Die Angeklagte Asia R.A. verbirgt ihr Gesicht hinter einer Mappe. Zu Beginn trägt sie eine Kopfbedeckung, die sie jedoch schnell abnimmt. Ihr schwarzes Haar fällt offen über die Schultern. Der Angeklagte Twana S. verdeckt sein Gesicht mit einem Blatt Papier, in das Sehschlitze geschnitten wurden. Er zittert, als er den Gerichtsaal betritt. S. sitzt gebeugt am Tisch – behauptet, er sei im Gefängnis, in der JVA Gablingen, misshandelt worden und zudem nicht verhandlungsfähig.
Das Gericht unterbricht das Verfahren, der Angeklagte wird auf seine Verhandlungsfähigkeit untersucht. Der sachverständige Arzt stellt fest: Er ist verhandlungsfähig. Die Misshandlungs-Vorwürfe des Angeklagten würden gesondert untersucht, so ein Gerichtssprecher. In der Justizvollzugsanstalt Gablingen laufen seit Längerem Ermittlungen wegen des Verdachts auf Übergriffe von Bediensteten gegenüber Gefangenen.
Jesidische Kinder missbraucht?
Die Angeklagten Twana S. und Asia R. sollen während ihrer Zeit beim sogenannten Islamischen Staat (IS) in Syrien und im Irak zwei jesidische Mädchen versklavt und missbraucht haben. Seit heute steht das Paar in München vor dem Oberlandesgericht. Bei der Verlesung der Anklage wird deutlich, welchen Torturen die Kinder ausgesetzt waren – allein wegen ihrer Herkunft.
Die Jesiden sind eine ethnisch-religiöse Minderheit mit alten Wurzeln im Nordirak. Ihre Glaubenslehre vereint Elemente aus Zoroastrismus, Christentum und Islam. Ab dem Jahr 2014 wurden sie vom sogenannten Islamischen Staat als "Götzenanbeter" diffamiert – es folgten gezielte Vertreibungen, Versklavungen und Massentötungen, vor allem in der Region Sindschar. Auch Kinder gerieten ins Visier des Terrors und wurden Opfer systematischer Gewalt. Die Bundesrepublik hat das als Völkermord anerkannt, weswegen die Angeklagten in München vor Gericht stehen. Während des Verfahrens demonstrierten Aktivisten vor dem Gerichtsgebäude für die Aufarbeitung des Völkermords an den Jesiden.
Jesidische Kinder missbraucht? Details zu den Vorwürfen
Zwischen 2015 und 2017 sollen die Angeklagten ihre Opfer verschleppt, versklavt und missbraucht haben. Die Fünfjährige Ikhlas wurde der Anklage zufolge 2015 auf einem Markt im irakischen Mossul gekauft und fortan zur Hausarbeit und zum Auswendiglernen islamischer Gebete gezwungen. Jegliche Form freier Willensäußerung wurde unterdrückt. Das Mädchen sei geschlagen, gedemütigt und sogar mit heißem Wasser verbrüht worden. Auch die damals zwölfjährige Aliya kam später in die Gewalt des Paares. Sie wurde nach Angaben der Bundesanwaltschaft 2017 auf einem Militärstützpunkt in der Provinz Deir Ezzor gekauft.
Zudem wurden die Mädchen offenbar mehrfach vergewaltigt – laut Anklage unter Mitwirkung beider Angeklagter.
In einem Fall habe die Angeschuldigte mit der Zwölfjährigen im Obergeschoss des Hauses einen Raum gereinigt. Dann habe Asia R. das Mädchen dazu veranlasst, gegen ihren Widerstand sich für den Angeschuldigten zu "duschen, ansprechend zu kleiden und die Haare offen zu tragen", so die Bundesanwaltschaft. Asia habe das Kind geschminkt und zu Twana S. geschickt: "Dort wurde Aliya von dem Angeschuldigten erwartet, der sie fesselte und gegen ihren Willen den Geschlechtsverkehr mit ihr vollzog, ohne Verhütungsmittel zu verwenden", sagte die Bundesanwaltschaft. Mehrfach schüttelte Asia R. A. den Kopf, als die Vertreterin der Bundesanwaltschaft die Vorwürfe gegen sie verlas.
Mutmaßliches Opfer als Zeugin erwartet
Am Ende trennten sich die Wege der versklavten Mädchen: Aliya konnte 2018 durch ihre Familie befreit werden. Diese kaufte das Kind für rund 12.000 US-Dollar frei. Sie wird im Prozess als Zeugin erwartet. Das Schicksal von Ikhlas bleibt dagegen bis heute ungeklärt. "Ich denke, es ist sehr wichtig, in den Vordergrund zu stellen, wie jung die beiden Mädchen waren, die mutmaßlich in dem Haushalt der Angeklagten versklavt wurden", sagte die Vertreterin Aliayas, die Anwältin Natalie von Wistinghausen.
Vorgeschichte der Angeklagten
Im Zentrum steht auch die Frage, wie sich Twana S. radikalisieren konnte. Anfang der 2000er kam er als Asylbewerber nach München, lebte zunächst ein unauffälliges Leben, ging sogar aufs Oktoberfest. Nach persönlichen Krisen radikalisierte er sich in einer islamistischen Moschee. Seine spätere Ehefrau lernte er im Herrschaftsgebiet des IS kennen. Sie bekamen zwei Kinder.
2018 zog das Paar nach Bayern, wo sie sich trennten. Dort wurde Twana S. wegen Mitgliedschaft in der Terrororganisation IS zu über vier Jahren Haft verurteilt – er hatte unter anderem eine Kampfausbildung absolviert. Während des ersten Verfahrens, das der BR verfolgte, wirkte er sehr emotional.
Nach seiner Entlassung klickten im April 2024 erneut die Handschellen, als die Missbrauchsvorwürfe im Zusammenhang mit jesidischen Mädchen bekannt wurden. Die beiden wurden in Roth und Regensburg festgenommen.
Die Verteidigung der Frau, der Regensburger Anwalt Shervin Ameri, weist die Vorwürfe zurück. Seine Mandantin sei bei der Heirat erst 19 Jahre alt gewesen und habe sich ihrem Mann beim IS unterordnen müssen. Der Anwalt des Ehemanns äußert sich bislang nicht zu den Vorwürfen. Die beiden Kinder des Paares befinden sich nach Informationen des BR in der Obhut des Jugendamtes.
Im Audio: Jesidische Kinder beim IS missbraucht? Ehepaar vor Gericht
Prozess in München: Ein irakisches Ehepaar, das dem IS nahesteht, soll zwei jesidische Mädchen als Sklavinnen gehalten und missbraucht haben.
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