Helena hat das Rett-Syndrom, bei der Pflege bekommt ihre Mutter Unterstützung vom Pflegedienst.
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Mutter Ulrike Ramm ist zur Pflege ihrer Tochter auf den Pflegedienst angewiesen
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Mutter Ulrike Ramm ist zur Pflege ihrer Tochter auf den Pflegedienst angewiesen

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Intensivpflege daheim: Droht Familien der Pflege-Kollaps?

Intensivpflege daheim: Droht Familien der Pflege-Kollaps?

Wer sein schwer krankes Kind daheim pflegt, ist auf Außerklinische Intensivpflege durch Pflegedienste angewiesen. Das ist teuer, die Kassen prüfen genau. Einige Eltern bangen um die Versorgung - denn seit dem 1. Juli gelten neue Richtlinien.

Über dieses Thema berichtet: BR24 im Radio am .

"Helena hat oft Zitterattacken, also epileptische Anfälle", sagt Ulrike Ramm. Ihre Tochter kam gesund zur Welt. Plötzlich verzögerte sich im zweiten Lebensjahr ihre Entwicklung. Die heute 16-Jährige kann nicht reden, nicht laufen, muss gefüttert werden. Sie hat das RETT-Syndrom, bedingt durch einen Gen-Defekt. Ein Pflegedienst betreut sie zu Hause - doch wie lange noch?

Zitter-Partie: Verlängert die Kasse die Kostenzusage?

Helena lebt bei ihrer Mutter in Augsburg. Während die Tochter die Schule besucht, arbeitet Ulrike Ramm. Dass die Mutter dazu Kraft hat, ist nur möglich mithilfe des Pflegedienstes Cosmea Intensivpflege Schwaben aus Augsburg. Aktuell bewilligt ihre Kasse jeden Monat 450 Stunden Außerklinische Intensivpflege (AKI).

Doch ob das Personal auch in Zukunft zu Helena kommen kann, ist eine Zitterpartie. Denn ihre Kasse gibt keine dauerhafte Kostenzusage. Diese Sorge haben auch andere. Die gesetzliche Einzelfallprüfung findet alle sechs Monate statt. Die Unsicherheit ist ein Risiko – einerseits für die Berufstätigkeit der Eltern, andererseits für den Pflegedienst. "Damit wir gutes Personal halten können, brauchen wir verbindliche Zusagen", sagt Susanne Geiger, Pflegedienstleiterin bei Cosmea.

Seit 1. Juli: Neue Richtlinien für Außerklinische Intensivpflege

Seit dem 1. Juli gibt es neue Richtlinien für die AKI. Damit bekommt die Einzelfallprüfung der Pflege schwer kranker Menschen, die daheim versorgt werden, noch mehr Gewicht. Vorteile bringt das vor allem für beatmete und tracheal­kanülierte Versicherte, die schon vor dem 1. Juli im Rahmen der AKI versorgt wurden. Bei ihnen ist die Potenzialerhebung, also die regelmäßige Prüfung auf Notwendigkeit intensivmedizinischer Pflege, nicht mehr verpflichtend vor jeder Verordnung. Anders bei AKI-Neupatienten mit Beatmungsbedarf oder bei Patienten mit Epilepsie wie Helena. Sie bangen weiter.

Gesundheitsministerium: Einzelfallprüfung auch als Chance sehen

Laut Bayerischem Gesundheitsministerium ist die Einzelfallprüfung eine Chance: "Nachdem bei der Potenzialerhebung besonders qualifizierte Ärzte prüfen, ob eine vollständige Entwöhnung von der Beatmung, eine Umstellung auf eine nicht-invasive Beatmung oder die Entfernung der Trachealkanüle möglich ist (…), bedeutet dies für Betroffene auch eine Chance, nach einer Entwöhnung von der künstlichen Beatmung oder einer Entfernung der Trachealkanüle wieder ein eigenständigeres Leben führen zu können", sagt eine Ministerium-Sprecherin.

Mehr Ablehnung durch Kassen - mehr Beratungen bei Sozialverband

Allerdings: Seit die neue AKI-Richtlinie 2023 mit Übergangsregelungen auf den Weg gebracht wurde, wird der Sozialverband VdK deutlich mehr für Rechtsberatungen zur AKI angefragt. Weil die Kosten für AKI sehr hoch sind, versuchen die Kassen zu sparen. Auf BR-Nachfrage erklärte beispielsweise die AOK Bayern, dass sie im vergangenen Jahr 7,9 Prozent der eingegangenen Verordnungen für 1.236 Versicherte auf AKI abgelehnt habe, also bei 98 Menschen. Im Vorjahresvergleich bedeutet das eine Steigerung der Ablehnungen um ein Drittel.

"Die neue Richtlinie führt zu Verschlechterungen oder sogar zu Versorgungslücken bei Menschen mit Diabetes oder Epilepsie", sagt VdK-Pflegeexperte Jan Gerspach. Immer häufiger würden die Kassen sagen, es lägen keine lebensbedrohlichen Situationen vor, sowohl bei beatmeten Kindern als auch bei Kindern mit Diabetes und Epilepsie. Aktuell würden auch viele Anträge auf Schulbegleitung abgelehnt, hier sieht der VdK Gesprächsbedarf zwischen Kassen und den Bezirken.

Immer wieder Nachweis nötig für lebensbedrohliche Situationen

Ulrike Ramm hat erlebt, dass ihr Pflegedienst zwei Monate ausfiel. Damals war die Bezahlung durch die Kasse nicht gesichert. "Ich bin trotzdem arbeiten gegangen, trotz Schlafmangel", sagt sie. Mit Widerspruch und Anwalt hat die Kasse wieder gezahlt.

Sie muss trotz der lebenslänglichen Erkrankung ihrer Tochter immer wieder nachweisen, dass täglich eine lebensbedrohliche Situation auftreten kann. Nur wenn dieser Fall dokumentiert ist, genehmigen die Kassen die weitere Verordnung. Für Pflegedienstleiterin Geiger ein Widerspruch. "Wir ergreifen präventive Maßnahmen in der Pflege, damit solche lebensbedrohlichen Situationen gar nicht erst entstehen."

Zukunft: Längere Zeiträume zwischen Überprüfungen?

Der VdK wünscht sich deshalb eine Nachbesserung der neuen AKI-Richtlinien. Die Zeiträume zwischen den Überprüfungen sollten ausgedehnt werden, vor allem bei Kindern wie Helena, die auf massive Unterstützung angewiesen ist und deren Zustand sich weiterhin verschlechtern wird.

Bis Ende 2026 muss der Spitzenverband der gesetzlichen Krankenkassen dem Bundestag über die Umsetzung der AKI berichten, sagt eine Sprecherin des bayerischen Gesundheitsministeriums auf BR-Nachfrage.

Für den Fall, dass ihre Kasse zukünftig nochmal die Finanzierung der Intensivpflege für Helena ablehnen würde, hat sich Mutter schon Gedanken gemacht: Vorsorglich hat sie sich schon um einen Platz im Pflegeheim gekümmert.

Im Video: Außerklinische Intensivpflege - Angehörige bangen um Zuschüsse

Zwei Frauen pflegen Kind
Bildrechte: BR
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Außerklinische Intensivpflege - Angehörige bangen um Zuschüsse

Dieser Artikel ist erstmals am 15.7.2025 auf BR24 erschienen. Das Thema ist weiterhin aktuell. Daher haben wir diesen Artikel erneut publiziert.

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