Für Carolin Wagner begann der 6. November 2024 wie ein ganz normaler Tag einer Bundesabgeordneten. Die Landesgruppenchefin der BayernSPD erinnert sich noch, wie sie zwischen Terminen und Besprechungen jonglierte. Nichtsahnend, dass noch an diesem Abend die Regierung, der sie angehörte, zerbrechen würde. "Ich glaube, es war so viertel nach neun. Und dann hieß es über unseren SMS-Service der Fraktion, dass wir jetzt alle bald in die Fraktionssitzung kommen sollen. Es gibt eine wichtige Mitteilung", erinnert sie sich im BR-Politikmagazin Kontrovers.
"Keine Vertrauensbasis für weitere Zusammenarbeit"
Genau ein Jahr ist es her, dass der damals amtierende Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) vor die Presse trat und überraschend das Aus der Ampel-Regierung verkündet. "Es gibt keine Vertrauensbasis für weitere Zusammenarbeit, so ist ernsthafte Regierungsarbeit unmöglich", so Scholz Worte damals.
Streit um Schuldenbremse führt zu Ampel-Aus
Die andauernden Streitigkeiten in der Koalition aus SPD, Grünen und FDP, insbesondere das vergiftete Verhältnis zu Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) hatten die Regierung zerstört. Vor allem beim Thema Schuldenbremse gab es kein Vorankommen mehr: Die SPD wollte sie lockern, die FDP hielt dagegen. "Dass die FDP sich da überhaupt keinen Millimeter weiterbewegt hatte, war schon letztendlich ausschlaggebend", so die SPD-Bundestagsabgeordnete Carolin Wagner.
GroKo "hat man riechen können"
Kurz nach dem Ampel-Aus wurde die Schuldenbremse ein zentrales Wahlkampfthema. Der Unionskandidat Friedrich Merz versprach, daran festzuhalten – nur um als gewählter Bundeskanzler schon einige Monate später hunderte Milliarden neuer Schulden durchzuwinken. Es war nur eines von vielen Themen, in denen es scheinbar keine Schnittmengen zwischen Union und SPD gab. Für Wagner war trotzdem schon im Wahlkampf klar, dass alles auf ein Zweckbündnis zwischen den beiden Parteien hinauslaufen würde. "Das hat man riechen können", sagt sie.
Schwarz-Rot: Große Differenzen, große Kompromisse
Nach langen Verhandlungen und unter komplizierten Zugeständnissen beider Seiten – etwa in puncto Schuldenbremse oder beim Bürgergeld – steht ein Koalitionsvertrag zwischen Schwarz-Rot. "Die letzte Patrone der Demokratie", sagt Markus Söder damals. Doch bereits der Start der neuen Bundesregierung ist holprig: Erst die gescheiterte Kanzlerwahl von Friedrich Merz, dann der Eklat um die Wahl einer Verfassungsrichterin, außerdem Unstimmigkeiten in der Ausgestaltung der Wehrpflicht. Immer wieder wird deutlich, wie weit die beiden Koalitionspartner auseinanderliegen. Versprochene Vorhaben wie "der Herbst der Reformen" kommen kaum ins Rollen.
Zum Video: Einschätzung des Publizisten Albrecht von Lucke
Albrecht von Lucke, Publizist im Kontrovers-Interview
Neue Regierung: "Zerstörungseigendynamik"
Aus Sicht des Politikwissenschaftlers Albrecht von Lucke ist die neue Bundesregierung schon nach einigen Monaten mit ihrem Vorhaben, es besser zu machen als die Ampel, "kläglich gescheitert." Das äußere sich auch darin, dass die Große Koalition aus SPD und Union schon jetzt in den Umfragen keine Mehrheit mehr habe. "Vor kurzem hätte ich gesagt, die Regierung hält die vier Jahre durch. Aber die Zerstörungseigendynamik, die Einzug gehalten hat und die fatal ist, macht es nicht unwahrscheinlich, dass auch diese Koalition nicht die vier Jahre durchhält", sagt von Lucke im Interview mit Kontrovers.
Für von Lucke würde ein frühzeitiges Scheitern der aktuellen Regierung aus "zwei schrumpfenden Volksparteien" zu einer weitreichenden Spaltung des Landes führen. "Die Frage ist nur: Was kommt nach dieser Koalition?" Sollte es der Regierung nicht gelingen, einen Umgang miteinander zu finden, könne es zu einem "Experiment einer Minderheitsregierung" kommen, so von Lucke. "Das wäre echtes Neuland für Deutschland."
Wagner: Nicht zu viel versprechen
Die SPD-Landesgruppenchefin Carolin Wagner ist auch diesmal Teil der neuen Bundesregierung. Aus den Ampel-Zeiten hat sie vor allem gelernt, nicht zu viel zu versprechen. "Wir haben auch in der Ampel vieles angekündigt, das wir dann am Ende aufgrund von den verschiedenen Dingen, die passiert sind – Ukraine-Krise, die Gasmangellage – nicht machen konnten", sagt sie. Das wolle sie nun anders machen.
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