Zwei ältere Rhesusaffen (Macaca Mulatta) sitzen eng beieinander auf einem Baum, einer kratzt sich das Kinn.
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Makaken pflegen ihre Beziehungen, indem sie sich gegenseitig das Fell pflegen und in unmittelbarer Nähe zueinander sitzen.

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Resilienz bei Affen: Toleranz als Überlebensstrategie

Resilienz bei Affen: Toleranz als Überlebensstrategie

Schläge, Bisse, an den Haare ziehen - gerade männliche Makaken sind für ihr aggressives Verhalten bekannt. In der Not rücken sie jedoch näher zusammen, zeigt eine neue Studie. Nach einem Wirbelsturm auf einer Insel verhielten sich Affen toleranter.

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Wilde Schreie, Schläge, Bisse - gerade die Männchen unter den Makaken zeigen sich aggressiv, wenn sie beispielsweise ihr Revier verteidigen. Auch auf Cayo Santiago, einer unbewohnten Insel bei Puerto Rico war das so. Seit längerem wohnt dort eine Population von Rhesusaffen. Vor dem Wirbelsturm "Maria" im Jahr 2017 war die Insel komplett bewaldet. Wichtig für die Affen, denn die Temperaturen dort übersteigen regelmäßig die 40 Grad. Der Orkan aber verwüstete ganze Landstriche, zerstörte über die Hälfte der Wälder und damit die lebensnotwendigen Schattenplätze der Affen.

Geringeres Sterberisiko toleranter Makaken

Der Mangel an Schatten ließ die Tiere jedoch erstaunlicherweise nicht aggressiver werden, wie das Team um die Verhaltensforscherin Camille Testard von der University of Pennsylvania vermutet hatte. Sondern ganz im Gegenteil: Die Affen gingen nach dieser tiefgreifenden Veränderung ihres Ökosystems toleranter miteinander um. Etwa indem sie näher aneinander rückten, um die spärlichen Schattenplätze zu teilen: "Nach dem Wirbelsturm hatten Makaken, die eine überdurchschnittliche Toleranz zeigten - und daher besser in der Lage waren, den Schatten zu teilen - ein um 42 Prozent geringeres Sterberisiko als diejenigen, die weniger tolerant waren", berichtet das Forschungsteam um Testard im Fachmagazin Science.

In der Krise setzen die Affen stärker auf Toleranz

Seit dem Wirbelsturm sind inzwischen fünf Jahre vergangen und überraschenderweise dauert das friedlichere Verhalten bis heute an. Die Makaken verbringen weiterhin mehr Zeit nah beieinander als vor dem Orkan, sowohl in den heißen Nachmittagsstunden im Schatten, als auch in den kühlen Morgenstunden in exponierten Bereichen. "Diese Umweltveränderungen, die mit dem Klimawandel häufiger werden, können die Spielregeln verändern und den Druck auf die Tiere erhöhen", erklärt Verhaltensforscherin Camille Testard. "In diesem Fall nutzten die Affen ihre Freundschaften, um zu überleben und resilient zu sein."

Wie Menschen suchen sich Makaken ihre Beziehungen aus

Wie die Makaken zu ihrem veränderten Verhalten gekommen sind, ist schwer zu sagen. "Entweder ist die Population verändert worden dadurch, dass vielleicht die aggressiveren Makaken aus irgendeinem Grund gestorben sind", erklärt der Biologe Arne Traulsen vom Max-Planck-Institut für Evolutionsbiologie in Plön. "Dann handelt es sich sozusagen um eine andere Populationszusammensetzung." Oder sie haben gelernt, sich anders zu verhalten. Doch wie haben sie das gelernt - und von wem? Das konnte das Team um Camille Testard nicht endgültig klären.

Möglicherweise hängt das friedlichere Verhalten der Affen damit zusammen, dass es "keine gute Idee ist, sich aggressiv zu verhalten, wenn es darum geht, `cool´ zu bleiben, sprich die Körpertemperatur niedrig zu halten. Andererseits würden die Affen auf der Insel nach wie vor auf Wanderschaft gehen, so die Forscherinnen, das könne also nicht der einzige Grund sein.

Toleranz kann zu "biologischem Erfolg" führen

Eine andere Erklärung hängt mit der Art zusammen, in der Makaken Beziehungen pflegen. Wie wir Menschen suchen sich die kleinen Affen normalerweise ihre Freunde aus. Dabei unterscheiden sie offensichtlich zwischen engen Beziehungen und losen Bekanntschaften. Der Wettbewerb um Schatten sei etwas anderes als beispielsweise der Wettbewerb um Nahrung. "Wenn ich beispielsweise Verbündete brauche, um andere davon abzuhalten, mich an einer Futterstelle anzugreifen, dann brauche ich wahrscheinlich jemanden, zu dem ich eine enge Beziehung habe, weil der seinen Kopf für mich aufs Spiel setzen muss und verletzt werden könnte", erklärt Verhaltensforscherin Camille Testard.

Aber wenn der Schatten knapp ist und der einzige beste Freund kein kühles Plätzchen gefunden hat, dann ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass sein Tandem auch in der Sonne sitzen bleiben muss, sagt Testard. Besser sei es, ein breites Netzwerk an Bekannten zu pflegen, dann sind die Chancen viel größer, der Hitze zu entkommen. "Die Lehre, die wir daraus ziehen können, ist, dass wir unsere sozialen Beziehungen brauchen, um die großen Herausforderungen des Lebens zu meistern, und dass Toleranz gegenüber anderen zu biologischem Erfolg führen kann", fasst Testard zusammen.

Klimakrise als Evolutionstreiber

Allerdings müsse die Population von Cayo Santiago nicht zwingend so friedfertig bleiben, heißt es in der Studie. Wachsen die Baumkronen nach, könne sich auch das Verhalten der Affen wieder verändern, da der Selektionsdruck sich woandershin verlagert. Ob der Wirbelsturm tatsächlich auf die Evolution der Affen Einfluss genommen hat, lässt sich zu diesem Zeitpunkt jedoch nicht sagen. "Denn bei der Evolution geht es ja darum, dass man über mehrere Generationen genetische Eigenschaften weitergibt", sagt Biologe Arne Traulsen. Um das bei den Affen von Cayo Santiago festzustellen, müsste man noch einige Jahre warten und die Tiere auf genetische Veränderungen prüfen. Für den Augenblick zählt: Die Affen wissen offenbar, sich zu helfen.

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