In Altschauerberg, einem Ort mit rund 40 Einwohnerinnen und Einwohnern im Landkreis Neustadt an der Aisch-Bad Windsheim, erinnert nur noch eine Wand mit Graffiti an das ehemalige Zuhause des sogenannten "Drachenlords". Rainer Winkler war YouTuber – und Opfer des "schlimmsten Cybermobbingfalls Deutschlands", sagt Matthias Schwarzer vom Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND). Er kennt das Netz und auch den Drachenlord.
Wer ist der Drachenlord?
"Zuerst war er nur eine lokale Kultfigur aus der lokalen Metal-Musik-Szene", sagt Gregor Schmalzried, Digitalexperte des Bayerischen Rundfunks. Doch seine "Hater", also Anti-Fans, machten sich über ihn lustig, mobbten ihn regelrecht – all das nannte die Community beschönigend "Drachengame". Schmalzried hat das sogenannte "Drachengame" von Anfang an fasziniert. Ihn erinnert das an eine Reality-Soap – ohne Drehbuch.
Der Tag X im Drachenlord-Fall liegt weit zurück, im Februar 2014: Ein Hater soll, laut Winkler, seine Schwester am Telefon bedroht haben. Aus Wut gab der Drachenlord seine eigene Adresse im Internet preis, und forderte die Hater auf, ihn zu besuchen. Damit löste er eine ungeahnte Lawine des Hasses aus, die jahrelang niemand einfangen wird – weder Gemeinde noch Polizei oder Landespolitik. Psychoterror, Lärm, Wildpinkler und körperliche Angriffe prägten den neuen Alltag Altschauerbergs. Die lokale Kultfigur bekam plötzlich bundesweite Aufmerksamkeit.
2018 pilgern tausende Hater in den Gemeindeteil von Emskirchen zum "Schanzenfest". Ihr erklärtes Ziel: Die Schanze, also das Haus von Rainer Winkler, abreißen und ihn davon abhalten, weiter im Internet aktiv zu sein. Vor fast vier Jahren verließ Winkler tatsächlich Altschauerberg. Sein Haus kaufte die Gemeinde und riss es ab. Dann wurde es ruhiger. Bis zum Schanzenfest im August 2025.
Neuauflage des Schanzenfestes
Doch das diesjährige Schanzenfest war anders. Rainer Winkler wurde als Popstar und Kultfigur gefeiert. In Emskirchen verkauften seine neuen Fans sogar Merchandise, schwenkten überlebensgroße Rainer-Winkler-Fahnen. "Baut die Schanze wieder auf", skandierten die Teilnehmer. Die meisten waren jung, halbstark, erlebnisorientiert. Es hat sich anscheinend etwas verändert. Nur was?
Diese Frage zu klären, gestaltet sich schwierig. Weder die Bürgermeisterin von Emskirchen, noch Anwohner oder Medienpsychologen wollen mit uns sprechen: Sie alle fürchten, zur Zielscheibe der Hater zu werden – wie schon in der Vergangenheit geschehen.
Matthias Schwarzer vom RND aber spricht mit uns. Der Netzexperte erklärt das Comeback des Drachenlords auf der Plattform "TikTok" so: Der Drachenlord wurde zum Meme, seine alten YouTube-Videos neu abgemischt und von der jüngeren Generation parodiert. Denn, so Schwarzer: "Der Drachenlord als Figur hat ja durchaus einen gewissen Comedyfaktor."
Gemeint sind damit dessen unglückliche Aussagen und der fränkische Dialekt. Und plötzlich habe sich um Rainer Winkler ein neuer Hype entwickelt, "ohne dass die Menschen tatsächlich wussten, was hinter diesem Fall steckt", ist Matthias Schwarzer überzeugt. "Das TikTok-Publikum ist sehr jung. Die haben gar nicht mitbekommen, was mit ihm passiert ist."
VIDEO: Schanzenfest ohne Drachenlord – was ist mit den Hatern los?
Drachenlord: Warum hält sich der Hasskult so lange?
"Hater" haten die Neuen
Die alten Hater distanzierten sich in den sozialen Medien nach dem Schanzenfest im August 2025 offen vom Nachwuchs. Die "Alten" bezeichneten die Neuen als "Level 0er" – eine Anlehnung an den Amateurstatus im Drachengame. Schwarzer sagt dazu: "Die Original-Hater waren nicht wirklich begeistert von dem, was da lief." Das deuten zumindest die Beiträge "in den dunklen Ecken des Internets" an.
Marc Siegl, Pressesprecher des Polizeipräsidiums Mittelfranken, war im August in Altschauerberg vor Ort. 4.000 junge Menschen kamen hier zum Schanzenfest, das lag weit über den Schätzungen der Sicherheitskräfte. Obwohl einzelne Männer dazu aufriefen, die Polizeikette zu durchbrechen, habe Siegl weder eine aufgeladene noch aggressive Stimmung feststellen können.
Die Polizei habe ihr Ziel erreicht, die Menschen von der Schanze fernzuhalten. Den Teilnehmern sei es um "Halligalli" gegangen, um Videos, die sie beim Schanzenfest 2025 zeigen. "Die meisten waren zwischen 14 und 25 Jahre alt", so der Polizeisprecher – also die Generation TikTok.
Wenig los beim Winter-Schanzenfest
Matthias Schwarzer wagt eine Prognose: TikTok ist eher für eine kurze Aufmerksamkeitsspanne bekannt. Bedeutet: "Trends, die gestern noch total hip waren, können morgen auch schon wieder völlig uninteressant sein." Das hofften wohl auch die Altschauerberger, als ein neues Schanzenfest für den 20. Dezember angekündigt wurde.
Der Digital-Experte sollte Recht behalten: Das Polizeiaufgebot war am vierten Adventswochenende riesig, die Anzahl der Drachenlord-Fans eher gering. Ein paar Dutzend versuchten, sich Richtung Schanze aufzumachen. Die wurden aber von der Polizei mit Hinweis auf eine bestehende Allgemeinverfügung des Platzes verwiesen.
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