Regina Rick (li.), Anwältin des Angeklagten, und dessen Mutter verlassen nach dem Freispruch im Prozess um den Fall Hanna das Gericht.
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Regina Rick (li.), Anwältin des Angeklagten, und dessen Mutter verlassen nach dem Freispruch im Prozess um den Fall Hanna das Gericht.
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Regina Rick (li.), Anwältin des Angeklagten, und dessen Mutter verlassen nach dem Freispruch im Prozess um den Fall Hanna das Gericht.

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Hanna-Urteil: Warum eine Revision so selten erfolgreich ist

Hanna-Urteil: Warum eine Revision so selten erfolgreich ist

Tränen, Erleichterung und Kopfschütteln: Der Freispruch im Fall Hanna beschäftigt viele. Hätte jemand zu Unrecht wegen Mordes in einem bayerischen Gefängnis sitzen müssen? Ohne einen Verfahrensfehler der Richterin wäre es wohl so gekommen.

Über dieses Thema berichtet: BR24 TV am .

Es war die E-Mail der damaligen Richterin an die Staatsanwaltschaft Traunstein, die der Bundesgerichtshof (BGH) in seiner Revision im Fall Hanna beanstandet hatte. Die darin angedeutete mögliche Verurteilung des Angeklagten als Täter hätte auch der Verteidigung zugehen müssen, so der BGH sinngemäß. Ob indes die Indizien für eine Verurteilung des damals 22-jährigen Sebastian T. wegen "gefährlicher Körperverletzung in Tatmehrheit mit Mord" im März 2024 ausreichend waren, prüfte der BGH nicht.

Experte: "Großes Glück" für Sebastian T.

Der nun freigesprochene Sebastian T. habe "großes Glück gehabt", sagte der Strafrechts-Experte Hans Kudlich von der Uni Erlangen-Nürnberg BR24: "Ich finde es in der Tat auch ein Stück weit bedrückend, wenn man hier sieht, dass letztlich durch die Zufälligkeit dieser E-Mail erst ein möglicherweise auch inhaltlich falsches Urteil aufgehoben worden ist und man deswegen dann doch auch leicht als vielleicht Unschuldiger verurteilt werden kann."

Denn die Beweiswürdigung werde vom Revisionsgericht "nur sehr eingeschränkt überprüft. Der BGH sagt immer: Der Schluss des Tatgerichts (also hier des Traunsteiner Landgerichts, d. Red.) in der Beweiswürdigung muss nur ein möglicher seien, aber nicht der einzig mögliche."

Ergo: Es gibt einen Ermessenspielraum. Das sei wie beim Videoschiedsrichter im Fußball: Dieser korrigiert den Schiedsrichter auf dem Feld nur bei ganz offensichtlichen Fehlern. Ob die damalige Verurteilung von Sebastian T. zu neun Jahren Haft wegen Fehlern in der Beweisführung vom BGH ebenfalls aufgehoben worden wäre, ist für Hans Kudlich keineswegs sicher. Dass eine Rückverweisung ans Landgericht dann aber zu einem völlig anderen Urteil führe, sei wirklich selten in der deutschen Rechtsprechung.

Neue Kammer zweifelt an Hauptbelastungszeugen

Die Neuverhandlung vor einer anderen Kammer des Traunsteiner Landgerichts führte nun auch zu einer Neubewertung der bisherigen zentralen Zeugenaussagen. Denn die neue Richterin Heike Will zog die Glaubwürdigkeit der Hauptbelastungszeugen wegen teils widersprüchlicher Aussagen arg in Zweifel – im Gegensatz zu den Richtern im ersten Prozess. Eine Ermittlerin der Polizei gab im neuen Prozess Fehler zu: "Das haben wir nicht gut gemacht, da hätten wir mehr nachfragen sollen."

Dass ein Mithäftling von Sebastian T. während dessen Untersuchungshaft von ihm ein Mordgeständnis gehört haben will, war für die Verurteilung im ersten Prozess eine wesentliche Säule. Doch die Glaubwürdigkeit gerade von Mithäftlingen, die sich womöglich von Aussagen Hafterleichterungen erhofften, sei in der Justizgeschichte schon öfter zweifelhaft gewesen, sagte der Trierer Revisionsexperte Mohamad El-Ghazi BR24.

Entschuldigung durch Richterin – Konsequenzen fraglich

Für die Vorsitzende Richterin Will war die Stützung der Anklage wie auch des Urteils unter anderem auf unglaubwürdige Zeugenaussagen ein "fataler Fehler". Den Tränen nah sagte sie bei ihrem gestrigen Freispruch zum Angeklagten: "Dieses Rechtssystem hat Ihnen großes Unrecht zugefügt. Als Teil dieses Rechtssystems möchten wir uns bei Ihnen entschuldigen."

Dass eine Revision zu einem völlig anderen Urteil führe, sei äußerst selten – insofern auch eine solche Entschuldigung, kommentiert der Erlanger Rechtswissenschaftler Hans Kudlich die Vorgänge.

Doch gibt es bei Ermittlungsfehlern disziplinarische Konsequenzen? "Nicht ohne Weiteres", sagt Ali B. Norouzi vom Deutschen Anwaltverein. Auch Richter seien nicht belangbar, "solange nicht vorsätzlich Recht gebeugt werde". Wie dann später die interne Personalbewertung ausfalle, steht für Norouzi auf einem anderen Blatt. Ein Urteil im Schwurgerichtsprozess falle aber immer mit Mehrheit der drei hauptamtlichen Richter und der zwei Schöffen. Insofern sei die Richterin im ersten Hanna-Prozess nicht allein zu betrachten.

Es ist nun ein Freispruch aus Mangel an Beweisen. Übrigens: Die Freispruchquote in deutschen Strafprozessen liegt laut El-Ghazi bei vier Prozent.

Im Audio: Gibt es nach dem Freispruch im Fall Hanna Konsequenzen?

Archivbild: Der Angeklagte (l.), daneben Rechtsanwältin Regina Rick und Anwalt Yves Georg im Sitzungssaal des Amtsgerichts Laufen.
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Archivbild: Der Angeklagte (l.), daneben Rechtsanwältin Regina Rick und Anwalt Yves Georg im Sitzungssaal des Amtsgerichts Laufen.

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