Die Teillegalisierung von Cannabis in Bayern ist seit etwas mehr als einem Jahr in Kraft. Das Bezirkskrankenhaus Augsburg meldete kürzlich, es habe mehr Patienten mit Psychosen nach Cannabiskonsum aufgenommen. Auf Nachfrage des BR ergab sich auch bei zwei weiteren Kliniken in Bayern ein leicht erhöhter Anstieg: Die Bezirksklinik Mittelfranken und das Bezirkskrankenhaus Lohr am Main bestätigten beide eine drogeninduzierte Zunahme von Psychosen in ihren Einrichtungen.
Gibt es einen Zusammenhang zwischen Cannabis-Legalisierung und vermehrten Fällen von Psychosen? Konsumieren mehr Menschen Cannabis, weil der Besitz kleiner Mengen und der Anbau weniger Pflanzen nicht mehr strafbar ist? Und bekommen mehr Menschen eine Psychose?
Vom Einser-Schüler zum Schizophrenie-Patienten
Max, der in Wirklichkeit anders heißt, ist 28 Jahre alt und hat als 16-Jähriger angefangen, Cannabis zu rauchen. Damals war er ein Einser-Schüler, sportlich und beliebt. Nach einigen Monaten traten Psychosen auf – er rauchte weiter große Mengen Cannabis. Seine Drogensucht bestimmte irgendwann sein Leben. Max hat die Schule geschmissen, lebte zeitweise auf der Straße und landete im Gefängnis.
Heute lebt er in einer betreuten Wohngruppe und hat paranoide Schizophrenie. Auslöser der Schizophrenie war nach Aussage seiner Ärzte der Cannabiskonsum, wie er dem BR berichtet hat. Die Krankheit äußert sich bei ihm in Reizüberflutung: Max glaubt dann zum Beispiel, dass ihn die Körpersprache anderer Menschen beeinflussen will. Er hört und sieht Dinge, die gar nicht da sind – akustische und visuelle Halluzinationen. Manchmal hält dieser Zustand mehrere Stunden an. Max bekommt Psychopharmaka: eine Depotspritze einmal im Monat und täglich Tabletten. Aber: Schizophrenie ist nicht heilbar.
Je höher der THC-Gehalt, desto höher ist das Risiko
Von einer Schizophrenie spricht man, wenn sich Psychosen aneinanderreihen und nicht mehr verschwinden. Oliver Pogarell, Psychiater und Leiter der Abteilung für Klinische Neurophysiologie an der LMU Klinik München, sagt, dass Cannabis Psychosen auslösen könne. Wie viel Prozent der Cannabis Konsumenten tatsächlich an einer Psychose erkranken, könne man nicht genau sagen, denn dazu gäbe es keine Zahlen. Das hänge von den individuellen Voraussetzungen ab. Besonders gefährdet seien Menschen, die eine genetische Veranlagung haben – also etwa dann, wenn es in der Familie bereits psychische Erkrankungen gegeben hat.
Auch die Potenz der Cannabinoide spiele eine wichtige Rolle: Je höher der THC-Gehalt im Cannabis, desto größer das Risiko. Bei der Mehrheit der Konsumierenden passiere aber nichts.
Bislang nicht belegt, dass Legalisierung zu mehr Psychosen führe
Es gibt bisher keine Studien oder belastbaren Zahlen, die belegen, ob die Legalisierung in Bayern zu mehr Psychosen geführt hat. Auch eine im Februar veröffentlichte Studie der University of Ottawa legt nahe, dass es keinen Zusammenhang zwischen Legalisierung und Psychosen gibt.
Dass einige bayerische Kliniken von mehr Fällen berichten, hat aus Sicht von Oliver Pogarell andere Gründe: Viele Jahre sei bei der Diagnose Psychose gar nicht erfasst worden, ob und wie viel Cannabis konsumiert wurde. Das habe sich inzwischen geändert. Zudem konsumierten Jugendliche mehr als früher – deshalb werde in den Kliniken gezielter nach Cannabis gefragt. Ein genereller Anstieg von Psychosen sei seiner Ansicht nach aber nicht zu beobachten, sagt der Psychiater.
Es wird mehr Cannabis konsumiert
Laut der bayerischen Kriminalstatistik 2024 ist die Rauschgiftkriminalität im Freistaat nach der Legalisierung im vergangenen Jahr um 39 Prozent gesunken. Gleichzeitig wird aber auch mehr Cannabis konsumiert.
Oliver Pogarell, Psychiater und Leiter der Abteilung für Klinische Neurophysiologie an der LMU Klinik München, sagt das Risiko, durch Cannabis eine Psychose zu entwickeln, sei real – besonders bei jungen Menschen. Ihr Gehirn sei noch nicht vollständig ausgereift. Wer viel und sehr potentes Cannabis konsumiere, erhöhe das Risiko. Ob jemand eine besondere Anfälligkeit – eine sogenannte Vulnerabilität – für Psychosen oder Schizophrenie habe, lasse sich im Vorfeld nicht sagen. Erst wenn nach dem Konsum entsprechende Symptome aufträten – und womöglich dauerhaft bleiben – würde das sichtbar.
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