Bayern, Ende April 1945: Würzburg, Nürnberg, Regensburg, Ingolstadt und Augsburg sind schon von den Alliierten befreit. Der Herrschaftsbereich der Nationalsozialisten ist zusammengeschrumpft auf den "Traditionsgau Oberbayern" mit München, ihrer "Hauptstadt der Bewegung".
- Zur historischen Aufnahme: Sendung der "Freiheitsaktion Bayern" – französischer Aufruf
Dort erlebt auch der Schriftsteller Michael Ende als 14-Jähriger diese apokalyptische Phase. "Zu der Zeit fluteten die letzten Reste des deutschen Heeres zurück. Ich erinnere mich noch gut an diese ausgemergelten, kaputten Männer, die in Scharen dahinmarschierten", erinnerte der Autor sich Jahrzehnte später. "Die ganze Allee zwischen Solln und München, da hing an jedem zweiten Baum ein deutscher Soldat, aufgehängt von der Feldgendarmerie, mit einem Schild: 'Ich bin ein Deserteur.' Es war ein totaler Weltuntergang."
"Achtung, Achtung, hier spricht FAB!"
Mitten in diesem Inferno, am 28. April 1945, einem nasskalten Samstag, werden die Bewohner Südbayerns von einer Radiodurchsage geweckt: "Achtung, Achtung, hier spricht FAB, Freiheitsaktion Bayern!" Auf Deutsch, Russisch, Englisch und Französisch verkünden Sprecher das Ende der Nazi-Herrschaft und fordern zum Aufstand auf.
Die Planungen für die FAB haben lange vorher begonnen. Seit Monaten haben die Verschwörer um Rupprecht Gerngross, einem Hauptmann der Münchner Dolmetscherkompanie, ein Netzwerk aufgebaut. "Es sind konservativ-katholische Leute dabei bis hin zu Kommunisten, die im Untergrund leben", erklärt die Historikerin Veronika Diem. "Sie haben erkannt, dass dieser Krieg nur noch verloren werden kann und möchten jetzt die Heimat schützen, damit so wenig wie möglich zerstört wird."
Auflehnen gegen Hitlers "Nero-Befehl"
Denn die Nazis wollen das eigene Land dem Untergang preisgeben. Bereits am 19. März 1945 hat Adolf Hitler den sogenannten Nero-Befehl unterzeichnet: Alle militärischen Einrichtungen, aber auch Verkehrs-, Nachrichten-, Industrie- und Versorgungsanlagen sollen zerstört werden – womit auch der eigenen Bevölkerung die Lebensgrundlage entzogen werden würde.
Um das zu verhindern, wagt die Freiheitsaktion den Aufstand, auch wenn sie den Nazis militärisch wenig entgegenzusetzen hat. Deshalb setzen die Aufständischen auf die Macht des damals noch jungen Mediums Radio.
Durchsagen über den Reichssender München in Ismaning
Um 2 Uhr früh startet der Aufstand, an dem sich rund 400 Münchner Soldaten beteiligen. Einige wollen in Pullach südlich von München die militärische Leitung der Nationalsozialisten erobern. Doch die Aktion scheitert, ebenso der Sturm auf die Gauleitung in der Münchner Ludwigstraße und die Besetzung von Zeitungsredaktionen. Aber es gelingt, die Großsendeanlage des Reichssenders München in Ismaning im Norden der Stadt zu besetzen, ein Sender mit enormer Reichweite. Nun kann man in weiten Teilen Bayerns die Aufrufe der Aufständischen hören.
Altötting: SS rächt sich für Festnahme hochrangiger Nazis
Die Radiodurchsagen der FAB animieren mehr als tausend Menschen im südlichen Bayern zum Handeln. Etwa in Burghausen, wo Arbeiter sich gegen eine mögliche Sprengung des Wacker-Chemiewerks auflehnen. Oder in Altötting. Die örtlichen Nazibonzen wollen den Wallfahrtsort nicht friedlich den Alliierten übergeben. Sie nehmen in Kauf, dass der Kapellplatz mit der Gnadenkapelle samt seiner weltberühmten Schwarzen Madonna in Schutt und Asche gelegt wird.
Einige mutige Männer um den damaligen Landrat Josef Kehrer wollen das verhindern und nehmen hochrangige Nazis in Haft. Doch die Nazis gehen zum Gegenangriff über: Fünf Männer werden von der SS im Garten des Landratsamtes erschossen.
Lynchjustiz trifft in Penzberg auch Hochschwangere
Besonders brutal üben die Nazis in der Bergarbeiterstadt Penzberg im Oberland Rache. Dort haben der einstige SPD-Bürgermeister Hans Rummer und seine Mitstreiter die Sprengung der Kohlemine verhindert und den Nazi-Bürgermeister abgesetzt. Doch ein Wehrmachtregiment umstellt das Rathaus. Sieben Männer, darunter Rummer, werden erschossen.
Eine Volkssturm-Einheit unter dem fanatischen Nazi-Schriftsteller Hans Zöberlein macht derweil Jagd auf Kommunisten und Sozialdemokraten. Insgesamt acht Männer und Frauen, eine von ihnen hochschwanger, werden gelyncht.
Auch andernorts werden zahlreiche Menschen ermordet – laut der Historikerin Veronika Diem insgesamt mindestens 57 Männer und Frauen. Nur Stunden später, am 30. April 1945, befreit die US-Armee München.
Der FAB-Anführer Gerngross überlebte den Krieg und war in München als Rechtsanwalt tätig. Er starb 1996 in Deisenhofen.
Gedenkfeier des BR zum 80. Jahrestag der FAB
Der BR würdigt die FAB anlässlich des 80. Jahrestags des Aufstands mit einer Gedenkfeier auf dem Gelände der einstigen Großsendeanlage in Ismaning. Im Rahmen der Feierlichkeiten, an denen auch Nachkommen der Aufständischen teilnehmen, wird am 28. April eine Gedenktafel in Erinnerung an die FAB eingeweiht. Der BR wird unter anderem durch seine Intendantin Katja Wildermuth vertreten.
Im Audio: Aufstand in letzter Sekunde
Neuanfang in Trümmern: das Münchner Rathaus im Jahr 1945
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