in der Sockelleiste etwa) sei, was wir primär meinen, wenn wir über Fakten sprechen, sagt Wiltsche. Es gebe aber noch eine zweite Ebene: "Bei der Frage zum Beispiel, ob der Klimawandel menschengemacht ist, verwenden wir das Wort Fakt ein wenig anders. Was wir da nämlich meinen, ist: Wir haben ein bestimmtes Modell. Und da bringt jetzt das Wort Fakt zum Ausdruck, dass wir einen überbordenden Konsens unter Experten und Expertinnen haben, dass dieses Modell tatsächlich die Situation so beschreibt, wie sie ist."

Der Begriff "Modell" führt manchmal zu Missverständnissen und wirkt sehr theoretisch. Hier ist gemeint: Mathematische Methoden erst machen es möglich, dass Computer das komplexe Klima-Geschehen berechnen.

Die computergestützte Berechnung aus riesigen Datenmengen von Messungen zeigt uns die Klima-Entwicklung, die wir sonst nicht erkennen könnten - zum Beispiel den Unterschied, den die Industrialisierung macht.

Aber mathematische Modelle begegnen uns auch im Alltag - ohne, dass es uns bewusst sein muss.

Die Verlässlichkeit von Modellen

Auch hier bringt Wiltsche ein Beispiel aus einem anderen Bereich: "Wenn Sie sich ins Auto setzen und Ihr Navigationssystem benutzen, funktioniert dieses Navigationssystem nur deshalb, weil wir das mathematische Modell der Relativitätstheorie haben. Hätten wir das nicht, würde das Navigationssystem nicht funktionieren."

Die Zusammenhänge der Relativitätstheorie können mathematisch in Formeln gefasst und durch Experimente bestätigt werden - obwohl wir sie nicht unmittelbar im Alltag erfahren. Aber: "Bei Navigationssystemen treten sehr wohl diejenigen Phänomene auf, die nur von der Relativitätstheorie beschrieben werden. De facto bedeutet das, dass Sie jedes Mal, wenn Sie sich per GPS an Ihr Ziel leiten lassen, einem mathematischen Modell vertrauen, nämlich der Relativitätstheorie", erklärt Wiltsche.

Pauschal zu sagen, einem Modell brauche man nicht zu vertrauen, da es "nur" ein Modell und kein Fakt sei: Das sei ein irregeleitetes Argument, sagt Wissenschaftstheoretiker Wiltsche. Viele, die zum Beispiel wissenschaftlich gesicherte Aussagen über den Klimawandel mit diesem Argument abtun, vertrauten in ihrem Leben ununterbrochen auf Modelle, so Wiltsche - eben etwa, wenn sie ihr Navi nutzen.

Nun sind Klimamodelle nicht mit der Relativitätstheorie gleichzusetzen. Doch auch Klimamodelle funktionieren dank der Mathematik. Sie sind umfangreiche Computerprogramme, die die Entwicklung des Klimas berechnen, sie rekonstruieren bisherige Entwicklungen und sagen künftige voraus. Die Berechnungen werden immer wieder überprüft. Die Modelle haben sich bislang als grundsätzlich verlässlich erwiesen. Ihr Ziel ist jedoch nicht, singuläre Wetterereignisse wie die Temperatur am Münchner Marienplatz an einem bestimmten Tag zu einer bestimmten Uhrzeit vorauszusagen.

Hier kommt Wiltsche noch einmal auf sein Mäuse-Beispiel zurück, denn dieses greife in zweierlei Hinsicht zu kurz.

Der Blick aus dem Fenster ist keine wissenschaftliche Empirie

Erstens: "Das Problem mit Wissenschaft fängt dort an, wo sie über Gegenstände spricht, die sehr schwierig zu beobachten sind, teilweise, weil wir technologische Instrumente brauchen." Ein Teilchenbeschleuniger sei zum Beispiel schwieriger zu bedienen als eine Mausefalle. Teilweise erstreckt sich der Gegenstand der Frage auch über einen zu langen Zeitraum, als dass man ihn durch einfache Beobachtungen greifen könnte.

