Gegen Ende April 1945 rückten die amerikanischen Streitkräfte von Landsberg am Lech über Schongau ins Ammertal vor. Es war nur eine Frage der Zeit, bis sie den Ettaler Berg hinunter und nach Garmisch-Partenkirchen kommen würden. Am 29. April verschanzten sich etwa 60 deutsche Soldaten unterhalb der sogenannten Bärenhöhle bei Oberammergau und lieferten sich mit den Amerikanern ein - allerdings vergebliches und verlustreiches - Gefecht.
Da entschied sich der Standortälteste von Garmisch-Partenkirchen, Oberst Ludwig Hörl, die Stadt kampflos zu übergeben. Denn ihm war klar, dass jeder Widerstand militärisch sinnlos war. Schließlich verfügte er nur noch über ein paar Panzerfäuste, Granatwerfer, Maschinengewehre und kaum noch Munition für die viel zu wenigen Soldaten. Eine mutige Entscheidung, denn etwa in Penzberg kostete diese "defätistische" Haltung 16 Menschen den Kopf.
Parlamentäre mit weißer Flagge
Hörl schickte also den Amerikanern eine Delegation unter Major Michael Pössinger entgegen, die mit weißen Fahnen dafür werben sollte, Garmisch nicht zu zerstören. Das gelang auch, weil Garmisch Lazarettstadt war und viele Verwundete beherbergte. Die Zerstörung hatten die Amerikaner aber ohnehin nicht geplant, sagt der 92-jährige Karl Bischoff. Er erinnert sich, dass sie während des Krieges Flugblätter abgeworfen haben, auf denen in etwa stand: "Garmisch-Partenkirchen wollen wir verschonen, denn darin wollen wir mal wohnen."
Beim Erzählen legt Bischoff eine Aufnahme aus seinem Fotoalbum auf den Tisch, auf dem die amerikanischen Panzer dann tatsächlich kampflos in seiner Heimatstadt einziehen. An die Kinder verteilten sie Kaugummis, auch an den fünfjährigen Horst Demmelmayr: "Der Kaugummi war klein, rötlich und hatte einen wirklcih guten Geschmack. Den habe ich heute noch im Mund." Als er später mit den Amerikanern Basketball spielte, fragte er immer wieder nach diesen Kaugummis und bekam ab und zu auch einen. Denn für Deutsche war der amerikanische PX-Shop tabu.
Orangen aus dem PX-Shop
Das galt aber nicht für den 12-jährigen Karl Bischoff. Er war in der Schule zwar nicht der Beste, aber er konnte mit seinem bisschen Englisch etwas anfangen ("Die Einserschüler haben sich nicht reden getraut"). Bald verstand er sich gut mit dem Wachmann vor dem PX-Shop gegenüber seines Elternhauses und durfte dort einkaufen.
Also brachten ihm seine Spezln die Dollars, die sie bei den Amerikanern als Ministranten, Spüler oder Sammler von Coca-Cola-Flaschen verdient hatten. "Die haben ja nichts damit anfangen können", freut er sich noch heute. "Aber ich habe mit dem an der PX einen Deal gemacht. Für einen Dollar habe ich fünf Orangen bekommen, aber nur drei weitergegeben." Natürlich musste auch der Wachmann seinen Anteil bekommen.
Viele Garmischer aus Häusern und Wohnungen ausquartiert
Die Sieger haben aber beileibe nicht nur Kaugummis verschenkt. Viele Einheimische mussten ihre Häuser und Wohnungen räumen, damit die Soldaten ein Dach über dem Kopf bekamen. Auch die Familie des damals siebenjährigen Karl Ostler musste ausziehen. Sie hatten noch versucht, die Besatzer mit dem Märchen abzuschrecken, dass ihre Kinder Diphterie hätten, aber es hat nichts genutzt, sie haben dann sogar noch ihr Bettzeug verloren: "Die haben hinter dem Haus ein Riesenloch aufgegraben, haben sämtliche Bettdecken und Kissen in das Loch geworfen, Benzin drüber geschüttet und es angezündet, weil sie so Angst vor der Diphterie hatten."
Auch Plätze und Straßen sperrten die Amerikaner in den kommenden Jahren für den deutschen Verkehr, beschlagnahmten viele Hotels und den Eibsee, und in den ersten Jahren fehlte es den Einheimischen an Lebensmitteln.
Wasserski am Eibsee und mit der Freundin ins Casa Carioca
Doch die Amerikaner brachten über die Jahre auch viel Wohlstand nach Garmisch-Partenkirchen. Sie brachten viele Touristen in die Stadt, waren Arbeitgeber, zum Beispiel in einer großen Reparaturwerkstätte für Panzer und Lastwagen aus ganz Südbayern, wo ein Bekannter von Horst Demmelmayr gearbeitet hat. Und Karl Ostlers Familie hatte in ihrem Textil- und Sportgeschäft viele amerikanische Kunden: "Wir haben lange gute Geschäfte mit den Amerikanern gemacht."
Und die Amerikaner haben es sich gutgehen lassen. Horst Demmelmayr konnte aufgrund seiner Baskettball-Kontakte zu den "Amis" davon profitieren. So durfte er manchmal am Eibsee Wasserski fahren und bekam auch Zutritt zur legendären Casa Carioca, einem Vergnügungslokal für Eisvorführungen und Tanz - für Deutsche war es normalerweise tabu: "Wenn Du da deine Freundin mitnehmen hast dürfen, dann warst Du natürlich der König!"
Kriegsende in Garmisch-Partenkirchen
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