Am Rand eines Neubaugebiets bei Ingolstadt, mit vielen konventionellen Bauten, wie man sie heute überall in Bayern findet, sticht ein Gebäude heraus. Mit seiner Holzfassade und den vielen Solarmodulen unterscheidet es sich nicht nur äußerlich von der Nachbarschaft. Es hat auch keine richtige Heizung.
Das "Haus ohne Heizung"
Eigentlich dürfte es dieses Haus gar nicht geben, denn eine DIN-Norm legt genau fest, mit welcher Größe und Leistungsfähigkeit eine Heizung eingebaut werden muss. In dem gut gedämmten Haus soll aber die Abwärme von Elektrogeräten und die Sonne zum Heizen reichen, wie Architekt Chris Neuburger erklärt: "Wir haben das Haus mit 15 Wohneinheiten als ´Haus ohne Heizung` tituliert, denn es ist das zugrunde gelegte Konzept, die Wärme anders zu erzeugen."
Nur für den Notfall – bei sehr lang anhaltenden, sehr kalten Wetterlagen – gibt es eine zusätzliche, elektrische Fußbodenheizung. Das warme Wasser zum Duschen erzeugen Durchlauferhitzer, mit Strom von Solarmodulen auf dem Dach.
Bei Klagen: Normen als verbindlicher Standard
Das Ingolstädter Haus ohne Heizung ist eins von 19 Pilotprojekten in Bayern, bei denen Baunormen außer Kraft gesetzt sind. Im Normalfall könnten Bewohner auf Baumängel klagen, selbst wenn sie nicht frieren. Es reiche die Tatsache, dass nicht normgerecht gebaut worden sei, so Elisabeth Endres, Professorin für Gebäudetechnologie an der TU Braunschweig: "Die meisten Normen haben eigentlich nur empfehlenden Charakter." Sollte es aber zu einer Auseinandersetzung vor Gericht kommen, dann würden diese Normen oft von Richtern als verbindlicher Standard herangezogen. Wenn dann ein Planer nicht danach gebaut habe, dann würde er den Prozess verlieren, so die Professorin.
Wer hat die vielen Normen eingeführt?
Politik, Bauherren und Planer wollen das jetzt ändern. Die Industrie sei schuld an den vielen Bau-Normen und verhindere damit neuen und günstigen Wohnraum, so der bayerische Bauminister Christian Bernreiter: "Der Staat selbst hat nur 10 Prozent der DIN-Normen eingeführt und die stehen in den Gesetzen. Alles andere kommt von der Industrie selbst, zusammen mit dem Institut für Normung."
Auf Anfrage des BR widerspricht das Deutsches Institut für Normung (DIN). Man sei mit allen Akteuren im Gespräch und handele im Konsens. Auch Erfahrungen aus Projekten wie dem Gebäudetyp-E würden in die Normung einfließen. Ziel sei aber nicht weniger Regeln, sondern bessere, klarere und leichter anwendbare Standards. "Normung ist keine Bremse, sondern ein Beschleuniger für gutes Bauen", so DIN-Vorstand Daniel Schmidt.
Gebäudetyp-E: Ein Experimentierfeld
Die Initiatoren der 19 Pilotprojekthäuser "Typ-E" wollen erforschen und zeigen, welche Innovationen möglich sind, wenn man Baunormen außer Kraft setzt. Sie halten beispielsweise, nach ersten Abschätzungen, eine Kostenersparnis von 25 Prozent für möglich, ohne auf Komfort zu verzichten.
Andrea Bitter, von der Vereinigung "Architects for Future", die sich für einen nachhaltigen Wandel in der Baubranche einsetzt, sieht in dem Pilotprojekt einen wichtigen Schritt zu besserem Bauen: "Wir kommen über den Gebäudetyp E dazu, auszuloten, was wir wirklich brauchen, was Sinn macht und was wir weglassen können. Das Ziel sind bessere Häuser."
Architektenkammer fordert Rechtssicherheit
Um zukünftig im Baualltag die Erkenntnisse des "Gebäudetyp-E" umzusetzen, bräuchten Architekten und Planer aber Rechtssicherheit, fordert die Präsidentin der Bayerischen Architektenkammer Lydia Haack. Die Freiheiten, die Bauherren und Planer bei den 19 Pilotprojekten zum Gebäudetyp-E haben, daran sollte sich die zukünftige Rechtsprechung orientieren, so die Forderung aus Landespolitik und Branche. Das könne etwa ein Bundesgesetz leisten, das die Macht der Industrienormen vor den Gerichten einschränkt.
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