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Beim Amtsgericht Erding laufen alle Klagen von Fluggästen des Münchner Flughafens ein. Von denen gab es in den vergangenen Jahren immer mehr.

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Gegen die Klageflut: Erdinger Amtsgericht testet Einsatz von KI

Gegen die Klageflut: Erdinger Amtsgericht testet Einsatz von KI

Am Amtsgericht Erding häufen sich die Klagen von Fluggästen des Münchner Flughafens. Jetzt testet das Gericht, ob künstliche Intelligenz die Richter entlasten kann. Die bayerische Justiz leidet derzeit unter fehlendem Personal.

Über dieses Thema berichtet: Regionalnachrichten aus Oberbayern am .

Gerade erst sind die Sommerferien zu Ende gegangen, doch nicht bei allen verlief die Urlaubsreise nach Plan – wegen Streik, Überbuchung oder technischen Problemen verspäten sich immer wieder Flüge oder fallen ganz aus. Wer sein Geld zurückwill, aber von der Fluggesellschaft nichts bekommt, kann Klage einreichen.

Klagen haben zugenommen

Diese Klagen landen dann vor Gericht – im Falle des Münchner Flughafens vor dem Amtsgericht Erding. Das verzeichnet seit Jahren einen Anstieg von Klagen mit Bezug zu Fluggastrechten: Waren es im Jahr 2019 noch 7.840 solcher Klagen, musste das Amtsgericht vergangenes Jahr fast 11.000 Verfahren bearbeiten. Und in diesem Jahr zeichnet sich ein weiterer Anstieg ab: Bereits in der ersten Jahreshälfte reichten 6.293 Fluggäste Klage ein. "Das hat schon erheblich zugenommen", sagt Markus Nikol, Sprecher des Erdinger Amtsgerichts. 17 Richter und Richterinnen müssten diese Verfahren bearbeiten – einige von ihnen sind nicht in Vollzeit angestellt.

Künstliche Intelligenz soll beim Urteil-Schreiben helfen

Um den Richtern und Richterinnen die Arbeit zu erleichtern, testet das Amtsgericht Erding zusammen mit dem bayerischen Justizministerium den Einsatz von künstlicher Intelligenz (KI). Denn für jede einzelne Klage müssen Richter normalerweise den sogenannten Sach- und Streitstand zusammenfassen – also die Positionen von Klägern und Beklagten. Das kostet Zeit. Das KI-Tool soll nun die Eckdaten aus dem Schriftsatz herausfiltern und dem zuständigen Richter Textbausteine anbieten. Am Ende schreibe aber dennoch der Richter das Urteil, heißt es aus dem bayerischen Justizministerium. Das Projekt soll bis Dezember dieses Jahres laufen – dann wird ausgewertet, ob das Tool die Arbeit der Richterinnen und Richter tatsächlich erleichtert. Ähnliche Softwares werden laut dem bayerischen Justizministerium auch an den Landgerichten München I und Ingolstadt bei erstinstanzlichen Dieselverfahren getestet.

Mit KI gegen die Klageflut

Das Amtsgericht Erding setzt mit KI ein Werkzeug ein, mit dem die andere Seite schon seit Jahren arbeitet. Denn heutzutage müssen sich Fluggäste nicht mehr unbedingt einen eigenen Anwalt nehmen, um ihre Rechte durchzusetzen. Dienstleister wie Claimflights, Flightright oder FairPlane bieten Fluggästen an, ihre Entschädigungsforderungen durchzusetzen – und behalten bei Erfolg einen Anteil der ausbezahlten Summe als Provision ein.

Flightright erklärt, man nutze seit Jahren Algorithmen, um die Daten der Fluggäste auszuwerten oder ähnliche Fälle zu finden und so Arbeitsdopplung zu vermeiden. Über die Jahre habe man die Arbeit professionalisiert, erklärt Lena Knoblauch, Sprecherin von Flightright. Knoblauch bestätigt, dass unter anderem deswegen die Zahl der Klagen in Deutschland in den vergangenen Jahren zugenommen habe. Doch es gebe einen weiteren Grund dafür: "Die Fluggesellschaften weigern sich zunehmend, den Entschädigungsforderungen außergerichtlich nachzukommen." FairPlane-Sprecherin Alexandra Hawlicek berichtet, dass Luftfahrtunternehmen oftmals erst dann außergerichtlich zahlen würden, wenn die Klage bereits eingebracht wurde. Auch FairPlane spricht deshalb von einer zunehmenden "Klagedichte".

Die Lufthansa Group teilte mit, sie könne die Argumente "kaum nachvollziehen". Man prüfe selbstverständlich jede Anfrage sorgfältig und halte sich an geltende Gesetze. Vielmehr sei bei der Frage, woher die Zunahme von Klagen kommt, das teils recht prominente Auftreten der genannten Dienstleister in den Blick zu nehmen.

Bayerischer Richterverein: neue Stellen "reichen nicht aus"

Diese Klagedichte fällt in eine Zeit, wo Gerichte und insbesondere Staatsanwaltschaften ohnehin schon stark unter fehlendem Personal leiden. Laut dem bayerischen Richterverein fehlten zum Ende des zweiten Quartals 2024 100 Arbeitnehmer an den bayerischen Gerichten und 300 in den Staatsanwaltschaften. Das bayerische Justizministerium verweist darauf, dass der Bayerische Landtag 350 neue Stellen für die bayerische Justiz beschlossen hat. Das, sagt die Vorsitzende des Bayerischen Richtervereins Barbara Stockinger, sei zwar zu begrüßen, "aber die geschaffenen Stellen reichen immer noch nicht aus."

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