In den vergangenen Monaten ist die Zahl unbegleiteter minderjähriger Geflüchteter in Bayern stark gestiegen, es fehlt an Betreuungspersonal und Platz.
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Die Zahl der unbegleiteten minderjährigen Geflüchteten in Bayern ist stark gestiegen, es fehlt an Betreuungspersonal und Platz.

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Junge Geflüchtete: "Wir können sie nicht auf der Straße lassen"

Junge Geflüchtete: "Wir können sie nicht auf der Straße lassen"

In den vergangenen Monaten ist die Zahl unbegleiteter minderjähriger Geflüchteter in Bayern stark gestiegen. Es fehlt an Betreuungspersonal - und vor allem an Platz. Die Landkreise schlagen Alarm.

Über dieses Thema berichtet: Bayern 2 am Samstagvormittag am .

Vier Jugendliche machen sich Tee und spielen im Wohnzimmer Tischkicker. Sie sind ähnlich alt, aber nicht miteinander verwandt, geschweige denn Geschwister. Teilweise kennen sie sich kaum - und doch wohnen sie zusammen.

Drei Jahre Flucht haben manche hinter sich, die in der Caritas-Unterkunft in Fürstenfeldbruck ankommen. Im "Alveni-Haus" leben unbegleitete, minderjährige Geflüchtete - Kinder und Jugendliche, die allein, ohne Eltern oder sonstige Familienmitglieder nach Deutschland geflohen sind. "Alveni" ist ein Wort aus der Kunstsprache Esperanto und bedeutet "ankommen".

Jugendliche arbeiten in Einrichtung auch Traumata auf

Derzeit sind hier 15 Jugendliche im Alter zwischen 15 und 18 Jahren untergebracht. Die meisten von ihnen kommen aus Afghanistan. In der Einrichtung könnten sie unter anderem mit Psychologen ihre Traumata aufarbeiten, sagt Tommy Beer, Jugend-Fachbereichsleiter bei der Caritas. Jeder der Geflüchteten hat einen "Bezugsbetreuer", rund um die Uhr ist Fachpersonal im Haus.

Beer erzählt, "dass Jugendliche in Libyen inhaftiert werden". Von den Eltern oder Angehörigen werde dann oftmals Geld für die Freilassung erpresst. Teilweise gebe es "furchtbare Geschichten von Jugendlichen, die so eng zusammengepfercht sind, dass sie sich nicht mehr hinsetzen können".

Vorkenntnisse in Alphabetisierungsklassen variieren

Nun sind sie in Deutschland. In der Berufsschule Fürstenfeldbruck gibt es eine sogenannte "Alphabetisierungsklasse". Auch einige jugendliche Geflüchtete aus dem "Alveni-Haus" gehen dorthin. Es gibt Übungen zum Lesen und Schreiben, und die Klasse wiederholt gemeinsam bereits bekannte Wörter. "Leute, was bedeutet Durst?", fragt Darena Dimitrova in den Klassenraum. Etwas Gemurmel unter den Schülern, dann löst die Lehrerin auf: "Hunger ist, wenn man etwas essen möchte. Durst ist, wenn man etwas trinken möchte."

Dimitrova schreibt die Buchstaben "D" in Groß- und Kleinschreibung an die Tafel – jeweils zuerst den senkrechten Strich nach unten, dann in der großen Variante den Bauch nach rechts, in der kleinen den Kringel nach links. So erklärt sie es ihren Schülern. Dimitrova kommt aus Bulgarien und studiert Gymnasiallehramt in München. In Fürstenfeldbruck unterrichtet sie Deutsch als Fremdsprache.

Dabei muss sie sich auf Schüler mit ganz unterschiedlichen Vorkenntnissen einstellen. Manche der geflüchteten Jugendlichen könnten laut Dimitrova weder lesen noch schreiben - egal in welcher Sprache. Andere würden zwar ihre Muttersprache gut beherrschen, kennen aber das lateinische Alphabet nicht. Und wieder andere seien nach einigen Monaten und Jahre hier bereits mündlich ganz gut in Deutsch und sollen nun auch lesen und schreiben lernen.

Landrat: Kapazitätsgrenze erreicht

Melike Sungur arbeitet als Sozialarbeiterin an der Berufsschule. "In den letzten zwei Jahre ist die Zahl der Geflüchteten eigentlich zurückgegangen in unseren Klassen", sagt Sungur. Jetzt sehe sie aber einen Anstieg von Jugendlichen, die unbegleitet nach Deutschland kämen: "Sie sind frisch in dem neuen Land, haben überhaupt keine Ansprechperson. Die letzten Wochen fand ich das doch sehr herausfordernd." Sie persönlich könne die Situation noch gut handhaben, sagt Sungur. Für andere wäre es vielleicht nicht so einfach, überlegt sie.

Gerade die Versorgung von unbegleiteten minderjährigen Geflüchteten umfasst weit mehr, als ihnen nur ein Dach über dem Kopf zur Verfügung zu stellen. Sie brauchen Betreuung und auch einen rechtlichen Vormund. Aktuell lebten rund 75 Jugendliche ohne Familie im Landkreis Fürstenfeldbruck, sagt Landrat Thomas Karmasin (CSU).

