Eine Frau hält ihre Hände vor das Gesicht
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Gewalt in der Partnerschaft: Ein Problem aller Schichten

Gewalt in der Partnerschaft: Ein Problem aller Schichten

Die Zahl der Fälle von psychischer und physischer Gewalt in der Partnerschaft ist in den letzten Jahren weiter angestiegen. Betroffene gibt es in allen gesellschaftlichen Schichten. Gewalt zu entkommen, ist oft schwer. Wo Sie Unterstützung finden.

Über dieses Thema berichtet: STATIONEN am .

Als Vera den Mann kennenlernt, der ihr Leben zur Hölle machen wird, ist sie 29 Jahre alt. Was auf sie zukommt, ahnt sie damals noch nicht. Sein Aussehen habe sie begeistert, erzählt sie heute. Und sein Charme. "Das haben mir auch andere Menschen bestätigt, die ihn kennengelernt haben: 'So ein charmanter Mann'." Schon nach wenigen Wochen zieht ihr neuer Partner bei Vera ein. Kurz darauf wird sie schwanger. Sie freut sich, aber ihr Partner beschuldigt sie, mit anderen Männern geschlafen zu haben. "Das war schon das erste sehr ungute Gefühl, wo ich mir gedacht habe: Das kann doch nicht sein."

Veras Partner beschimpft sie. Er versteckt Messer unter den Kopfkissen, schubst sie gegen die Küchenzeile, reißt sie an den Haaren – und steht eines Nachts mit einem langen Küchenmesser vor ihr. "Er hat sowas gesagt wie: 'Es ist mir scheißegal, wenn du und das Kind verrecken'", erinnert sich Vera. "Ich habe nur dieses lange Küchenmesser gesehen und wusste, dass ich die Wohnung sofort verlassen muss."

Die meisten Opfer von Partnerschaftsgewalt sind Frauen

Mit ihrer Geschichte ist Vera nicht allein. Die letzten Zahlen des Bundeskriminalamts kommen deutschlandweit auf rund 158.000 Fälle von Gewalt in der Partnerschaft im Jahr 2022 (rund 220 Opfer pro 100.000 Einwohner), ein Anstieg von mehr als neun Prozent im Vergleich zum Jahr davor. Vier von fünf Opfern sind Frauen. Das heißt: Pro Stunde werden mehr als 14 Frauen deutschlandweit Opfer von Partnerschaftsgewalt. Entgegen mancher Vorurteile ist Gewalt in der Partnerschaft auch kein Problem bestimmter sozialer Gruppen, sondern kommt in allen gesellschaftlichen Schichten vor.

Einfache oder gefährliche Körperverletzung machen gut 70 Prozent der Delikte aus, hinzu kommen Bedrohung, Stalking und Nötigung (rund 24 Prozent) sowie sexuelle Übergriffe und auch Tötungen. Die meisten Opfer (rund 70 Prozent) erfahren Gewalt durch ehemalige oder aktuelle Partner. Rund zwei Drittel aller tatverdächtigen Personen hatten die deutsche Staatsangehörigkeit.

Hohe Dunkelziffer

Laut Bundeskriminalamt ist die Dunkelziffer der Taten aber hoch: Viele Taten würden aus Angst oder Scham immer noch nicht der Polizei gemeldet. Bis auf einen kleinen Einbruch im Jahr 2021 ist die Anzahl der Fälle seit 2012 kontinuierlich gestiegen. Laut Bundesfamilienministerium liegt das auch daran, dass mittlerweile mehr Fälle zur Anzeige gebracht werden.

Entgegen mancher Annahme hat die Corona-Pandemie nur einen kleinen Anteil am Anstieg der offiziellen Zahlen: Nach Einschätzung des ifo-Instituts für Wirtschaftsforschung ist häusliche Gewalt in dieser Zeit zwar deutlich angestiegen, aber viele Fälle wurden nicht zur Anzeige gebracht.

Für Bayern führt die Statistik des Bundesfamilienministeriums für 2022 153,9 Fälle von Gewalt in der Partnerschaft pro 100.000 Einwohnern an. Der Freistaat liegt damit deutlich unter dem Bundesdurchschnitt, aber auch hier sind die meisten Opfer Frauen.

