Für Markus Söder ist das Thema abgehakt. Nachdem der bayerische Ministerpräsident und CSU-Chef von der Ampel-Regierung monatelang eine Wiederbelebung der drei zuletzt abgeschalteten deutschen Atomkraftwerke (AKW) gefordert hatte, konnten sich CDU, CSU und SPD in ihren Koalitionsverhandlungen darauf nicht einigen. Der Wunsch der CSU sei groß gewesen, es "gab aber keine politische Mehrheit", sagte Söder im April dazu. Damit hat das bayerische Atomkraftwerk Isar 2 keine Zukunft, der Rückbau geht weiter.
Das ist zwar im Sinne des Grünen-Landtagsabgeordneten und AKW-Gegners Martin Stümpfig. Einen Schlussstrich unter die Debatte will er trotzdem nicht ziehen. Im Gegenteil: Seit Monaten schreibt er dazu immer wieder Briefe an die Staatsregierung und wirft dem Ministerpräsidenten vor, im Bundestagswahlkampf die Menschen beim Thema Atomkraft getäuscht zu haben.
Wer sind Söders Atom-Experten?
Der Grünen-Energieexperte verweist auf Söders Behauptung wenige Tage vor der Wahl. Im Februar hatte der Ministerpräsident betont: Nach "Rücksprachen mit vielen technischen Experten" sei eine Reaktivierung von Isar 2 "in diesem und im nächsten Jahr jederzeit möglich", die Kosten wären "auch nicht sehr groß". Mit dieser Aussage widersprach Söder früheren Angaben von Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger ("drei bis vier Jahre und Kosten mehrere Milliarden Euro") sowie des AKW-Betreibers Preussen Elektra (Anlage "praktisch nicht mehr reaktivierbar").
Kurz nach dieser Pressekonferenz Söders versuchte der BR, von der Staatsregierung zu erfahren, auf welche Quellen sich der Ministerpräsident stützt. Die Staatskanzlei verwies auf das Wissenschaftsministerium. Das Wissenschaftsministerium berief sich auf "verschiedene Experten" samt dem Umweltministerium. Dort hieß es, der Rückbau sei grundsätzlich reversibel, die Abschätzung der Kosten falle aber nicht in die eigene Zuständigkeit. Das für Energie zuständige Wirtschaftsministerium wiederum leitete die BR-Anfrage an Umweltministerium und Staatskanzlei weiter. Die Experten blieben ungenannt.
Grünen-Politiker: Diese Atom-Experten gibt es nicht
Unabhängig vom BR stellte Stümpfig damals parlamentarische Anfragen an die Staatsregierung und verlangte Auskunft über die Atomkraft-Experten. Da ihn die Antworten nicht befriedigten, stellte er auch eine Anfrage nach dem Umweltinformationsgesetz: Dies sei "das schärfste Schwert, weil es die Behörden dazu verpflichtet, sämtliche, relevante Informationen zu den Vorgängen herauszugeben", erläutert Stümpfig. Mittlerweile steht aus Sicht des Abgeordneten fest: Diese Experten "gibt es schlichtweg nicht". Das Umweltministerium habe in keiner Antwort auch nur einen Experten genannt.
Die Schreiben der Staatsregierung liegen dem BR vor. In seiner jüngsten Antwort beruft sich das Umweltministerium in erster Linie auf ein technisches Gutachten des TÜV Süd vom April 2022. Als dieses erstellt wurde, war das AKW Isar 2 allerdings noch in Betrieb: Es ging nicht um die Frage einer Reaktivierung, sondern um die Möglichkeit eines Weiterbetriebs über das geplante Abschaltdatum hinaus. Zudem verwies das Ministerium auf "eigene Expertise" in der Staatsregierung und fügte hinzu: "Weitere Unterlagen zu der Thematik liegen dem Bayerischen Staatsministerium für Umwelt und Verbraucherschutz nicht vor."
"Glatt gelogen"
Für Stümpfig ein "ungeheuerlicher Vorgang". Wenn es die von Söder erwähnten Experten gar nicht gebe, habe der Ministerpräsident kurz vor der Bundestagswahl "glatt gelogen". Das Mindeste sei eine Klarstellung der Fakten gegenüber "getäuschten Wählerinnen und Wählern". Sonst gehe Vertrauen verloren.
Staatskanzlei: Keine Stellungnahme zu "haltlosen" Vorwürfen
Die Staatskanzlei will auf BR-Anfrage zu Stümpfigs Vorwürfen eigentlich gar nichts sagen, tut es aber doch. "Wir bitten um Verständnis, dass wir zu haltlosen Lügen-Vorwürfen keine Stellung nehmen. Sie werden nicht wahrer, indem man sie ständig wiederholt", teilt ein Staatskanzlei-Sprecher mit.
Die Staatsregierung habe sich zu Stümpfigs Anfragen wiederholt umfassend geäußert, betont der Sprecher – und verweist auf ein Scheiben aus dem März. Darin wird betont, dass das Umweltministerium als atomrechtliche Aufsicht "umfassende Einblicke" über die bisherigen Demontagen im AKW Isar 2 habe, "die technische Rückabwicklung" sei "grundsätzlich nicht ausgeschlossen". Trotz ständiger Nachfragen zu Experten – es wird keiner genannt.
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