Patienten mit fortgeschrittenem Lungen- oder Hautkrebs, die innerhalb von 100 Tagen nach Beginn einer Immuntherapie einen COVID-19-mRNA-Impfstoff erhielten, lebten deutlich länger als diejenigen, die keinen solchen Impfstoff bekamen. Das ist das Ergebnis einer Auswertung (externer Link) von Daten von über 1.000 Patienten.
Covid-19-Impfung: Lebensdauer von Lungenkrebspatienten verdoppelte sich nahezu
Bei den 884 untersuchten Patienten mit fortgeschrittenem Lungenkrebs verdoppelte sich nahezu ihre Lebensdauer, wenn sie neben ihrer Immuntherapie mit sogenannten Checkpoint-Inhibitoren zusätzlich eine SARS-CoV-2-Impfung mit einem mRNA-Impfstoff erhalten hatten. Sie überlebten im Durchschnitt 37 Monate. Diejenigen, die keine Impfung erhalten hatten, starben hingegen schon nach durchschnittlich 20 Monaten.
Patienten mit Melanom lebten mit Impfung deutlich länger
Bei der Gruppe, die wegen eines Melanoms im fortgeschrittenen Stadium mit einer Immuntherapie in Behandlung war, war das Ergebnis ähnlich: 167 von ihnen, die keine Impfung erhalten hatten, starben nach durchschnittlich 26,67 Monaten. Bei 43 Patienten, die eine Impfung erhalten hatten, verlängerte sich die Lebensdauer auf 30 bis 40 Monate. Einige von ihnen lebten zum Zeitpunkt der Datenerhebung noch, sodass der Impfeffekt möglicherweise noch stärker war.
Was die mRNA-Impfung bei Krebspatienten bewirkt
Warum die Covid-Impfung einen positiven Effekt bei Krebspatienten hat, führen Forscher darauf zurück, dass die mRNA-Impfung das Immunsystem "aufweckt", wie Stephen H. Lin vom MD Anderson Cancer Center der University of Texas sagt. Er hat an der Studie mitgearbeitet.
Die Forscher konnten in den präklinischen Studien beobachten, dass die mRNA-Impfung nicht nur das Coronavirus bekämpft, sondern auch eine allgemeine Immunantwort in Gang setzt. Dabei werden Immunbotenstoffe, vor allem sogenannte Typ-1-Interferone, vermehrt ausgeschüttet und das Immunsystem zur erhöhten Aktivität der T-Zellen angeregt. Diese bekämpfen dann den Tumor. Wissenschaftler Stephan H. Lin erklärt im BR-Interview, dass dieser Mechanismus "bei allen Krebsarten, die mit Immuntherapie behandelt werden", funktioniert.
Mit anderen Impfstoffen, wie etwa Grippe-Impfstoffen, konnte der lebensverlängernde Effekt hingegen nicht erzielt werden. Ebenso wenig bei Krebspatienten, die sich einer Chemotherapie unterzogen hatten. Die unterstützende Wirkung der mRNA-Impfung funktioniert also nur in Kombination mit einer modernen Immuntherapie. Wichtige Voraussetzung für die Wirkung der Impfung ist auch, dass der Tumor noch nicht operativ entfernt wurde. Denn nur dann wird die Immunreaktion in Gang gesetzt.
Effekt von mRNA-Impfung bei Krebs – weitere Studien müssen folgen
Die Forscher um Stephen H. Lin hoffen, dass es bald eine Impfung gegen Krebs geben wird. An eine Kombination von allgemeinem Impfstoff und personalisiertem Impfstoff denkt dabei Krebsforscher Lin. Das könnte seines Erachtens "vielleicht" die beste Lösung zur Behandlung bestimmter Krebsarten sein.
Inwieweit eine allgemeine SARS-CoV2-mRNA-Impfung "von der Stange" bei der Behandlung bestimmter Krebspatienten tatsächlich einen positiven Effekt hat, müssten noch weitere Studien klären, betont Niels Halama, Leiter der Abteilung Tumorimmunologie und Tumorimmuntherapie am Deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZ). "Da gibt es noch viele Fragen", sagt der Mediziner. Es gehe unter anderem darum, zu klären, ob man in der jetzt veröffentlichten Studie "nicht einen statistischen Effekt beobachtet, der gar nichts oder wenig nur mit dieser Impfung zu tun hat". Auch die Gründe, warum einzelne Krebspatienten eine Corona-Impfung erhalten haben, andere nicht, gilt es zu hinterfragen.
Grundsätzlich hält es Halama aber für "wertvoll, eine Therapieoption zu haben, die gut verträglich ist" – wie die SARS-Cov2-mRNA-Impfung. Er mahnt aber dazu, die Studienergebnisse "gut einzuordnen", sodass "jetzt nicht reihenweise Menschen mit Tumorerkrankungen versuchen, irgendwie Impfungen zu bekommen". Denn zum einen hat die Impfung wohl nur dann einen positiven Effekt, wenn gleichzeitig eine Immuntherapie durchgeführt wird – was längst nicht bei allen Tumorarten der Fall ist. Und andererseits müssen die Daten aus der jetzt veröffentlichten Arbeit noch durch eine klinische Studie bestätigt werden, um den positiven Effekt der mRNA-Impfung bei bestimmten Krebspatienten zu belegen.
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