Ein Übertrittszeugnis, welches mit bunten Stiften belegt ist
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Übertrittszeugnis: Stress für Bayerns Viertklässler

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Übertrittszeugnisse: Gleiche Chancen für Bayerns Viertklässler?

Übertrittszeugnisse: Gleiche Chancen für Bayerns Viertklässler?

Heute entscheidet sich, welche Schulform Viertklässler ab dem nächsten Schuljahr besuchen können. Nur mit einem Schnitt von 2,33 oder besser geht's aufs Gymnasium. Das "Grundschulabitur" sorgt bei vielen für massiven Druck und ist umstritten.

Über dieses Thema berichtet: jetzt red i am .

114.000 Viertklässler in Bayern erhalten das, was – so die Ansicht vieler Eltern – über die Zukunft ihrer Kinder entscheidet: ihr Übertrittszeugnis. Für die Kinder entscheidet sich damit, ob sie auf eine Mittelschule, ein Gymnasium oder eine Realschule wechseln.

Welche Noten sind für den Übertritt entscheidend?

Der Notendurchschnitt in den Fächern Mathematik, Deutsch und Heimat- und Sachunterricht (HSU) entscheidet, auf welche Schule ein Kind wechseln darf. Mit einem Durchschnitt von 2,33 oder besser und einer Empfehlung der Lehrer gibt es grünes Licht fürs Gymnasium, bis 2,66 für die Realschule. Alle anderen besuchen ab der fünften Klasse die Mittelschule.

Die strikten Notengrenzen in Bayern sind unter Eltern und Lehrervertretern umstritten. In einigen anderen Bundesländern haben die Eltern ein stärkeres Mitspracherecht bei der Frage, ob ihr Kind aufs Gymnasium oder auf die Realschule wechseln kann. Nicht umsonst wird der Übertritt auf die weiterführende Schule in Bayern auch das "Grundschulabitur" genannt.

Grundschulabitur: Starker psychischer Druck für die Kinder

Den Druck, eine Empfehlung fürs Gymnasium zu bekommen, empfinden viele als immensen Stress. Ein paar wenige Schulaufgaben bestimmen die berufliche Zukunft des Kindes – so sehen es viele Eltern. Hat der Schüler mal einen schlechten Tag, könnte dies das Aus für das Gymnasium bedeuten.

Das frühe Aussieben hält auch der Kinder- und Jugendtherapeut Hans Killunghusen für einen Fehler, wie er in der Sendung "jetzt red i" im BR-Fernsehen vom 24. April betont: "Ich kriege mit, in der Beratung aus psychotherapeutischer Sicht, dass Kinder erhöhte Schwierigkeiten haben, in der sozialen Anpassung, dass das viel Leid produziert."

Kritik an der Schüler-Auslese via Notenspiegel

Auch deswegen wünschen sich viele Eltern, dass allein der Elternwille über die weitere schulische Laufbahn des Kindes entscheiden soll. Auch Simone Fleischmann, Präsidentin des Bayerischen Lehrer- und Lehrerinnenverbandes (BLLV), kritisiert in einem Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst (epd) die Aussagekraft der bayerischen Übertrittszeugnisse als mangelhaft: "Ein inklusives Schulsystem kann zehnjährige Kinder nicht auf Grundlage eines Notenschnitts aus drei Fächern in drei Schularten sortieren – das passt nicht zusammen."

Die Staatsregierung und auch die meisten übrigen Lehrerverbände sähen diese frühe und scharfe Selektion aber "als Garant für das etwas überdurchschnittliche Abschneiden bayerischer Schülerinnen und Schüler bei der PISA-Studie" im bundesweiten Vergleich.

Chancengleichheit eine Frage des Geldes der Eltern?

Fleischmann ist der Überzeugung, dass der eigentliche Grund für das gute Abschneiden die "finanzstarke Elternschaft" in Bayern sei: "Mich schmerzt das gerade als Lehrervertreterin, das so zu sagen [...]. Aber wir haben größtenteils eine Elternschaft, die es sich leisten kann, die Lücken, die das System lässt, selbst aufzufüllen." Entweder haben sie die Zeit, mit ihrem Nachwuchs zu lernen, oder sie können sich umfangreiche Nachhilfe leisten.

