Seit Monaten liefern sich die US-Eliteuniversität Harvard und US-Präsident Donald Trump einen erbitterten Machtkampf. Laut dem Wissenschaftsmagazin "Nature" (externer Link) wurden über 1.000 Harvard-Forschungsvorhaben die finanzielle Unterstützung entzogen – ein Fördervolumen von rund 2,1 Milliarden Euro. Auch andere Hochschulen sind betroffen. Grund sind unter anderem die "Executive Order 14151" (externer Link) und "Executive Order 14173" (externer Link), mit der sämtliche staatlich geförderten Programme zu Diversität, Gleichberechtigung und Inklusion beendet wurden. Das betrifft bestimmte Forschende und Forschungsbereiche besonders hart und sendet Schockwellen bis nach Deutschland.
Besonders von Streichungen der Trump-Regierung betroffen: unterrepräsentierte Gruppen
Von den Streichungen sind überproportional Forschende betroffen, die selbst zu benachteiligten Gruppen gehören (externer Link) – etwa Frauen, ethnische Minderheiten oder Forschende aus sozioökonomisch benachteiligten Verhältnissen. "Nature"-Reporterin Smriti Mallapaty hat mit Betroffenen gesprochen: "Die ersten Reaktionen waren Empörung, Verwirrung – sie waren bestürzt und konnten nicht verstehen, was passiert war und warum ihre Fördermittel gestrichen worden waren."
Forschungen herausgefiltert: schwarze Liste mit Schlagwörtern
Teilweise scheint es bei den Streichungen ein Muster zu geben: Mallapaty wurde im Gespräch mit den "National Institutes of Health", den US-amerikanischen Gesundheitsbehörden, bestätigt, dass Forschungsvorhaben mit bestimmten Schlagwörtern gezielt herausgegriffen wurden: "Einige dieser Begriffe sind zum Beispiel 'soziale Determinanten von Gesundheit', 'Ungleichheit', 'Rassismus' oder 'benachteiligte Gruppen'."
Migrationsforscherin Prof. Birgit Glorius von der TU Chemnitz hat einen Fall einer Forscherin vor Augen, "die zu geschlechtsbezogenen Krankheitsverläufen forscht, die den Begriff 'Frau' in ihren Forschungsantrag hineingeschrieben hat - weil sie eben die Auswirkungen von verschiedenen Erkrankungen auf Frauen erforscht – und die die Bewilligung nicht bekommen hat, weil 'Frau' auf der schwarzen Liste steht".
Forschung zu Bildung und Gesundheit in Gefahr
Für viele Forschungsbereiche könnte das massive Konsequenzen haben, darauf weist Prof. Katrin Lohrmann vom Lehrstuhl für Grundschulpädagogik und Grundschuldidaktik an der Ludwig-Maximilians-Universität München hin: "Wenn zum Beispiel Fragestellungen zu Bildungsgerechtigkeit nicht mehr in dem Maße gefördert werden, wie das aktuell der Fall ist, dann fehlt es an Forschungsbefunden dazu, wie man Kinder mit bestimmten Lernvoraussetzungen gut fördern kann. Das ist eine Frage, die ganz konkret die pädagogische Gestaltung von Unterricht betrifft."
Auch für die Versorgungsforschung haben solche Einschnitte dramatische Folgen, ergänzt Nature-Reporterin Mallapaty. Sie hat mit einer Wissenschaftlerin gesprochen, die zu Nierenerkrankungen in sozial schwächer gestellten Bevölkerungsschichten forscht. Auch ihre finanzielle Unterstützung wurde gestrichen.
Unsicherheit und Zukunftsangst unter Forschenden in den USA
Doch bei anderen Projekten blieb für die Beteiligten völlig unklar, warum sie ins Visier der Regierung Trump geraten waren, berichtet Mallapaty. Das schüre massive Unsicherheit innerhalb der Wissenschaftsgemeinschaft: "Junge Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sagen, sie wüssten nicht, ob sie in diesem Fachgebiet eine Zukunft hätten, und vielleicht sollten sie ihre Arbeit in diesem Bereich nicht weiterverfolgen."
Viele sollen die Entscheidungen anfechten, doch auch das ist nicht immer leicht, erklärt Migrationsforscherin Glorius: "Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen sind ja oft sehr prekär beschäftigt in zeitlich befristeten Anstellungen – und sich da zu wehren, dann riskiert man, beim nächsten Mal nicht mehr berücksichtigt zu werden."
Mehr Wertschätzung für deutsches Uni-System
Für Deutschland scheint das US-amerikanische "Streichkonzert" ein Weckruf zu sein: Habe man an den Universitäten hierzulande noch während Trumps erster Amtszeit auf eine "Skurrilität, die vorübergeht" gehofft, sei nun der "Bann des naiven Optimismus gebrochen", meint Mike Rottmann, wissenschaftlicher Koordinator an der Goethe-Universität Frankfurt.
Er sieht "eine Art von Zusammenrücken und vitalisierter Partnerschaft von Lehrenden und Studierenden – und einer neuen Wertschätzung der ganz überwiegend liberalen Situation hierzulande". Man würde jetzt den Auftrag empfinden, wegen Trump Universitäten und Wissenschaft vorsorglich gegen das zu verteidigen, was sich in den USA schon Bahn bricht.
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