Seit 1994 untersucht Andreas Wolf die Eiskapelle am Watzmann. Jedes Jahr Ende Oktober kommt er mit seinen Kollegen nach St. Bartholomä am Königssee und wandert an den Fuß der Watzmann-Ostwand, um die Veränderungen an der Eiskapelle zu vermessen. Das wird er auch in diesem Jahr machen.
Der Höhlen- und Karstforscher hat in der Vergangenheit bereits große, farbige Plaketten mit einem Durchmesser von 50 Zentimeter am Felsen angebracht. "Jeder dieser Punkte ist mit eigenen GPS-Daten verknüpft", sagt Wolf. Für die Messungen nutzen Wolf und seine Kollegen einen Theodolit, also ein Fernrohr zur Winkelmessung und das Verfahren der Fotogrammetrie, das aus mehreren Fotografien eines Objekts durch geometrische Berechnungen präzise dreidimensionale Modelle erstellt.
Die Wissenschaftler erstellen dann jedes Jahr ein digitales Abbild der Eishöhle am Fuße der Watzmann-Ostwand. "Das vergleichen wir dann mit unserem Vorjahresmodell", sagt Andreas Wolf. So erkenne man Verschiebungen, Zu- oder Abnahmen der Eismassen über die Jahre hinweg.
"Für uns ist das die Nulllinie"
Für die Wissenschaftler ist der Zusammenbruch der Eiskapelle eine Art Neuanfang. "Wir stehen jetzt am Grund des Tals", sagt Höhlenforscher Wolf. "Für uns ist das die Nulllinie." In der Zukunft kann man den Zuwachs von Eis und Schnee in absoluten Zahlen, also von null aufwärts dokumentieren. "Wir sind schon der Meinung, dass hier wieder etwas entstehen wird", sagt Andreas Wolf. "In welcher Größe, wird sich in der Zukunft zeigen."
Heiße Sommer und wenig Schnee im Winter
Forscher wie Andreas Wolf haben das Ende der Eiskapelle zwar vorhergesagt, "dass es jetzt schon Anfang September eintritt, hat mich überrascht", sagt Wolf. Seit 1953 sei fast eine Million Kubikmeter Firneis abgeschmolzen, allein seit Ende 2019 mehr als 575.000 Kubikmeter. Schneearme Winter und heiße Sommer hätten die Struktur geschwächt, warme Niederschläge in den vergangenen Wochen hätten schließlich den Zusammenbruch bewirkt.
Gefahren für Wanderer und Bergsteiger
Die durch den Zusammenbruch der Eiskapelle freigewordenen Fläche birgt jetzt auch neue Gefahren für Wanderer und Bergsteiger, sagt Wolf. Wer über den Kederbacher Weg in der Ostwand steigt, sollte sich über die neue Situation am Berg informieren. Durch das Abschmelzen des Permafrostbodens würden das freigelegte Gestein und der Fels splittrig. Die Gefahr eines Bergsturzes oder eines Steinschlags steigt also.
Die Nationalparkverwaltung warnt Wanderer eindringlich vor dem Betreten der Reste des Naturdenkmals, es herrsche im gesamten Bereich der Eiskapelle akute Steinschlaggefahr. Auch der letzte, noch stehende Eisbogen und die Eiswände am Rand könnten jederzeit zusammenbrechen. Vom Einsturz der Eiskapelle seien auch die Zustiege in die Watzmann-Ostwand betroffen.
In den vergangenen Jahren häufen sich die Fälle von Bergstürzen in den Europäischen Alpen. In Schweizer Brienz kam es im Juni 2025 zu einem massiven Bergsturz. Einen Monat zuvor löste sich in Blatten im Lötschental ebenfalls eine Schutt- und Eislawine, bei der ein Mensch ums Leben kam und auch im Nationalpark Berchtesgaden kam es im August zu einem Felssturz. Glaziologen und Geologen führen diese Fälle auf die klimatischen Veränderungen zurück. 300 der insgesamt 900 österreichischen Gletscher werden – so die Prognose – bis 2030 verschwunden sein.
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