Anas Modamani nahm 2015 als 18-Jähriger ein medial bekanntes Selfie mit Kanzlerin Merkel auf.
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Anas Modamani nahm 2015 als 18-Jähriger ein medial bekanntes Selfie mit Kanzlerin Merkel auf.
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Anas Modamani nahm 2015 als 18-Jähriger ein medial bekanntes Selfie mit Kanzlerin Merkel auf.

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Zehn Jahre "Wir schaffen das": Wo Geflüchtete heute stehen

Zehn Jahre "Wir schaffen das": Wo Geflüchtete heute stehen

2015 sagte Angela Merkel den Satz, der zum Inbegriff für die Aufnahme Geflüchteter wurde. Zehn Jahre später zeigt sich: Vielen ist das Ankommen gelungen. Doch nicht alle fanden Anschluss. Eine Bilanz zwischen Erfolgsgeschichten und Baustellen.

Über dieses Thema berichtet: BR24 Thema des Tages am .

Zehn Jahre nach Angela Merkels Satz "Wir schaffen das" zeigt sich: Die Integration vieler Geflüchteter von 2015 und 2016 ist gelungen – aber noch nicht abgeschlossen. Über eine Million Menschen flohen damals vor Krieg und Verfolgung. Der Staat musste sie unterbringen, versorgen und in Sprache, Arbeit, Schule und Gesellschaft integrieren.

Vom Wirtshaus zur Küchenplanung: Hussams Weg

Auch Hussam aus Syrien kam in jener Zeit nach Deutschland. Der damals 36-Jährige wollte nach München, doch sein Schlepper ließ ihn mitten in der Nacht an einem Rasthof bei Passau aussteigen. Von dort wurde er nach Teisnach im Bayerischen Wald gebracht, wo er in einem leerstehenden Wirtshaus unterkam. Zehn Jahre später lebt Hussam in Bielefeld und arbeitet als Küchenplaner. Es war ein langer Weg dorthin – über Sprachkurse, gescheiterte Bewerbungen und Übergangsjobs. Heute besuchen seine drei Kinder das Gymnasium – auch, weil er und seine Frau zusätzlichen Sprachunterricht finanziert haben. "Wir haben uns wirklich große Mühe gegeben", sagt er rückblickend.

Grafik: So viele Geflüchtete haben eine Arbeit in Deutschland gefunden

Regelklassen bringen bessere Chancen

Auch im Bildungssystem hat die Aufnahme der Geflüchteten Spuren hinterlassen. Zwischen 2015 und 2017 wurden rund 250.000 geflüchtete Kinder und Jugendliche in das deutsche Schulsystem integriert. Viele Bundesländer setzten auf sogenannte Willkommens- oder Vorbereitungsklassen, um Sprachbarrieren abzubauen. Doch Kinder, die früh in Regelklassen wechseln, schneiden besser ab, zeigen Studien der Universität Halle-Wittenberg und des Leibniz-Instituts für Wirtschaftsforschung (externer Link) in Essen.

Ankerzentren belasten Kommunen

In Orten mit Ankerzentren ist der Anteil an Schutzsuchenden oft besonders hoch, etwa in Bamberg, Schweinfurt oder Deggendorf. Bürgermeister und Landräte berichten von daraus resultierenden Herausforderungen. In Schweinfurt etwa komme es vermehrt zu belastenden Vorfällen und einem wachsenden Gefühl der Unsicherheit in der Bevölkerung, sagt Oberbürgermeister Sebastian Remelé (CSU). Deggendorfs Landrat Bernd Sibler sieht im Ankerzentrum einen Grund für den hohen AfD-Anteil in seinem Landkreis.

Interaktive Karte: Anteil Schutzsuchender an der Bevölkerung

Großbaustelle Wohnen

Ein weiteres zentrales Hindernis bleibt der Wohnungsmarkt. Viele Geflüchtete leben auch heute noch in beengten Gemeinschaftsunterkünften – oft mit negativen Folgen für das Familienleben und schulisches Lernen. Der Mangel an bezahlbarem Wohnraum zwingt viele, in strukturschwächere Regionen auszuweichen, so eine Studie des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung (WZB).

