Der letzte von 1.190 Stadelheimer Todeskandidaten während der NS-Diktatur kommt am 10. April 1945 unter die Guillotine. Der 30-jährige Guerrino Bozzato aus Padua muss sterben, weil er Tausende gestohlene Zigaretten schwarz verkauft und mehrere hundert Kilo Fisch aus dem Zeller See gefischt hat. Im Todesurteil wird er als "gefährlicher Gewohnheitsverbrecher" gebrandmarkt.
Neben "Volksschädlingen" wurden im Gefängnis München-Stadelheim auch Widerständler, politisch Andersdenkende, Zwangsarbeiter, die sich kleinere Vergehen hatten zuschulden kommen lassen, und Kriegsdienstverweigerer hingerichtet. Zu den prominentesten Opfern der Stadelheimer Guillotine gehören die Mitglieder der Weißen Rose.
Guillotine nach Straubing verfrachtet
Im Jahr 1945 gehen die Hinrichtungszahlen in Stadelheim drastisch zurück - von Januar bis April werden noch 42 Todeskandidaten hingerichtet. Während die Richter und Staatsanwälte in einem in Stadelheim eingerichteten Gerichtssaal - der Justizpalast war bereits zerbombt - noch Todesurteile erlassen, weigern sich die Bediensteten des Gefängnisses Mitte April, weiter bei den Hinrichtungen mitzuwirken. Die heranrückenden Alliierten mögen ihr Gewissen geweckt haben.
Also entscheidet sich die Justiz, 47 Todeskandidaten in der Nacht zum 13. April bei Nieselregen auf die Ladefläche eines Lastwagens zu verfrachten - am Anhänger unter einer Plane geschützt die Guillotine - und ins Gefängnis Straubing zu schicken. Dort sollen sie hingerichtet werden. Doch auch dort weigert sich das Personal. Deshalb beschließt der Gefängnisdirektor aus Angst vor einer Meuterei, die Todeskandidaten gemeinsam mit den übrigen Häftlingen auf einen Marsch nach Dachau zu schicken.
Flucht vom Todesmarsch nach Dachau
Einer der marschierenden Todeskandidaten ist der Essener Kommunist Heinrich Hamm. Auf seiner Stadelheimer Häftlingskarte war bereits sein Todesdatum eingetragen: "27. März 1945, 16 Uhr" und dahinter handschriftlich vermerkt: "Hingerichtet ☩". Ein Beamter strich den Eintrag kreuzweise durch und ergänzte die Verlegung nach Straubing mit Datum. Hamms Rechtsanwalt konnte offenbar in letzter Minute noch einen Aufschub erwirken. In einem Sammelband unter dem Titel "Der rote Großvater erzählt", berichtet Heinrich Hamm 1974, wie er auch den Todesmarsch überlebte.
Unterwegs freundet Hamm sich demnach mit einem Häftling aus Deggendorf an, der vorschlägt, über den Damm der Donau zu springen und am Ufer nach einem Ruderboot zu suchen. Gesagt, getan. Den beiden gelingt die Flucht auf einem ruderlosen Boot. Sie lassen sich bis Deggendorf treiben und verstecken sich bis zur Ankunft der Amerikaner. Dann schenkt der Deggendorfer seinem Essener Freund ein Fahrrad, mit dem der sich nach Hause durchschlägt.
Guillotine wird erst 1974 zum Museumsstück
Die Guillotine bleibt zunächst im Straubinger Gefängnis. Als jedoch nach dem Krieg in München Pläne aufkommen, sich auf neuerliche Hinrichtungen vorzubereiten, wird sie zur Reparatur nach Regensburg geschickt. Als Scharfrichter ist der in Straubing lebende Alois Weiß vorgesehen, der während der NS-Zeit zunächst in Stadelheim Scharfrichtergehilfe war und später in Prag 1.075 Menschen enthauptete.
Im Grundgesetz von 1949 ist die Todesstrafe nicht mehr vorgesehen. Also stellt die Regensburger Justiz die halb reparierte Guillotine auf den Speicher. Dort steht sie 25 Jahre lang. Erst 1974 wird sie dem Bayerischen Nationalmuseum angeboten und wird zum Museumsstück.
Gerüchte von Versenkung der Guillotine in der Donau
Die Öffentlichkeit erfährt von all dem nichts. Denn das Museum stellt die Guillotine nicht in die Ausstellung, sondern ins Depot. In der Bevölkerung hält sich das Gerücht, das Mordinstrument sei in der Donau versenkt worden. Übungstaucher suchen sogar einmal nach ihr. Jahrzehntelang wissen nur die Mitarbeiter des Museums von dem brisanten Stück. Dann erfährt der Autor dieses Artikels von ihrer Existenz und macht sie 2014 im Bayerischen Rundfunk öffentlich. Das Kunstministerium verbietet bald darauf eine Ausstellung mit dem Hinweis, die Sache solle erst "zu einem deutlich späteren Zeitpunkt nochmals geprüft werden".
Einen Antrag von Sanne Kurz (Grüne), die Guillotine nicht mehr im Depot zu verstecken und der Öffentlichkeit zugänglich zu machen, lehnte der Bayerische Landtag im November 2024 ab. Im April 2025 sprach sich als erster CSU-Politiker der Direktor der Stiftung Bayerische Gedenkstätten, Karl Freller, dafür aus, eine Ausstellung zu erwägen.
Im Audio: Erinnerung Fehlanzeige – 80 Jahre nach den Justizmorden in Bayern
Erinnerung Fehlanzeige: 80 Jahre nach den Justizmorden in Bayern
Das ist die Europäische Perspektive bei BR24.
"Hier ist Bayern": Der BR24 Newsletter informiert Sie immer montags bis freitags zum Feierabend über das Wichtigste vom Tag auf einen Blick – kompakt und direkt in Ihrem privaten Postfach. Hier geht’s zur Anmeldung!