Der Abgleich zwischen Theorie und Beobachtung sei wichtig, sagt der Historiker und Physiker Matthias Schemmel von der Universität Hamburg. Aber das könne missverstanden werden. "Oft steckt dann ein falsches Empirie-Verständnis dahinter. Empirie im wissenschaftlichen Sinne ist nicht gleichzusetzen mit Alltagserfahrung, mit dem Blick aus dem Fenster etwa." Empirie werde über Instrumente und Methoden gewonnen, die Gegebenheiten systematisieren. Welche Methoden das sind, kommt auf die jeweilige Fachrichtung und Fragestellung an.

Um etwa über langfristig gemessene Klimadaten sprechen zu können, braucht man Statistik - mathematische Modelle. "Dann gibt es da auf einmal ein klaffendes Loch zwischen der Realität, über die Wissenschaft eigentlich sprechen möchte, und dem direkten Leben der Menschen", sagt Wiltsche. Es reiche eben nicht, das Wetter an einem Tag an einem Ort zu beobachten, um eine wissenschaftliche Aussage über das Klima zu treffen.

Wie wissenschaftlicher Konsens entsteht

Der zweite Aspekt, in dem das Mäuse-Beispiel Wiltsche zufolge zu kurz greift: "Wissenschaft ist ein Gruppenunternehmen", sagt Wiltsche. "Der Goldstandard für wissenschaftliches Wissen ist der Konsens in einer Wissenschaftsgemeinde. Das ist letztendlich das, was verlässliches Wissen ist."

Hier kommt auch Galileo Galilei wieder ins Spiel. "Da kommt dann häufig das Argument: 'Etwas wird ja nicht dadurch richtig, weil es viele glauben.' Natürlich nicht", sagt Wiltsche. "Das ist aber auch nicht gemeint, wenn von wissenschaftlichem Konsens die Rede ist."

Wissenschaftlicher Konsens entstehe nicht aufgrund von Gruppendruck, erklärt Wissenschaftstheoretiker Wiltsche. "Der Konsens kommt dadurch zustande, dass viele Experten und Expertinnen unabhängig voneinander dieselbe Theorie oder dasselbe Modell testen und wiederum unabhängig voneinander zum selben Ergebnis kommen." Es ist ein weltweiter Wettbewerb.

Hinzu kommt, wie Qualitätssicherung in diesem wissenschaftlichen Wettbewerb funktioniert. "Ich schreibe ein Manuskript, in dem ich die Experimente, meine Studie beschreibe. Das wird anonymisiert - die Leute, die meine Arbeit bewerten, wissen nicht, wer ich bin. Und ich weiß nicht, wer mich bewertet. Es darf idealerweise niemals darum gehen, wer in der Wissenschaft etwas sagt. Es soll nur um den Inhalt gehen. Das ist ein ganz fundamentales Grundprinzip der Wissenschaft." Dass bisweilen auch Fälle bekannt werden, in denen das Prinzip versagt hat, zeige ja gerade, dass die Methode der gegenseitigen Überprüfung funktioniere - wenn auch nachträglich.

→ Was einen Experten zum Experten macht, zeigt der #Faktenfuchs hier im Kontext von Corona

Der Konsens aber stößt gegebenenfalls einigen auf, weil er sie mit für sie unangenehmen Tatsachen konfrontiert - wie beim Klimawandel.

Wofür Galileo Galilei stehen kann - und wofür nicht

Gerade für eine Haltung, die gut begründeten wissenschaftlichen Konsens ablehnt, taugt Galileo Galilei nicht als Beispiel. Galilei entwickelte seine Wissenschaft eben gerade auf Basis des aktuellen Forschungsstands, wie Historiker und Physiker Schemmel sagt. Und auch wenn Galilei einige der Fragen, die der Kopernikanismus aufwarf, nicht abschließend beantworten konnte: Er konnte auf Beobachtungen und Ergebnisse verweisen, die seine Gegner eben nicht erklären konnten, wie der Physiker und Historiker sagt: "Er hatte gute Argumente und hat nicht bloß irgendetwas abgelehnt."

Ein ganz grundlegender Zweifel müsste auch konsequent zu Ende gedacht werden - auf dieses Prinzip weisen mehrere der Forscher hin, mit denen der #Faktenfuchs gesprochen hat.

Schemmel erklärt das an einem Detail der Klimafakten-Leugnung: "Wenn man anzweifelt, dass CO2 ein Treibhausgas ist, durch das sich die Atmosphäre erwärmt, dann bezweifelt man die ganze Physik, wie wir sie kennen, denn diese Erkenntnisse sind ja Teil eines organischen Ganzen. Man bezweifelt dann etwas sehr Grundlegendes, etwa als würde man behaupten, schwere Gegenstände fielen nicht zu Boden."

