Binnen Sekunden zerfällt für Gundremmingen ein Stück Identität zu 56.000 Tonnen Schutt. Als der Moment kommt, kämpft eine Anwohnerin mit den Tränen. Danach steht sie vor den Trümmern und kann es noch gar nicht richtig fassen. "Ein großer Teil von uns ist jetzt weg", beklagt sie.
Im Video: Spektakuläre Sprengung der Kühltürme: Gundremmingen verliert sein Wahrzeichen
Gundremmingen - Sprengung der Atom-Kolosse
Gundremminger verlieren ein Stück Heimat
Fast ein halbes Jahrhundert lang haben die beiden Kühltürme des inzwischen stillgelegten Kernkraftwerks das Landschaftsbild geprägt, jetzt wurden sie für immer dem Erdboden gleich gemacht. Rund 30.000 Schaulustige sind laut Polizei zur spektakulären Sprengung gekommen, unter ihnen sind neben Anwohnern auch Atomkraftgegner und -befürworter. So richtig glücklich ist kaum jemand.
Für viele Gundremminger ist mit den Kühltürmen ein Stück Heimat verlorengegangen. "Das war so eine Landmarke. Man hat gewusst, das ist Heimat, wenn man die Türme sieht. Jetzt ist das von heute auf morgen einfach nicht mehr da", erklärt ein Anwohner kurz vor der Sprengung. Schon Wochen zuvor hat Verkäuferin Maria Brenner angefangen, in ihrem Dorfladen eine extra scharfe Sprengwurst zu verkaufen, außerdem gibt es Lebkuchen in Kühlturmform.
Atomkraft prägte Gundremmingen seit über 50 Jahren
Fertiggestellt wurden die Türme vor rund 45 Jahren. Für viele Anwohner gehörten sie also schon seit ihrer Kindheit dazu. Die Geschichte der Kernkraft in Gundremmingen geht aber noch weiter zurück: 1966 ging Block A als erstes kommerzielles Kernkraftwerk in Deutschland in Betrieb. Im Ort entstanden neue Arbeitsplätze, das Dorf erlebte einen Aufschwung. Nach einem Unfall mit zwei Toten und einer Havarie wurde der Reaktorblock 1977 stillgelegt. Schon ein Jahr zuvor war mit dem Bau der Reaktorblöcke B und C begonnen worden.
Im Zuge des deutschen Atomausstiegs wurden diese Ende 2017 und 2021 stillgelegt. Die Sprengung der beiden Kühltürme ist Teil des Rückbaus, der voraussichtlich noch weit bis in die 2030er-Jahre dauern wird.
Atomkraftbefürworter kritisieren Sprengung
Die Entwicklung von Gundremmingen ist mit dem Kernkraftwerk so eng verbunden, dass ein Atomsymbol es sogar auf das Gemeindewappen geschafft hat, die Türme zieren eine Rathaustür. "Für mich geht ein Stück Heimat verloren", erklärt Bürgermeister Tobias Bühler (CSU).
Für Mitglieder des Vereins Nuklearia ist die Sprengung aus einem anderen Grund emotional: Sie sehen sie als falsches Zeichen. Zu dem Ereignis versammelten sich rund 20 von ihnen am Kraftwerk, um ihren Unmut kundzutun. Britta Augustin hatte bis zuletzt auf eine Reaktivierung gehofft, die Sprengung der Türme bezeichnet sie als "Unding": "Kernkraft ist für uns die beste Energiequelle. Wir brauchen sie als Basis, weil sie stabilen, sauberen und günstigen Strom liefert."
Zwischenlager für Atommüll bleibt
Atomkraftgegner sind da anderer Meinung, besonders mit Blick auf den anfallenden Atommüll. Doch so richtig freuen können auch sie sich nicht am Tag der Sprengung. Denn nur wenige hundert Meter von den Türmen entfernt lagern am Donauufer seit 2006 in einer 18 Meter hohen Halle radioaktive Brennelemente in Castor-Behältern.
"Wir haben einfach Putin in der Nachbarschaft. Ich traue ihm zu, da eine Rakete reinzuschießen. Da kann man eine nukleare Katastrophe ganz leicht herbeiführen", befürchtet Thomas Wolf. Seit Jahrzehnten demonstriert er zusammen mit anderen sonntags vor dem Kraftwerk, bei Protesten gegen Castor-Transporte stand er in der ersten Reihe. Der Rückbau des Kernkraftwerks ist für ihn und seine Mitstreiter ein Schritt in die richtige Richtung, aber ihr Protest geht weiter. Das Bundesamt für die Sicherheit der nuklearen Entsorgung hat das Zwischenlager bis 2046 genehmigt.
Gundremmingen bleibt Energiestandort
Während der Rückbau des Kernkraftwerks noch andauert, sucht Gundremmingen schon nach einer neuen Identität. "Die Sprengung ist auch optisch ein Zeichen des Wandels. Wir schauen in die Zukunft", sagt Bürgermeister Tobias Bühler. Tatsächlich ist nicht jeder traurig über den Verlust der Türme. "Endlich weg, der Atomstrom", sagt ein Zuschauer.
Seinen Status als Energiestandort wird der Ort nicht verlieren: In wenigen Tagen wird dort der Spatenstich gesetzt für einen neuen Batteriespeicher – laut Betreiber RWE der aktuell größte Deutschlands – für Strom aus erneuerbaren Energien.
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