"Frieden sei mit Dir", singt der Chor der Scharrerschule zu Beginn der Gedenkveranstaltung für İsmail Yaşar. Die Grund- und Mittelschule liegt gegenüber dem Platz, wo Yaşar vor zwanzig Jahren ermordet wurde. Am Tatort steht eine kleine Bühne mit einem Rednerpult. Die Rechtsterroristen des "Nationalsozialistischen Untergrunds – NSU“ erschossen den 50-Jährigen Familienvater am 9. Juni 2005 in seinem Döner-Imbiss am helllichten Tag und aus nächster Nähe. Es ist vor allem die Schule, die das Gedenken an Yaşar am Leben erhält. Viele Lehrerinnen und Lehrer können sich sowohl an den Menschen als auch an den Tag des Mordes erinnern.
Lehrerin erinnert sich: "Er war für die Kinder wie ein Papa"
Lehrerin Sylvia Tatár ist seit 2003 an der Scharrerschule. Sie hatte ihr Auto oft neben dem Döner-Imbiss von Ismail Yaşar geparkt. Sie hätten sich freundlich gegrüßt und manchmal miteinander geplaudert, erzählt sie in ihrer Rede. Zwischendurch hält sie inne und seufzt. Der Mord an dem 50-jährigen Familienvater habe sie sehr schockiert, sagt die Lehrerin, die die Gedenkveranstaltung mitorganisiert hat. Er habe den Schülerinnen und Schülern oft Wassereis geschenkt. "Alle Kinder waren begeistert von ihm. Er war wie ein Papa für sie. Er war einfach ein besonderer Mensch."
Ermittlungen gingen in die falsche Richtung
Wie auch bei den anderen Mordfällen im NSU-Komplex gab es im Fall von İsmail Yaşar nur oberflächliche Ermittlungen gegen Rechtsextreme. So wurden Spuren in die Nürnberger Neonazi-Szene nur flüchtig verfolgt. Stattdessen verdächtigten die Ermittler über Jahre hinweg Familienangehörige und suchten Verbindungen in die Organisierte Kriminalität.
Erst mit der Selbstenttarnung des NSU im Jahr 2011 wurde klar, dass İsmail Yaşar das sechste Opfer der bundesweiten Mordserie war. Auch Lehrerin Sylvia Tatár wurde vor zwanzig Jahren von der Polizei befragt, ob der Imbissbetreiber etwas mit dem Drogenmilieu zu tun gehabt haben könnte: "Das wäre mir bei ihm überhaupt nicht in den Sinn gekommen", sagt sie.
Schülerinnen und Schüler der Scharrer-Mittelschule singen bei der Gedenkveranstaltung für Ismail Yaşar
"Alle Menschen sollen in Frieden leben können"
Dem Schulleiter der Nürnberger Scharrer-Mittelschule ist es wichtig, dass das Gedenken an İsmail Yaşar an seiner Schule aufrechterhalten wird. "Wir gedenken dieser feigen Tat. Wir gedenken den Hinterbliebenen dieser Tat", erklärt Markus Philipp. Im Mittelpunkt der Gedenkveranstaltung stehen aber die Schülerinnen und Schüler der Schule. "Wir wünschen uns, dass alle Menschen in unserem Land in Frieden leben können und so etwas Schreckliches nie wieder passiert", sagen Schüler der 4. Klasse auf dem Podium.
Schülerinnen: "Rassismus ist ein Gift"
Zwei Schülerinnen berichten über İsmail Yaşars Leben: 1955 kam er in der Türkei zur Welt. Mit 23 Jahren zog er nach Deutschland. Hier heiratete er und wurde Vater von zwei Kindern. Yaşar arbeitete in Franken in mehreren Jobs, unter anderem auch als Schweißer. Mit 44 Jahren machte er sich selbstständig und betrieb den Dönerimbiss, genau gegenüber der Scharrerschule, die zum Zeitpunkt des Mordes auch sein Sohn besuchte. Die 13-jährige Elisha und eine Mitschülerin berichten darüber. Es sei schrecklich, dass jemand ermordet wurde, weil er türkische Wurzeln habe. Rassismus sei ein Gift, sagt sie.
Grünfläche mit Bänken und Schachtisch zum Gedenken an Yaşar
Auch Nürnbergs Oberbürgermeister Marcus König (CSU) warnt in seiner Rede vor zunehmendem Rassismus in der Gesellschaft. Eine Terrorzelle wie der NSU könne wieder entstehen. Immerhin würden 170 Nationen in Nürnberg in Frieden leben. "Wir alle sind Nürnberg", ruft König den Schülerinnen und Schülern zu. Vor Kurzem hat die Stadt Nürnberg neben dem Imbiss von İsmail Yaşar eine Grünfläche mit Bänken, Bäumen und einem Schachtisch der Öffentlichkeit übergeben: Der İsmail-Yaşar-Platz soll ein Ort der Begegnung und ein Zeichen für Toleranz sein.
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