Nach dem gigantischen Gletscherabbruch im Lötschental im Schweizer Kanton Wallis droht nun eine weitere Katastrophe. Ein meterhoher Damm aus Geröll, Fels und Eis verhindert den Abfluss des Flüsschens Lonza. Dahinter stauen sich bereits immense Wassermassen.
Flutwelle stellt Einsatzkräfte vor weitere Herausforderungen
Wenn das Wasser durchbricht, droht weiter unten im Tal eine Flutwelle oder ein Murgang, also eine Gerölllawine, wenn das Wasser dann Teile des Damms ins Tal reißt. "Viele denken: Jetzt ist der Bergsturz unten und das Schlimmste ist vorbei", erklärt Michael Krautblatter, Professor für Hangbewegungen an der TU München, aber es bestehe weiter eine "sehr gefährliche Situation". "Man muss dieses Wasser wegbekommen, bevor es Ausbrüche gibt", so der Experte im BR-Interview. Da die Geröllmassen den Fluss Lonza aufgestaut haben, bedroht eine sogenannte "Schwappwelle" weiter talwärts liegende Ortschaften, erläutert der Fachmann für alpine Naturgefahren.
In zwei Weilern wurden bereits mehrere Häuser vorsichtshalber geräumt. Auf Drohnenbildern ist zu sehen, dass ein Großteil von Blatten unter einer meterhohen Schuttschicht liegt, die wenigen verschonten Häuser sind von der Lonza überflutet. "Auch jetzt sind die Einsatzkräfte wirklich in einer sehr schwierigen Situation vor Ort", sagt Krautblatter. Diese sogenannten Schwappwellen könnten typischerweise wenige Stunden bis wenige Tage später eintreten. Es sei möglich, dass diese Nachereignisse schwieriger zu bewältigen sein können als der Gletscherabbruch.
"Die Leute haben alles verloren"
Der Abgeordnete Beat Rieder aus dem Nachbarweiler Wiler sprach im Schweizer Fernsehen von einer Jahrhundertkatastrophe. "Es ist ein Ereignis, das das Tal seit Beginn der Geschichtsschreibung nie erlebt hat", sagte er. "Die Leute haben alles verloren, was man sein ganzes Leben aufgebaut hat."
Betroffen ist auch der Weiler Ried, nur einen Kilometer vor Blatten. Anwohner Daniel Ritler sagte dem Portal "20 Minuten": "In ein paar Sekunden war die ganze Heimat kaputt." Hof und Haus habe er auf Bildern nicht mehr gefunden. "Es sah so aus wie auf dem Mond." "Ein Tal weint", schrieb die Online-Plattform des lokalen Medienhauses Pomona.
"Vielleicht kann man die Häuser so ausgraben, dass man ein persönliches Hab und Gut zum Teil noch herausholen kann, aber das Baumaterial wird zu großen Teilen zerstört sein", glaubt Michael Krautblatter.
Klimawandel Grund für die Katastrophe?
Das Kleine Nesthorn liegt auf 3.340 Metern. "Das ist genau die Höhe, auf der wir zurzeit die meisten Felsstürze und noch größere Sturzereignisse sehen", erklärt Michael Krautblatter von der TU München. "Es gibt inzwischen Hunderte Felssturz-Ereignisse in den Alpen, die alle aus diesem Bereich kommen, und die bringen wir mit Permafrost in Verbindung."
Die gestiegenen Temperaturen der letzten Jahre würden die Bedingungen verändern. Das habe vor allem drei Folgen: Das Eis werde weniger stabil, die Festigkeit des Felsens nehme ab und durch die gestiegene Temperatur sei es möglich, dass Wasser in die Spalten der Gletscher komme. "Durch diese drei Effekte sehen wir in diesen Höhen gerade sehr viele Sturzereignisse."
Permafrost auf der Zugspitze
In den bayerischen Alpen herrscht lediglich sehr lokal Permafrost - etwa auf der Zugspitze. Die Veränderungen im Permafrost-Fels auf der Zuspitze untersucht und misst Krautblatter mit seinem Team selbst. Und auch hier hat sich die Temperatur im Felsinneren innerhalb von zehn Jahren von Minus 1,2 auf Minus 0,7 Grad Celsius erhöht.
Ziel der Forschung sei es, Felsstürze zuverlässig vorhersagen zu können. So entwickeln die Forscher etwa geophysikalische Methoden, um immerhin 20 bis 30 Meter tief in Felsen hineinzugucken. Krautblatters Arbeitsgruppe "Alpine Naturgefahren" an der Technischen Universität München baut derzeit ein Gefrier-Labor, um die Klimaerwärmung im Permafrost-Fels und deren Folgen noch genauer zu erforschen.
Mit Material von dpa
Im Video: Gletschersturz trifft Dorf im Wallis
Nach einem Gletschersturz im Dorf im Wallis wird eine Person vermisst.
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