Nach einer monatelangen faktischen Blockade durch Israel haben erstmals wieder größere Hilfslieferungen den Gazastreifen erreicht. In der Nacht warf das Militär einige Paletten mit Mehl, Zucker und Konserven aus der Luft ab. Am Mittag trafen 100 Lkw mit Nahrung und Medikamenten in dem abgeriegelten Küstengebiet ein. Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) telefonierte derweil erneut mit dem israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu.
Hungersnot im Gazastreifen
Die Waren werden dringend benötigt. Neben der Weltgesundheitsorganisation WHO warnten mehr als 100 Hilfsorganisationen und Menschenrechtsgruppen zuletzt vor einer tödlichen Hungerkrise unter den rund zwei Millionen Bewohnern des Gazastreifens. Fotos aus dem großflächig zerstörten Küstengebiet, in dem Israel Krieg gegen die islamistische Hamas führt, zeigten Kleinkinder in den Krankenhäusern, die nur noch Haut und Knochen waren.
Nach Angaben des von der Hamas kontrollierten Gesundheitsministeriums starben bereits mehr als 100 Menschen an Unterernährung, 80 Prozent von ihnen Kinder. Israel bestreitet, dass es im Gazastreifen eine Hungerkatastrophe gebe und spricht stattdessen von einer "Kampagne" der Hamas.
Kehrtwende nach weltweiter Kritik
Die weltweite Kritik an ihrer Vorgehensweise im Palästinensergebiet hat die israelische Führung nun offensichtlich zu einer Kehrtwende bewogen. Überraschend kündigte das Militär in der Nacht zum Sonntag an, bis auf Widerruf jeden Tag von 10 bis 20 Uhr eine humanitäre Feuerpause in Teilen des Gazastreifens einzuhalten.
Die Pause gelte in den Gebieten, in denen die Armee nicht operiere: Al-Mawasi im Südwesten des abgeriegelten Küstenstreifens, in Deir al-Balah im Zentrum sowie in der Stadt Gaza im Norden. Ferner würden von 6 bis 23 Uhr Ortszeit Korridore eingerichtet, um die sichere Durchfahrt von Konvois der UN- und anderer Hilfsorganisationen zu ermöglichen, teilte die Armee weiter mit.
Auch eine Entsalzungsanlage zur Aufbereitung von Trinkwasser im Gazastreifen sei nun wieder an das israelische Stromnetz angeschlossen worden, so die Armee. Die eingeleiteten Maßnahmen zielten darauf ab, "die falsche Behauptung zu widerlegen, dass der Gazastreifen absichtlich ausgehungert wird".
Kritik an der Hilfe aus der Luft
Der UN-Nothilfekoordinator Tom Fletcher begrüßte die Ankündigung des israelischen Militärs. "Mit unseren Teams vor Ort werden wir alles tun, was wir können, um in diesem Zeitfenster so viele hungrige Menschen wie möglich zu erreichen", schrieb er auf der Plattform X.
Bereits im vergangenen Jahr hatten Jordanien, Deutschland und andere Länder einige Wochen lang Hilfsgüter abgeworfen. Helfer halten die Methode jedoch wegen der relativ geringen Mengen für ineffektiv, etwa im Vergleich zu Lastwagentransporten. Außerdem könnten Menschen am Boden durch die Paletten erschlagen oder verletzt werden.
Aber auch bei der Versorgung über Land kam es immer wieder zu tödlichen Zwischenfällen – vor allem im Umfeld der Verteilzentren der von Israel und den USA unterstützten Gaza Humanitarian Foundation (GHF). So schossen israelische Soldaten, die eigentlich das Umfeld sichern sollten, immer wieder in die Menge der Hilfesuchenden. Nach UN-Angaben sind auf diese Weise rund 900 Menschen ums Leben gekommen.
Merz dringt bei Netanjahu auf Waffenstillstand
Um den internationalen Druck auf Israel weiter zu erhöhen, hat Bundeskanzler Merz mit Ministerpräsident Netanjahu telefoniert. Der Kanzler drängte auf einen Waffenstillstand und mehr humanitäre Hilfe. Den von der israelischen Regierung angekündigten Maßnahmen müssten nun rasch substanzielle weitere Schritte folgen, so Merz. "Der Bundeskanzler brachte seine große Sorge zur katastrophalen humanitären Lage in Gaza zum Ausdruck. Er forderte Premierminister Netanjahu auf, alles in seiner Macht Stehende zu unternehmen, um umgehend einen Waffenstillstand zu erreichen", teilte Regierungssprecher Stefan Kornelius mit.
Wieder Dutzende Tote bei Angriffen
In Teilen des Gazastreifens griff Israel unterdessen weiter an. Nach Angaben der Gesundheitsbehörde kamen seit dem Morgengrauen mindestens 53 Palästinenser ums Leben. Allein 32 Menschen sollen beim Warten auf humanitäre Hilfe getötet worden sein.
Mit Informationen von dpa
Im Video: Israel lässt Hilfslieferungen zu Lande und aus der Luft zu
Palästinenser im fast vollständig zerstörten Gazastreifen.
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