Die vierjährige Marie freut sich. Ihre Freundin Marla ist zu Besuch. Gemeinsam wühlen sie in der Spielkiste. Marla hält eine kleine, pinke Figur hoch. "Marie, schau mal, will die Peppa ins Haus rein oder auf die Schaukel?" Auf das Deuten Maries hin setzt Marla die Figur ins Haus. Die beiden verstehen sich gut, obwohl Marie nicht sprechen kann. Die Vierjährige hat einen seltenen Gendefekt, FLNA genannt. Das heißt: Ihre Muskeln und damit auch ihre Luftröhre sind nicht stabil, deswegen muss Marie rund um die Uhr beatmet werden.
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Marie hat ihre Freundin Marla im Inklusionskindergarten Lappersdorf kennengelernt. Für den Platz ist Familie Lechner sehr dankbar. In die Kita kann Marie nur in Begleitung einer Pflegefachkraft, die geschult ist in ambulanter Kinderintensivpflege.
Dringend gesucht: Personal für ambulante Kinderintensivpflege:
"Wie unser Leben verläuft, hängt komplett davon ab, ob der Pflegedienst kommt oder nicht", sagt Mutter Simone Lechner. Von Montag bis Freitag eine Pflegekraft zu haben, die Marie vormittags in die Kita begleitet, das ist ihr größter Wunsch. Denn von Maries guter Versorgung hängt auch die Berufstätigkeit der Eltern ab. Ihren Beruf als Sporttherapeutin hat Simone Lechner aufgegeben, sie arbeitet nun in Teilzeit für "Mein Herz lacht", ein Netzwerk pflegender Eltern. Ihr Mann Florian arbeitet weiterhin Vollzeit als Ingenieur.
Insgesamt wird Marie im Schichtdienst von 15 Mitarbeitenden des Pflegedienstes "Kindl" in Regensburg versorgt. Heute ist Anna-Lena Denk an ihrer Seite. Die 27-Jährige ist examinierte "Gesundheits- und Krankenpflegerin" sowie zertifizierte "Pflegefachkraft für außerklinische Beatmung". Anna-Lena Denk trägt viel Verantwortung: Notfalls muss sie in der Lage sein, Marie zu reanimieren. An ihrem Beruf liebt sie die Dankbarkeit. "Ich bekomme viel zurück von den Familien." Außerdem könne sie sich ohne Zeitdruck um das einzelne Kind kümmern.
Lösung: Mehr Ausbildungsplätze, mehr Bekanntheit
Wer wie Anna-Lena Denk als Kinderintensivpflegerin im ambulanten Bereich Familien unterstützen will, der braucht eine Ausbildung in der Pflege, Berufserfahrung und eine intensivmedizinische Weiterbildung, etwa im Bereich Beatmung. Der Pflegedienst "Kindl" versorgt Familien seit 30 Jahren. Vor allem in Ballungsräumen wie München ist "Kindl" immer auf der Suche nach Personal.
Auf BR-Anfrage sagt Gesundheitsministerin Gerlach, es sei ihr Ziel, mehr Absolventen der Pflegeausbildung für die Kinderkrankenpflege zu gewinnen. Dafür will das Ministerium auf Ausbildungsverbünde setzen. Konkret: Kliniken, Pflegeschulen und weitere an der Pflege beteiligten Einrichtungen schließen sich zusammen, damit Auszubildende während ihrer praktischen Ausbildung zeitweise an andere Fachkliniken wechseln, zum Beispiel an eine Kinderklinik.
Sozialverband VDK: Mehr Lohn für Pflegekräfte
Der Sozialverband VDK plädiert vor allem für eine bessere Bezahlung. Laut Bundesagentur für Arbeit verdienen Pflegekräfte in Krankenhäusern am besten, mit durchschnittlich 4.040 Euro im Monat - gegenüber einem Lohn von 3.424 Euro für ambulante Pflegefachkräfte.
Werden Kriterien berücksichtigt wie z.B. Zuschläge für Nachtdienst und Einsatzradius, dann kann eine Pflegefachkraft im ambulanten Bereich aber auch deutlich mehr verdienen, laut dem Pflegedienst "Kindl" in München bis zu 5.600 Euro brutto im Monat. Das regional übliche Entlohnungsniveau liegt derzeit in Bayern für Pflegefachkräfte bei einem Stundenlohn von 25,76 Euro (Quelle: AOK 2024).
Inklusion: Soziale Teilhabe ist ein Menschenrecht
Ganz klar: Marie hat Lust auf Leben. Sie ist geistig hellwach und sehr aktiv. Malen, schaukeln, Kühe streicheln, Kita besuchen: Das alles macht ihr viel Freude. "Marie braucht den Kontakt zu anderen", sagt ihre Mutter Simone Lechner. "Wir Eltern können ihr nicht so viel bieten wie gleichaltrige Kinder." Maries soziale Teilhabe und die aller Menschen mit Behinderung ist in Deutschland ein gesellschaftliches und politisches Ziel.
Seit 1994 steht im Grundgesetz, Artikel 3: "Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden". Bayern hat 2013 den "Aktionsplan Inklusion" veröffentlicht. In Maries Kindergarten sind fünf Kinder mit Förderbedarf, somit zählt dieser als inklusive Einrichtung. In Bayern gibt es derzeit 10.724 Kindertageseinrichtungen. Von diesen arbeiten mehr als die Hälfte inklusiv, laut bayerischem Sozialministerium.
Im Video: Pflege-Notstand trifft auch Kinder und Jugendliche
Die vierjährige Marie ist lebensfroh - leidet aber unter einem seltenen Gendefekt und muss beatmet werden.
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