Alis langer Weg zur eigenen Wohnung

Ali aus Afghanistan lebte jahrelang in Notunterkünften, Wohngemeinschaften und zeitweise sogar in Industriehallen. Vor kurzem hat der 32-Jährige sein erstes eigenes Zuhause gefunden: ein etwa 15 Quadratmeter großes Appartement am Stadtrand von München. Heute arbeitet Ali in Vollzeit als Lagerist und hilft samstags noch bei seinem früheren Arbeitgeber aus. Vor allem über die Arbeit hat er Anschluss gefunden, seine Familie lebt weiterhin in Pakistan. "Ich habe echt viele Freunde jetzt", sagt Ali. Er fühlt sich angekommen.

Kussai kam 2015 aus Syrien nach Deutschland. "Was mir besonders gefällt, ist, dass man sich sicher fühlt und viele Möglichkeiten hat", sagt er. Der 28-Jährige wohnt in Amberg und arbeitet als Fachinformatiker bei Aquado AG, einer Firma für Hardware in Ebermannsdorf. "Integration hängt von zwei Seiten ab", sagt sein Chef Volker Rühlicke. "Vom Integrationswillen der Geflüchteten selbst. Und natürlich muss auch staatliche Unterstützung da sein." Bei Kussai habe das gut geklappt. Und mittlerweile hat auch sein Bruder eine Lehre in der Firma gemacht.

2024 so viele Einbürgerungen wie noch nie seit 1996

Sowohl Kussai, Ali als auch Hussam und seine Familienmitglieder sind mittlerweile deutsche Staatsbürger. Im Jahr 2024 gab es so viele Einbürgerungen wie noch nie in diesem Jahrtausend: 291.955 Ausländer erhielten die deutsche Staatsangehörigkeit. Die meisten Menschen kamen dabei aus Syrien. Man kann annehmen, dass darunter viele sind, die 2015/16 nach Deutschland gekommen sind, da sie nach acht Jahren zum ersten Mal die Möglichkeit hatten, die deutsche Staatsangehörigkeit zu beantragen. Seit dem 27. Juni 2024 gilt ein neues Gesetz zur Modernisierung des Staatsangehörigkeitsrechts, das eine Einbürgerung bereits nach fünf Jahren Aufenthalt in Deutschland möglich macht.

Grafik: So viele Menschen wurden seit 1990 pro Jahr eingebürgert

Video- und Audio-Empfehlungen zum Thema:

Die ARD-Doku Merkels Erbe – 10 Jahre "Wir schaffen das!" erzählt die kleinen Geschichten und großen politischen Stränge und ordnet mithilfe von Daten ein: Wie viele Geflüchtete sind inzwischen in Arbeit? Wie hat sich die Kriminalität entwickelt? Wie viel Gewalt gibt es gegen Flüchtlinge?

Im Podcast "Nicht mehr mein Land" will Ali Gutsfeld herausfinden: Was ist in den letzten zehn Jahren falsch gelaufen? Was können wir dagegen tun? Und er fragt sich: Ist das noch mein Land? In sechs Folgen trifft er Menschen, für die 2015 alles verändert hat. Ein Podcast für alle, die ihr Land nicht wiedererkennen. Damit wir wieder lernen, miteinander zu reden.

Im Doku-Podcast "Wo bist du? Verschollen auf der Flucht" begeben sich Menschen aus dem Irak, Jemen, Marokko, Iran, Libanon und Syrien auf eine dramatische Suche nach ihren vermissten Angehörigen.

Zehn Jahre nach dem "Sommer der Flüchtlinge": Was wurde aus Hussam aus Syrien und Aliresa aus Afghanistan? Eine Bayern2-Reportage über Flucht und Neuanfang.

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