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Bildungsurlaub: Warum Bayern nicht mitmacht

Bildungsurlaub: Warum Bayern nicht mitmacht

Stressbewältigung mit Yoga, Sprachreise oder Computerkurs: Dafür gibt es fast überall in Deutschland fünf Tage bezahlte Extrazeit pro Jahr. Bayerische Beschäftigte können davon nur träumen. Warum es in Bayern kein "Bildungsfreistellungsgesetz" gibt.

Ein Yogastudio in Bad Hindelang im Oberallgäu: Christina Tetzner übt mit ihren Seminarteilnehmern und -teilnehmerinnen gerade die Haltung der "Helden"-Schrittstellung, und alle strecken die Arme weit nach oben. "Das ist eine tolle Ausgleichshaltung zu unserem sitzenden Alltag", erklärt die Yoga-Lehrerin. Als anerkannte Trägerin für Bildungsurlaub gibt sie regelmäßig Seminare zu Themen wie Stressbewältigung, innere Ruhe oder Ausgeglichenheit.

"Immer unter Strom": Job und Familie kosten oft viel Kraft

Die rund 15 Teilnehmenden - gleichermaßen Männer wie Frauen - sind alle Bildungsurlauber aus anderen Bundesländern. Sie haben dafür fünf Tage bezahlte Freistellung von ihren Arbeitgebern bekommen. Uschi Stadler zum Beispiel arbeitet als Beraterin an einem Pflegestützpunkt in Hessen: "Dafür muss ich viel reden, ich muss viel zuhören und wenn meine Konzentration verloren geht, brauche ich Strategien, wie ich sie in den Gesprächen erhalte", beschreibt sie ihre Motivation für das Seminar.

Torben Kiefer, Kameramann aus Nordrhein-Westfalen, fügt an, dass nicht nur die Arbeit, sondern auch das Privatleben stressig sein können. "Wenn man eine Familie hat, dann hat man immer viel tun", sagt er. Genauso empfindet das auch Svenja Ivanovski, Assistentin in einer hessischen Behörde: "Ich habe das Gefühl, immer unter Strom zu sein."

Bildungsfreistellungszeit auch Verschnaufpause vom Alltag

Im Allgäu wollen sie sich eine Auszeit von diesem Druck im Alltag gönnen, eine Verschnaufpause für sich selbst und wieder Kräfte sammeln. Dafür haben sie bei ihren Arbeitgebern Bildungsfreistellungszeit beantragt. Die ist bis auf Sachsen und Bayern in allen Bundesländern gesetzlich verankert und beträgt für Vollzeitbeschäftigte in der Regel zehn Tage, die innerhalb von zwei Jahren zur Verfügung stehen.

Seitdem die Bundesrepublik 1976 ein Übereinkommen der internationalen Arbeitsorganisation zum bezahlten Bildungsurlaub ratifiziert hat, haben meist sozialdemokratische Landesregierungen oder - wie in Baden-Württemberg - die Grünen entsprechende Gesetze auf Landesebene eingeführt. Im CSU-regierten Bayern ist das bisher ausgeblieben. Bayerns Sozialministerin Ulrike Scharf (CSU) hat dazu auch eine klare Meinung. "Dieses Gesetz ist überflüssig", erklärt sie im BR-Interview.

Nur wenige nutzen Bildungszeit

Vielmehr setze die bayerische Regierung auf freiwillige Weiterbildung. Arbeitgeber sollen ihren Beschäftigten also auf freiwilliger Basis Fort- und Weiterbildungen ermöglichen, beziehungsweise Bürger sollen sie eigenverantwortlich umsetzen. Bestätigt sieht sich Sozialministerin Scharf von der Statistik. Aufgrund der Zahlen aus anderen Bundesländern stelle sie fest, "dass der Anteil der Anspruchsberechtigten, die diesen Urlaub nehmen könnten, einfach nicht hoch ist".

Tatsächlich liegt der Anteil der Beschäftigten, die Bildungszeit nutzen, nach Schätzungen des ifo-Instituts deutschlandweit bei lediglich 3,5 Prozent. Für die Opposition im bayerischen Landtag ist das kein Argument. Doris Rauscher, Sprecherin der Bayern-SPD für Arbeit, Soziales und Familie, findet: "Das ist einfach zu kurz gedacht. Gerade in der heutigen Zeit, wo sich die Arbeitswelt im Wandel befindet, würde ein Bildungsfreistellungsgesetz Bayern gut anstehen."