Der Großteil von ihnen sei in den vergangenen Monaten gekommen. Er habe kaum mehr Möglichkeiten, die jungen Menschen unterzubringen und Betreuung zu organisieren. Wie in vielen anderen Landkreisen sei auch in Fürstenfeldbruck die Kapazitätsgrenze erreicht.

Seit Juni kommen besonders viele unbegleitete Jugendliche

"Die Jugendämter in ganz Bayern sind völlig überlastet", sagt Karmasin. Und weiter: "Wir melden uns kollektiv alle ab, aber trotzdem werden uns die Jugendlichen vor die Tür gestellt, und wir müssen uns irgendwie darum kümmern. Wir können sie nicht auf der Straße lassen."

Tatsächlich ist die Zahl von unbegleiteten minderjährigen Geflüchteten zuletzt in ganz Bayern stark gestiegen. Knapp 4.400 leben aktuell im Freistaat. Vor genau einem Jahr waren es noch rund 3.000. Das ist ein Plus von mehr als 45 Prozent. Laut Sozialministerium stieg die Zahl gerade in den vergangenen Monaten besonders stark – mehr als 800 Jugendliche kamen seit Juni hinzu.

Präsident des Landkreistags fordert "zentrale Einrichtung"

Karmasin ist auch Präsident des Bayerischen Landkreistags: Er fordert, dass Bund und Freistaat die Kommunen mehr entlasten - zum Beispiel bei der Unterbringung. Für die sind die Landratsämter und kreisfreien Städte zuständig. Statt einer feingliedrigen Verteilung plädiert Karmasin für eine "zentrale Einrichtung", in der Fachkräfte die Kinder und Jugendlichen beaufsichtigten. "Da bräuchte man dann ja nicht so viele, wie man sie jetzt braucht, wenn man sie in einzelnen Wohnungen verteilt", so der Landrat. Noch besser wäre es in seinen Augen, den Zuzug zu begrenzen: "Dann hätte man das Problem nicht."

Scharf: Sammelunterkünfte werden Kindeswohl "nicht gerecht"

Auch CSU-Sozialministerin Ulrike Scharf fordert den Bund auf, Migration stärker zu steuern und zu begrenzen. Der Freistaat entlaste die Kommunen bereits, indem er die Kosten für die Unterbringung von Geflüchteten übernehme. Von einer Art Ankerzentrum für Jugendliche hält Scharf nichts: "Das wird dem Kindeswohl auch nicht gerecht." Für junge geflüchtete Menschen werde in der Regel ein Plan erstellt, welche sozialpädagogische oder therapeutische Hilfen sie bräuchten. Sie könne sich "nicht vorstellen, dass das in einem sogenannten Anker oder einer größeren Unterkunft so geleistet werden kann", so die Ministerin.

Landrat Karmasin sagt, am besten wäre es, man könnte sich so individuell um einen Jugendlichen kümmern, als wäre er in einer Familie: "Das wäre natürlich ideal", sagte Karmasin, "aber wir vergleichen ja nicht die Idealvorstellung, sondern wir vergleichen die Realitäten". Diese Betreuungssituation gebe es nicht, die Jugendlichen müssten "zum Teil sich selbst überlassen" werden. "Die Realität sieht so aus, dass die Menschen über Jahre in irgendwelchen Not-Baracken leben, dort nicht rauskommen, keine Wohnung finden, keine Arbeit finden, keine Sprache lernen, weil die Kapazitäten nicht da sind", sagt Karmasin.

Caritas will Berufsabschlüsse unbürokratischer anerkennen

Für Tommy Beer von der Caritas ist es wichtig, dass die Jugendlichen genug Unterstützung und psychologische Hilfe bekommen, um dann selbst Anschluss zu finden. "Sie müssen lernen, in unserer Gesellschaft zurechtzukommen", so Beer. "Uns ist lieber, sie gehen zum FC Emmering oder zum Box-Verein, als dass sie mit unseren Betreuern Fußball spielen, weil sie sollen hier in der Gesellschaft ankommen."

Im "Alveni-Haus" in Fürstenfeldbruck wäre noch Platz für sieben weitere Jugendliche. Doch es fehlt Fachpersonal. Vier bis fünf Sozialpädagogen bräuchte die Caritas - die seien auf dem Arbeitsmarkt aber nicht zu bekommen, so Beer. Sein Vorschlag: Ausbildungskapazitäten im Bereich der Jugendhilfe ausbauen und Berufsabschlüsse flexibler anerkennen.

Die Caritas will die Liste der Ausbildungen, die als Fachkräfte anerkannt sind, erweitern und wünscht sich Spielräume, um auch Mitarbeiter mit anderer beruflicher Qualifikation zu beschäftigen. Konkret könnten nicht nur studierte Sozialpädagogen, sondern auch Erzieher oder andere Hilfskräfte bei der Betreuung der Jugendlichen mitarbeiten.

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