Fast ein Jahr lang wurden unzählige Zeugen gehört, Tausende Chatnachrichten des Personals und Krankenakten von Häftlingen ausgewertet. Geschredderte Akten wurden sichergestellt. Nun, ein Jahr nach Bekanntwerden des mutmaßlichen Gablinger JVA-Skandals, sind die polizeilichen Ermittlungen weitestgehend abgeschlossen. Nach BR-Informationen erwägt die Staatsanwaltschaft Augsburg, bis Jahresende Anklage zu erheben: Im Fokus dürften dabei wohl vor allem die frühere Leitung der JVA und zentrale Mitarbeiter der sogenannten Sicherungsgruppe (SIG) der JVA Gablingen stehen.
Folter-Vorwürfe stehen im Raum
Es geht um massive Vorwürfe: Häftlinge sollen teils wochenlang und grundlos in Spezialzellen gesperrt worden sein, die sogenannten "besonders gesicherten Hafträume" (bgH) - und das teils komplett nackt und ohne Matratze. Auch willkürliche Gewalt gegen Gefangene steht im Raum. Wie der BR recherchiert hat, gehen die Vorwürfe bis hin zu Knochenbrüchen.
Eine Anklageerhebung wäre ein wichtiger Schritt in dem Fall. Es wäre ein weiteres Indiz dafür, dass die Vorwürfe gegen die JVA-Bediensteten ernst zu nehmen sind. Denn die Staatsanwaltschaft erhebt nur dann Anklage, wenn aus ihrer Sicht ein hinreichender Tatverdacht besteht und eine Verurteilung der Beschuldigten in einem Gerichtsprozess wahrscheinlich ist.
150 Verdachtsfälle in der Causa Gablingen
Insgesamt wird rund 150 Verdachtsfällen nachgegangen, wobei etliche Häftlinge auch Opfer gleich mehrerer Übergriffe geworden sein könnten – und die Zahl der mutmaßliche betroffenen Gefangenen deshalb unter der Zahl von 150 liegt. Ermittelt wird gegen 18 Bedienstete der JVA Gablingen, darunter die damalige Leitung der JVA, insbesondere die damalige stellvertretende Leiterin.
Neben den mutmaßlichen Übergriffen in Gablingen spielen auch die Vorfälle in der benachbarten JVA Neuburg-Herrenwörth eine Rolle. Wie BR-Recherchen zeigten, soll es auch in Neuburg zu massiven Übergriffen durch die Gablinger SIG gekommen sein, die in dem Jugendgefängnis eine Drogenrazzia unterstützte.
Beamte sollen Gefangene gewürgt haben
Neuburger Häftlinge berichteten dem BR, von Gablinger SIG-Beamten gewürgt und geschlagen worden zu sein – offenbar um so Informationen von den Gefangenen zu erhalten. "Wo ist der Stoff?" hätten die Beamten während der Übergriffe gefragt. So berichten es jedenfalls die betroffenen Gefangenen. Auch die damalige Gablinger Vizechefin war bei dem Einsatz der SIG zugegen.
Für den Kriminologen Thomas Feltes wäre das indiskutabel: "Es dürfen Fragen gestellt werden, ich darf durchsuchen, aber ich darf natürlich nicht versuchen, durch Gewalt oder durch Zufügung von Schmerz irgendwelche Aussagen quasi zu erpressen. Das ist die Paradesituation einer Folter." Nach der Razzia kontaktierte der Leiter der JVA Neuburg-Herrenwörth das bayerische Justizministerium, das die Informationen an die Augsburger Staatsanwaltschaft weiterleitete.
Frühere JVA-Ärztin brachte den Fall ins Rollen
Losgetreten hatte den mutmaßlichen Skandal eine frühere Ärztin der JVA Gablingen. Sie hatte sich mit einem Brandbrief an das bayerische Justizministerium gewandt und von drastischen Zuständen in Gablingen berichtet. Auch sie sprach von "Folter" von Häftlingen durch das Personal.
Wie der BR belegen konnte, informierte die Medizinerin das Ministerium bereits ein Jahr bevor die Ermittler schließlich die JVA durchsuchten. Für alle Beschuldigten gilt die Unschuldsvermutung. Die Anwälte der damaligen Gablinger Vizechefin weisen alle Vorwürfe zurück und betonen, ihre Mandantin habe stets rechtmäßig gehandelt.
"Zäsur für den bayerischen Strafvollzug"
Inzwischen hat Bayerns Justizminister Georg Eisenreich (CSU) einige Reformen im Strafvollzug eingeleitet. Bayerische JVAs werden nun einmal jährlich unangekündigt kontrolliert. Für die Unterbringung von Häftlingen in den Spezialzellen gibt es strengere Dokumentations- und Berichtspflichten. Zudem gibt es für JVA-Personal die Möglichkeit, Missstände anonym zu melden.
Diese Schritte befürworten auch Oppositionspolitiker wie der Grünen-Abgeordnete Toni Schuberl. Er sagt aber auch: Der Fall Gablingen sei "eine Zäsur für den bayerischen Strafvollzug". Und noch weiß keiner, was ein möglicher Prozess noch ans Tageslicht bringt.
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