Bayerische Opposition will Bildungsurlaub dennoch einführen

Die SPD wie auch die Grünen haben in der Vergangenheit mehrfach versucht, bezahlte Bildungszeit in Bayern einzuführen, und sind gescheitert. Rauscher will es aber in der laufenden Legislaturperiode wieder probieren. "Wir haben sicher Hochqualifizierte, die von ihren Arbeitgebern auch wieder Fortbildung bekommen. Aber gerade Geringqualifizierte fühlen sich manchmal etwas abgehängt, weil sie eben keinen gesetzlichen Anspruch auf diese Weiterbildung haben."

Inzwischen gibt es auch eine Online-Petition, die erreichen will, dass Bayern Bildungsurlaub einführt. Darüber hinaus fordern viele Verbände und Vereine aus den Bereichen Brauchtumspflege, Kirche, Gewerkschaften, Sozialverbände, Sport und Frauen gemeinsam das Recht auf Bildungszeit. Sie versprechen sich davon zum Beispiel, dass sich mehr Menschen für ein Ehrenamt schulen lassen.

Verena Bentele ist Präsidentin des VdK Bayern und hält es für enorm wichtig, dass sich bayerische Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen weiterbilden können, ohne Gehaltseinbußen zu haben oder ihren Erholungsurlaub dafür verwenden zu müssen. "Die Menschen brauchen Fähigkeiten, müssen sich mit neuen Computertechniken, aber auch mit neuen Regeln und Gesetzen für Vereine auseinandersetzen." Die Zivilgesellschaft brauche ehrenamtliches Engagement, das stärke und motiviere sie.

Fort- und Weiterbildung: Große Auswahl an Seminaren

In der Hindelanger Yoga-Akademie von Christina Tetzner haben es sich die Teilnehmenden inzwischen auf ihren Matten gemütlich gemacht. "Genießt einfach mal diese Pause, einfach dazuliegen, nichts tun zu müssen, einfach nur sich selbst zu genießen", leitet die Yoga-Lehrerin die Frauen und Männer an. Sie sollen den Kopf, das Gedankenkarussell, versuchen auszuschalten, die sogenannte "Me-Time" einfach nur auskosten. "Wir merken ja, psychische Erkrankungen nehmen zu, Burnout nimmt zu, eine Auszeit in Form eines Bildungsurlaubs kann da helfen, gesund zu bleiben", davon ist Tetzner überzeugt.

Die Auswahl an Fort- und Weiterbildungsmöglichkeiten ist groß und beschränkt sich nicht nur auf präventive Gesundheitsseminare. Über 300 anerkannte Träger in Deutschland bieten zum Beispiel auch Fremdsprachen- oder Computerkurse, aber auch politische Seminare an. Der Weg dorthin ist für die Beschäftigten meist einfach: Kurs raussuchen, reservieren und die Unterlagen bei der Personalabteilung einreichen. Das Unternehmen genehmigt dafür dann Bildungsurlaub, die Kosten für den Kurs und auch die Unterbringung muss jeder selbst zahlen.

Aber: Bildungsurlaub kaum bekannt

Doch auch wenn der Anspruch auf Bildungsfreistellung in einigen Bundesländern schon seit Jahrzehnten besteht, ist das Konzept vielen nicht bekannt. Viele Unternehmen bewerben es schlicht nicht. Torben Kiefer berichtet, er sei vor wenigen Jahren der Erste in seiner Abteilung gewesen, der Bildungsurlaub genommen hat. "Aber ich arbeite daran und mache viel Werbung dafür und es werden jetzt immer mehr."

Inzwischen ist nur mehr leises Atmen der Teilnehmer und Teilnehmerinnen des Hindelanger Stressbewältigungskurses zu hören. Bevor alle ganz einschlafen, holt sie Christina Tetzner sanft zurück. Sie räkeln und strecken sich. Alle sind überzeugt von dem Konzept Bildungsurlaub, wissen die Zeit zu schätzen, fühlen sich entspannter. Torben Kiefer ist sich sicher: "Mein Arbeitgeber profitiert total davon, dass ich in Ruhe und Gelassenheit zurückkomme an meinen Arbeitsplatz."

Dieser Artikel ist erstmals am 26.04.2024 auf BR24 erschienen. Das Thema ist weiterhin aktuell. Daher haben wir diesen Artikel erneut publiziert.

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