Frauenhäuser als wichtige Anlaufstelle – aber wenig Platz

Nach dem Vorfall flieht Vera zu ihrer Mutter, die ein Stockwerk tiefer wohnt. Die ruft die Polizei. Es kommt schließlich zu einem Kontaktverbot, und Vera kann ihren Sohn ohne Angst zur Welt bringen. Ein paar Wochen später jedoch der Schock: Der Ex-Partner steht wieder vor ihrer Tür – mit einem Beschluss seines Anwalts, dass er wieder in die gemeinsame Wohnung einziehen darf. "Das war schrecklich", erinnert sich Vera.

Sie zieht zu ihrer Mutter ins untere Stockwerk, fühlt sich dort aber trotzdem nicht sicher vor dem gewalttätigen Ex-Partner ein Stockwerk über ihr. "Herzrasen, Schweißausbrüche, ein Stück weit Kontrollverlust", zählt Vera auf, was sie in dieser Zeit erlebt hat. Sie habe das Haus nicht mehr verlassen wollen, wenn er vor dem Haus war oder ihr Beschimpfungen aus dem Fenster hinterherrief. Schließlich entscheidet sie, dass sie von dort weg muss – und flieht mit ihrem Sohn, der noch kein Jahr alt ist, in ein Frauenhaus.

Frauenhäuser sind wichtige Anlaufstellen bei Gewalt in der Partnerschaft. Laut der Koordinierungsstelle gegen häusliche und sexualisierte Gewalt in Bayern gab es im Freistaat im Sommer 2022 rund 40 Frauenhäuser mit Kapazitäten für etwa 400 Frauen und 440 Kinder. Dort können Frauen übergangsweise unterkommen, werden bei der Verarbeitung ihrer Erfahrungen unterstützt und können sich beraten lassen. Allerdings gebe es in Bayern nicht genügend Plätze für die Frauen und Kinder, kritisiert die Geschäftsführerin der Frauenhilfe München, Lydia Dietrich. "Wir sind in der Regel mit 99 Prozent ausgelastet." Die Wartezeit betrage zwar meistens nicht mehr als drei oder vier Wochen. "Das kann aber unter Umständen schon viel zu lange sein." Manche Frauen blieben zwei Jahre und länger im Frauenhaus, weil sie keine Wohnungen fänden.

Weitere Beratungsmöglichkeiten für betroffene Frauen und Männer

Auch außerhalb von Frauenhäusern können Betroffene Hilfe finden. Zum Beispiel beim bundesweiten Hilfetelefon "Gewalt gegen Frauen", wo Betroffene oder auch Angehörige und Freunde sich rund um die Uhr anonym beraten lassen können. Bei Bedarf werden sie dort an Beratungsstellen oder Frauenhäuser vermittelt. Anlaufstellen in der eigenen Gegend lassen sich auch online bei "Bayern gegen Gewalt" finden. Frauen mit Behinderungen finden etwa bei den "Netzwerkfrauen Bayern" Hilfe.

Für Männer gibt es etwa das Hilfetelefon "Gewalt an Männern" oder die "Strong! LGBTIQ*-Fachstelle" für schwule, bisexuelle, queere und trans Männer, die Opfer von Gewalt wurden. Auch die "Landesarbeitsgemeinschaft Jungen*- und Männer*arbeit in Bayern" hat eine Übersicht von Beratungs- und Unterstützungsangeboten zusammengetragen.

In allen Fällen gilt aber: Bei unmittelbarer Gefahr ist immer erst einmal die Polizei unter der Notrufnummer 110 die richtige Anlaufstelle.

Die Folgen können lange anhalten

Vera kann im Frauenhaus erst einmal zur Ruhe kommen. "Das war die beste Entscheidung überhaupt", meint sie. Von Seiten ihres Ex-Partners kommt es trotzdem noch zu weiteren Annäherungsversuchen. Am Ende zeigt Vera ihn wegen Körperverletzung an – und er wird zu einer Haftstrafe verurteilt.

Vera kehrt nach Hause zurück. Sie fängt wieder an, sich mit Freunden zu treffen, entdeckt ihr altes Hobby, das Boxen, wieder für sich. Heute, fast zehn Jahre später, hat sie sich zurück ins Leben gekämpft. Sie ist in Therapie. Aber die Angst bestimmt inzwischen nicht mehr ihr Leben.

Rund um das Thema "Fluchtgeschichten" geht es in der Sendung STATIONEN, am Mittwoch, 13. März 2024 um 19 Uhr im BR Fernsehen und in der ARD Mediathek.

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