Letztendlich haben Kinder aus bildungsfernen Elternhäusern eine dreifache Benachteiligung, besagt die Studie "Bildungsungleichheit - der Beitrag von Familie und Schule" von 2005. Erstens: Kinder aus bildungsfernen Elternhäusern haben schlechtere Noten, weil sie zu Hause unter anderem weniger Unterstützung haben. Zweitens: Bei gleicher Leistung werden Kinder aus bildungsnäheren Elternhäusern besser bewertet. Und drittens: Bei gleicher positiver Bewertung schicken eher die Eltern ihre Kinder aufs Gymnasium, die selbst bildungsnah sind.

Notendurchschnitt: Chance für Kinder aus bildungsfernen Familien?

Ein guter Notendurchschnitt und damit eine Empfehlung durch die Lehrkraft fürs Gymnasium könnte danach auch eine Chance für Schüler aus bildungsfernen Familien sein. Es könnte ein Impuls sein, den Kindern eine höhere Schulbildung zu ermöglichen, die zuvor vielleicht nicht im Fokus stand, sagt Prof. Dr. Andreas Hartinger, Lehrstuhlinhaber Grundschulpädagogik und Grundschuldidaktik an der Uni Augsburg: "Die Kinder haben dann zumindest noch schwarzweiß, dieses Kind ist geeignet für das Gymnasium. Und das macht es manchen Eltern wahrscheinlich wieder leichter, ihre eigenen nicht so hohen Erwartungen an die Kinder doch zu erhöhen. Und das ist für mich das einzige Argument dafür, diese Noten oder eine klare Empfehlung, vielleicht sogar mit einer gewissen Verbindlichkeit, aufrechtzuerhalten".

Kultusministerium und bpv: Änderung des Schulsystems nicht notwendig

Das bayerische Kultusministerium hält Noten nach wie vor für gerechter und sinnvoller als den reinen Elternwillen. Denn jeder Dritte, der es auf das Gymnasium schafft, hält nicht bis zum Abitur durch – ganz abgesehen von dem Stress, was dies für das Kind bedeutet, wenn es tagtäglich mit schlechten Noten konfrontiert wird und seine Freizeit mit Nachhilfestunden verbringen muss.

Bayerns Kultusministerin Anna Stolz (Freie Wähler) verteidigt bei "jetzt red i" die Form des Übertritts in Bayern. Sie sähe keinen Handlungsbedarf für eine Veränderung. Stattdessen betonte Stolz: "Für mich geht es darum, dass wir in Bayern für jedes Talent die passende Schulart haben und zweitens ein durchlässiges Bildungssystem da ist, und deswegen braucht es diesen gesellschaftlichen Druck auf unsere Kinder gar nicht." Vielmehr sei ein gesellschaftliches Umdenken gefragt und eine größere Wertschätzung für alle Berufe und Schularten. Das würde den Druck rausnehmen.

Auch beim Bayerischen Philologenverband (bpv), dem Verband der Gymnasiallehrer, hält man an den strikten Übertrittskriterien fest. Verbandschef Michael Schwägerl verweist auf eine Studie, nach der die Leistung der Schülerinnen und Schüler in den weiterführenden Schulen besser ist, wenn es verbindliche Empfehlungen für den Übertritt gibt – und die Entscheidung nicht allein in der Hand der Eltern liegt: "Und das hat uns damals schon bestätigt, diese Form des Übertritts beizubehalten. Und der Blick nach Baden-Württemberg, in dem ja erst vor wenigen Jahren diese verbindliche Übertrittsempfehlung fallengelassen wurde, zeigt ja, dass das sicherlich ein Faktor ist, der dazu beigetragen hat, dass Baden-Württemberg jetzt mehr Schwierigkeiten hat."

