Eine Erzieherin im Garten mit Kindern auf einer Schaukel. Wenn Kinder in die Schule kommen, sollen sie Deutsch können. Welche Rolle spielt dabei die Kita - und welche das familiäre Umfeld?
Eine Erzieherin im Garten mit Kindern auf einer Schaukel. Wenn Kinder in die Schule kommen, sollen sie Deutsch können. Welche Rolle spielt dabei die Kita - und welche das familiäre Umfeld?
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Wenn Kinder in die Schule kommen, sollen sie Deutsch können. Welche Rolle spielt dabei die Kita - und welche das familiäre Umfeld? (Symbolbild)
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Wenn Kinder in die Schule kommen, sollen sie Deutsch können. Welche Rolle spielt dabei die Kita - und welche das familiäre Umfeld? (Symbolbild)

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Migrantenfamilien: Ist zuhause Deutsch sprechen sinnvoll?

Migrantenfamilien: Ist zuhause Deutsch sprechen sinnvoll?

"Die sollen zuhause Deutsch sprechen!" Das ist eine Forderung, die man immer wieder hört, wenn es um das Thema Integration geht. Wird so bei Kindern tatsächlich die Sprachkompetenz und damit die Integration gefördert? Welche Rolle spielt die Kita?

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Sprache spielt eine Schlüsselrolle bei der Integration. Deswegen wird von politischer und gesellschaftlicher Seite immer wieder gefordert, dass Kinder mit Migrationshintergrund so früh und so gut wie möglich die deutsche Sprache lernen sollen. Immer wieder wird auch die Forderung laut, dass migrantische Familien zuhause, im familiären Umfeld, Deutsch sprechen sollen.

Doch wie viel Deutsch wird in den Familien mit Migrations- oder Zuwanderungsgeschichte gesprochen? Zahlen dazu werden im Mikrozensus [externer Link] erhoben. In der Gruppe der Kinder mit Einwanderungsgeschichte zwischen 6 bis 15 Jahren sprechen knapp die Hälfte (48 Prozent) zuhause Deutsch und mindestens eine andere Sprache. Ein Viertel der Familien gibt an, vorwiegend Deutsch zu sprechen und ein weiteres Viertel, dass vorwiegend eine andere Sprache die Familiensprache ist.

Fünf Personen und vier Sprachen in einem Haushalt

So eine Familie, in der gleich mehrere Sprachen gesprochen werden, ist die Familie von Tugba Diriöz. Sie ist Erzieherin in einer Münchner Kita, zu Hause gibt es drei Kinder – und noch mehr Sprachen: Türkisch, Arabisch, Englisch und Deutsch. Die Hauptsprache sei Deutsch, sagt Diriöz.

Aber je nachdem, wer mit wem gerade spricht, und worüber, werden die Sprachen auch gewechselt, manchmal sogar mitten im Satz. Für die Kinder sei das kein Problem, jedes habe da seine eigene Nische entwickelt. Während der älteste Sohn hauptsächlich Türkisch zu Hause redet, die Sprache seiner Mutter, redet der mittlere Sohn eigentlich nur Deutsch – und die jüngste Tochter, gerade in der ersten Klasse, wechselt die Sprachen munter durch.

Mehrsprachigkeit ist für Kinder kein Problem

User "sagmalwas" kommentierte kürzlich: "Ich beobachte bei den Kindern in unseren Kitas, dass die Kinder, welche zweisprachig aufwachsen, im Alter von etwa fünf Jahren beide Sprachen nahezu perfekt sprechen. [...]."

Das bestätigt Aileen Edele, Professorin für Lehr-Lernforschung an der HU Berlin und Expertin für Mehrsprachigkeit. Sie sagt, dass es wichtig sei, den Familien selbst die Entscheidung zu überlassen, wie in ihrem Haushalt gesprochen wird, also was die sogenannte "Familiensprache" sei. Aus wissenschaftlicher Sicht sei es aber überhaupt kein Problem, mehrere Sprachen auf hohem Niveau zu sprechen, weder für Kinder noch für Erwachsene. Deshalb sei es auch kein Hindernis, wenn Kinder zu Hause zuerst eine andere Sprache lernten und später erst Deutsch.

Eltern sollten die Sprache mit ihren Kindern sprechen, die sie selbst am besten beherrschten – auch, wenn es, wie im Fall der Familie Diriöz, sogar zwei Sprachen sind, die Muttersprache Türkisch und die Vatersprache Arabisch. Zu einer Art "Sprachverwirrung" kommt es deswegen nicht. Im Gegenteil, sagt Aileen Edele. "Es ist sogar so, dass Kompetenzen in der Familiensprache dabei helfen, später gute Deutschkenntnisse zu entwickeln." Eine Sprache in der Tiefe durchdrungen zu haben, helfe immer dabei, eine neue Sprache zu erlernen.

Die verbreitete Annahme, dass die Verwendung einer anderen Sprache in der Familie dem Erlernen der deutschen Sprache im Wege steht, sei wissenschaftlich nicht haltbar.

Die Rolle der Kitas beim Deutschlernen

Welche Verantwortung spielen die Kitas dabei, Kinder die deutsche Sprache beizubringen? User "virmiculi" kommentierte: "Leider beobachten wir in den Kitas, dass ausländische Eltern sehr wohl Deutsch sprechen können, dies aber mit ihren Kindern zuhause nicht tun. Oft hören wir dann: Die Kinder müssen auch ihre Muttersprache lernen. Aber leider fehlen in der Kita die Kapazitäten, den Kindern so viel Deutsch beizubringen, dass es für die erste Klasse reicht."

Natürlich sei die Kita wichtig, um die Sprache zu fördern, denn je früher Sprachförderung stattfände, umso wirkungsvoller sei sie, sagt Edele. Aber man könne die Verantwortung nicht alleine auf die Kitas übertragen. "Das ist eine gesamtgesellschaftliche Verantwortung."

Auch Tugba Diriöz sieht das in ihrer Rolle als Erzieherin so. Sie hat 23 Kinder in der Gruppe, darunter viele mit Migrationshintergrund und sprachlichem Förderbedarf. Diesen Kindern Deutsch beizubringen, wie es eine Lehrerin tun würde, das kann sie nicht leisten. Aber die Kinder lernen trotzdem, sagt sie – durch das Spiel mit anderen Kindern und die Ansprache durch die Erzieherinnen. "Beim ersten Mal versteht das Kind vielleicht nicht, was ich von ihm möchte. Aber wenn ich sage: 'Gib mir das Glas' und dabei ein Glas hochhalte, dann weiß es, was ich will."

Sprache ist Identität

Tugba Diriöz sagt, sie wechselt die Sprache, je nachdem, worüber in der Familie gesprochen wird. "Wenn ich ernst sein möchte, wenn es eine Diskussion gibt, dann spreche ich Türkisch. Wenn es dann wieder um die Schule geht, dann spreche ich Deutsch. Das ist automatisch so, das mache ich gar nicht bewusst."

Denn Sprache ist auch Identität. Aileen Edele sagt: "Man weiß beispielsweise bei eingewanderten Kindern und vor allem Jugendlichen, dass es für sie am günstigsten ist, wenn es ihnen gelingt, eine duale Identität auszubilden, also wenn sie sich mit Deutschland, aber auch mit ihrem Herkunftsland identifizieren können." Und Mehrsprachigkeit ist ein wichtiger Baustein, um diese duale Identität herauszubilden.

Dieser Artikel ist erstmals am 11.12.2025 auf BR24 erschienen. Das Thema ist weiterhin aktuell. Daher haben wir diesen Artikel erneut publiziert.

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