Wenn Anna über ihren Sohn spricht, wird sie emotional. "Vor einem Jahr ist mein Sohn ganz tief in diese Bubble geraten. So, dass wir jeden Tag, zu jeder Uhrzeit, Streit hatten", erzählt sie. Im Interview mit Reportern von Kontrovers - Die Story beschreibt Anna, wie sich ihr Kind zunehmend radikalisierte.
Schwarze Stiefel, weiße Schnürsenkel: "So tragen das die Skinheads"
Zunächst habe der Jugendliche seine Kleidung getauscht, trug plötzlich eine Bomberjacke, dazu schwarze Stiefel mit weißen Schnürsenkeln. "Ich habe ihn gefragt: 'Wieso?' Er hat gesagt: 'So tragen das die Skinheads'", erinnert sich die Mutter. Irgendwann habe der damalige Schüler auch seine Sprache verändert. Flüchtlinge bezeichnete er als "Geldtouristen", die kämen, um deutsche Frauen zu vergewaltigen.
Laut BR-Umfrage: Menschen- und demokratiefeindliche Vorfälle an 66 Prozent der bayerischen Schulen
Annas Sohn ging damals noch zur Schule. Dass seine Geschichte kein Einzelfall ist, zeigt eine exklusive Umfrage des BR unter weiterführenden Schulen in Bayern. Der BR hat rund 1.500 staatliche bzw. kommunale Mittelschulen, Realschulen, Gymnasien und Fachoberschulen angeschrieben: Fast 600 Schulleitungen machten bei der nicht-repräsentativen Befragung des BR mit. 66 Prozent von ihnen berichten von menschen- und demokratiefeindlichen Vorfällen im Schuljahr 2024/25.
Daten zeigen: Großteil der Vorfälle sind politisch rechts
Ein Blick auf die politischen Hintergründe der Vorfälle zeigt: Es gibt einige wenige Schulen, die die Vorfälle als links oder religiös motiviert einstufen. Bei einem größeren Teil ist keine klare Einordnung möglich. 74 Prozent der Schulen ordnen die Vorfälle dem politisch rechten Spektrum zu.
Im Video: Hakenkreuze, Parolen, Hitlergruß: Schulen im Visier
"Wir hätten dich damals auch vergast" - bayerische Schüler schildern rechtsextreme Ausfälle
Kontrovers - Die Story und BR Recherche / BR Data haben dutzende teils anonyme Zuschriften von Schülern und Lehrern gesammelt, darunter sind verstörende Schilderungen. "Seit zwei Jahren wächst an meiner Schule etwas, was nicht mehr harmlos ist", so etwa ein Schüler aus Franken. "Nicht nur dumme Sprüche, sondern klare, menschenverachtende Aussagen: 'Heil Hitler.' 'Scheiß-Kommunist.' 'Wir hätten dich damals auch vergast.'" Eine Schülerin aus Oberbayern erzählt: "In einem Jahrgang wurde vorgeschlagen, das Abi-Motto ‘Abi macht frei’ zu nehmen." Ein Lehrer schildert, wie drei seiner Schüler im Klassenzimmer den Hitlergruß gezeigt hätten.
Experte: "Das stört nicht nur den Schulfrieden, das bedroht auch Demokratieerziehung"
"Das gab es schon immer. Und ich glaube, jetzt wird etwas öffentlich, was wir auch aus der Forschung schon ganz lange anmahnen", sagt Rico Behrens, Professor für politische Bildung an der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt. "Das stört nicht nur den Schulfrieden, das bedroht auch Demokratieerziehung an Schulen", so Behrens.
Rechtsextreme nutzen Kampfsport, um Jugendliche zu erreichen
Eine relevante Rolle bei der Radikalisierung von Jugendlichen spielt offenbar auch der Kampfsport. In Videos in sozialen Netzwerken inszenieren Rechtsextreme Männlichkeit und Gewalt - und versuchen so, Jugendliche zu erreichen. Auf Kampfsport-Events fallen immer wieder rechtsextreme Teilnehmer auf, etwa bei einer Veranstaltung Ende September in Nürnberg: Der junge Hooligan Lucas S. aus Schweinfurt sollte dort in den Ring steigen. S. tauchte in der Vergangenheit immer wieder auf Demonstrationen der rechtsextremen Partei "Der Dritte Weg" auf. Bei Kämpfen sieht man seine Tattoos mit Symbolen, die in der rechtsextremen Szene verbreitet sind.
An diesem Abend ist S. aber im Publikum, sein Kampf wurde vom Veranstalter kurzfristig abgesagt - um das Event nicht "kaputtzumachen", heißt es auf Nachfrage. Lucas S. wollte sich gegenüber dem BR nicht äußern.
Mutter von Aussteiger: Angst vor Rückfall bleibt
Annas Sohn hat sich offenbar online radikalisiert. Nach mehreren Monaten gehen ihr Mann und sie einen entscheidenden Schritt: "Wir haben das Handy weggenommen. Ohne Vorwarnung. Chip weg, Handy weg. Alle Konten in den sozialen Medien. Und ohne Passwörter konnte er nicht wieder rein", erzählt sie. In Zusammenarbeit mit der Schule ist es der Familie gelungen, den Jugendlichen wieder herauszuholen. Mittlerweile hat er die Schule gewechselt. Doch für seine Mutter bleibt die Angst vor einem Rückfall Teil ihres Lebens.
Im Video: BR24Live - Rechtsextreme Vorfälle an Bayerns Schulen
(Symbolbild) Hitlergruß im Klassenzimmer: Rechtsextreme Vorfälle an Bayerns Schulen
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