Lüftlmalerei ist mehr als Fassadendekoration. Für Bernhard Rieger, einen der letzten Meister dieses Fachs, sind die Bilder eine Art offenes Buch, das von Glaube, Heimat und Alltag erzählt. "Wenn man sich vorstellt, dass die Orte alle weiß wären – das wäre Wahnsinn, das wäre so schade“, sagt er. Deshalb will er die Kunst weiterentwickeln, ohne dabei ihre Wurzeln zu verlieren.
Tradition trifft Gegenwart
Gerade arbeitet der Künstler in Bichl bei Bad Tölz an einem neuen Werk. Auftraggeber ist die Familie der Landmetzgerei Kramer in Bichl, der Heimat und Glaube wichtig ist – aber nicht in rein kirchlicher Form. Herausgekommen ist (wie im Bild oben zu sehen) ein Entwurf, der traditionelle Elemente mit Szenen aus dem Dorfleben verbindet.
Der heilige Georg als Kirchenpatron der Bichler sitzt in Tracht auf einem Pferd und schwingt den Degen, auf der anderen Seite sitzt der Heilige Benedikt, der Patron vom Kloster Benediktbeuern, auch unter seiner Mönchskutte spitzen Trachtenstrümpfe heraus. Im Hintergrund zieht eine Fronleichnamsprozession vom Kloster zur Bichler Kirche; alles umrahmt von der Bergkulisse mit der Benediktenwand. Für Rieger zeigt das Bild Rivalität, aber auch Einklang zwischen den Gemeinde und Kloster, überspannt von Glaube, Brauchtum und Heimat.
Wimmelbild von anno dazu mal
Ein Jahr lang hat sich Rieger dafür vorbereitet. Denn noch bevor der erste Pinselstrich gesetzt wird, steckt viel Arbeit in Skizzen, Abstimmungen und Details. Erst wenn alles passt, beginnt die eigentliche Malerei.
Mit zehn mineralischen Farbtönen entsteht ein Werk, das an ein Wimmelbild erinnert. Viele kleine Szenen, manche versteckt, andere klar im Mittelpunkt. Es sind Motive, die den Menschen im Dorf vertraut sind – Alltagsmomente, Begegnungen, ein Stück Heimat auf Putz gebannt. Damit knüpft Rieger an die ursprüngliche Idee der Lüftlmalerei an: Häuser sollen Geschichten erzählen, für Bewohner wie für Besucher.
Audio: Meister Bernhard bei der Arbeit
Aus nur zehn mineralischen Farbe schafft Künstler Bernhard Rieger echte Meisterwerke.
Kunst im Spannungsfeld von Tradition und Gegenwart
Rieger ist überzeugt, dass Lüftlmalerei auch heute noch eine Botschaft hat. "Es ist keine Glorifizierung“, erklärt er, "es ist der Einklang von Glaube, Heimat, Familie, Menschen, Kommunikation – aber auch Zusammenkommen und Begegnung.“ Er möchte die Menschen im Ort abbilden, nicht Helden vergangener Jahrhunderte. Und doch bleibt der Respekt vor der Tradition spürbar. Gerade diese Mischung sorgt in Bichl für Gesprächsstoff. Manche erkennen sich oder vertraute Szenen in den Malereien wieder. Andere diskutieren darüber, wie viel Glaube oder wie viel Moderne ein Bild zeigen sollte. So werden die Fassaden zu lebendigen Orten des Austauschs.
Lüftlmalerei als Kulturerbe?
Damit die Kunstform nicht endgültig verschwindet, setzt sich Rieger dafür ein, die Lüftlmalerei als immaterielles Kulturerbe anerkennen zu lassen. Er hat bereits die Bewerbungsunterlagen ausgefüllt und sucht jetzt nur noch Mitstreiter. Rieger knüpft dabei an eine lange Tradition an: Schon Johann Wolfgang von Goethe beschrieb die bemalten Fassaden bei seiner Italienreise 1781 als ein "offenes Bilderbuch". Dieses Bild ist für Rieger Leitmotiv und Antrieb zugleich. "Das Buch darf nicht zugeschlagen werden“, sagt er. "Es soll weiter ein offenes Bilderbuch bleiben."
Bilderbücher an den Wänden sollen überdauern
Ob in Bichl, Oberammergau, Mittenwald oder anderswo im Oberland – wo Lüftlmalerei erhalten bleibt oder neu entsteht, erzählen Hauswände Geschichten aus Vergangenheit und Gegenwart. Auftraggeber wie Rudi Kramer zeigen, dass Tradition und Moderne zusammenpassen können. Und Künstler wie Bernhard Rieger sorgen dafür, dass die Kunstform nicht in Vergessenheit gerät. So bleibt die Lüftlmalerei ein Stück lebendige Heimat – für die Dorfbewohner, die Besucher und für die kommenden Generationen.
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