Zweite Chance für den Übertritt: der Probeunterricht

Aber auch in Bayern gibt es eine zweite Chance für diejenigen, die nicht so gute Noten haben: Sie können zum Schuljahresende an einem dreitägigen Probeunterricht in Deutsch und Mathematik teilnehmen – und wenn sie den bestehen, doch noch auf die gewünschte Schule wechseln. Weitere Informationen dazu gibt es beim Staatsinstitut für Schulqualität und Bildungsforschung (ISB) (externer Link). Der Probeunterricht ist bestanden, wenn das Kind in einem der beiden Fächer mit mindestens der Note 3 und in dem anderen mit mindestens einer 4 abschließt. Wenn das Kind beim Probeunterricht zweimal die Note 4 bekommt, obliegt der Übertritt der Entscheidung der Eltern. Relativ wenige Schülerinnen und Schüler nehmen die Möglichkeit wahr, obwohl die Chancen sehr gut stehen, wie Zahlen aus dem Bayerischen Landtag (externer Link) belegen.

Ebenfalls an einem Probeunterricht teilnehmen müssen Schüler von Privatschulen wie Montessori- oder Waldorfschulen, wenn sie an ein normales Gymnasium oder in eine Realschule wechseln wollen.

Es gibt viele Wege zum Abitur

Elternwille hin oder her – um den Druck aus der Situation zu nehmen, sollte man sich klarmachen: Dem eigenen Kind steht alles offen, auch wenn es nicht nach dem Übertritt auf das Gymnasium kommt. Und wenn sich Eltern und Schüler später doch noch anders entscheiden? Bildungsforscher Hartinger sieht immerhin Fortschritte bei der Durchlässigkeit des Bildungssystems: Der spätere Wechsel der Schule ist auch in Bayern einfacher geworden – von der Mittelschule auf die Realschule oder von der Realschule aufs Gymnasium. Das Bildungssystem ist also keine Einbahnstraße mehr.

💬 BR24-User "Augenzeuge" hat in den Kommentaren angesprochen, dass Schulwechsel in der Mittel- und Oberstufe selten seien. Das Team von "Dein Argument" hat ergänzt:

Das bayerische Kultusministerium sieht einen Wechsel der Schulart als Momentaufnahme des individuellen Bildungswegs. Bildungskarrieren müssen in Bayern nicht zwingend linear verlaufen, so wie der Weg von einem Gymnasium an eine Mittelschule führen kann, geht es auch umgekehrt.

Möchte zum Beispiel ein Schüler aus der Jahrgangsstufe 7 einer Mittelschule an das Gymnasium wechseln, ist dies möglich. Besagter Schüler müsse eine Aufnahmeprüfung sowie eine Probezeit bestehen.

Laut einer Erhebung des Statistischen Bundesamts besuchten im Schuljahr 2022/23 insgesamt rund 755.000 Schüler Gymnasien, Realschulen und Haupt- bzw. Mittelschulen in Bayern. Zahlen des Kultusministeriums zeigen, dass zwischen Oktober 2022 und Oktober 2023 rund 8.000 Schülerinnen und Schüler zwischen den Jahrgangsstufen fünf bis zehn an höhere Schulen gewechselt sind. So wechselten in dem Zeitraum zum Beispiel nach der fünften Klasse 1.610 Schülerinnen und Schüler von der Mittelschule an eine Realschule. Nach der zehnten Klasse der Mittelschule traten 247 Schülerinnen und Schüler an ein Gymnasium über. 💬

Es gibt zahlreiche Wege im bayerischen Bildungswesen, um später mal studieren zu können. Die Broschüre "Auf dem zweiten Bildungsweg zur Allgemeinen Hochschulreife" (externer Link) vom Bayerischen Staatsministerium weist einige Wege auf.

Im Video: Was muss sich ändern an Bayerns Grundschulen?

Sendung vom 24.04.2024
Bildrechte: BR/Kolb
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Nach Pisa-Debakel: Was muss sich ändern an Bayerns Grundschulen?

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