Man könne nicht einfach Hypothesen aufstellen, die das bestehende Wissen - den Forschungsstand - ignorieren, so Schemmel.

Entsprechend braucht es für eine fundamentale Kritik am wissenschaftlichen Konsens auch konkrete Hinweise, begründete Argumente, betont der Kommunikationswissenschaftler Benjamin Krämer von der Ludwig-Maximilians-Universität München: Galileo Galilei sei als Symbol oder als Beispiel wertlos, wenn man im konkreten Einzelfall nichts in der Hand hat, das dafür spricht, dass es sich wieder um so einen Fall handeln könnte.

Ergebnisoffen zu denken sei entscheidend, so Krämer. Das Gegenteil tritt häufig dort auf, wo Falschinformationen verfangen: Häufig hätten Menschen, die sehr grundsätzliche Zweifel äußern, zugleich eine sehr starke Meinung - die dann aber nicht gut belegt sei, sagt Thomas Krödel, Professor für Wissenschaftstheorie von der Universität Hamburg. "Oft begegnen wir da einer Mischung aus einer extrem kritischen Einstellung gegenüber der einen Seite und großer Leichtgläubigkeit in Bezug auf die andere Seite. Wenn wir rational sein wollen, sollten wir das vermeiden."

FAZIT

In der Wissenschaft sorgen Gütekriterien, wissenschaftliche Methoden und deren Offenlegung dafür, dass Erkenntnisse überprüfbar sind. Kennt man die Prinzipien, nach denen Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen arbeiten, hilft das, gut belegte Aussagen von schlecht belegten zu unterscheiden.

Disclaimer: Wir haben am 21.05.2024 um 12.20h im 5. Absatz den ersten Satz präzisiert. Zunächst stand dort: "Dabei war Galilei gar nicht etwa Vertreter einer Minderheit, er vertrat keine Einzelmeinung." Nun steht an dieser Stelle: "Dabei vertrat Galilei keine Einzelmeinung." Denn als Kopernikaner war er zu seiner Zeit zwar Teil einer Minderheit, aber er stand eben nicht alleine - und hatte gute Gründe.

Unsere Quellen:

Hier listen wir die Quellen auf, die wir für die Recherche verwendet haben. Neben den im Artikel verlinkten Quellen wurden im Zuge der Recherche weitere verwendet.

Recherche-Interviews mit:

  • Benjamin Krämer, Ludwig-Maximilians-Universität München, Kommunikationswissenschaftler
  • Thomas Krödel, Universität Hamburg, Wissenschaftstheoretiker
  • Matthias Schemmel, Universität Hamburg, Historiker und Physiker
  • Joachim Trebbe, Freie Universität Berlin, Kommunikationswissenschaftler
  • Harald Wiltsche, Linköping University, Wissenschaftstheoretiker

Zum Klimawandel:

IPCC, “AR6 Synthesis Report Climate Change 2023”

Klimafakten.de, “Kungelei oder klare Beweislage - was ist das eigentlich, ‘Konsens’?”

Klimafakten.de, “Fakt ist: Computermodelle können das Klimasystem Erde mittlerweile gut simulieren”

Spektrum, “Wie ein Klimamodell entsteht”

Umweltbundesamt, “Grundlagen des Klimawandels”

Zu Wissenschaft / Forschung / Gütekriterien:

ARD Alpha, “Das naturwissenschaftliche Experiment”

Bild der Wissenschaft, "Ohne Einstein kein Navi"

Bundeszentrale für politische Bildung, “Tatsachen”

Spektrum, “Tatsache”

Standard, “Lässt sich Wissenschaft von Unsinn unterscheiden?”

Universität Leipzig, “Gütekriterien”

Universität Wien, Kunzinger, Steinbauer: “Wissenschaftstheorie der Naturwissenschaften”

Universität Zürich, “Wis­sen­schaft­lich­keit der Rechts­wis­sen­schaft”

Zum Unterschied Fakten / Meinung:

GCFGlobal, “The blur between facts and opinions in the media”

Klickwinkel.de, “Gefühlte Wahrheit: Fakten und Meinungen"

Pew Research Center, “Distinguishing Between Factual and Opinion Statements in the News”

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