Opernpremiere in Augsburg: Doch auf der Bühne stehen nicht etwa Menschen, sondern Roboterziegen. Die Emotionen in den Gesichtern der Zuschauerinnen und Zuschauern der Oper "dolci_ingananni.zip." reichen entsprechend von Schock bis Faszination. Dabei werfen die Roboterziegen, die in der dunklen, hohen Halle des Kühlergebäudes im Gaswerk Augsburg singend auf das Publikum zu staksen, eine Frage auf, wie sie aktueller kaum sein könnte: Welche Rolle werden Menschen in Zukunft im Theater noch spielen, wenn Maschinen immer besser werden?
KI als Mitautorin
Die Hamburger Künstlerin und "Ziegenmama" Tintin Patrone steht am Rand der Weide, fast liebevoll hält sie einer ihrer Ziegen ihre Hand hin. Die Hybriden aus Kunststoff und Metall, vorne auf Beinen, hinten auf einer Art Rollstuhl, sie seien ihre Haustiere: "Natürlich sind sie nicht lebendig, sie bewegen sich aber. Und man entwickelt schon ein Verhältnis zu ihnen, man kann da etwas rein projizieren. Freundschaften entstehen dabei vielleicht nicht gerade, aber schon ein besonderes Miteinander."
Eine "künstliche Mitperformerin" habe Patrone sich vor vier Jahren schaffen wollen, der Ingenieur Benjamin Maus half bei der Umsetzung. Für das aktuelle Spin-off zur großen Opernproduktion "Così fan tutte" des Staatstheaters Augsburg ist sie einen Schritt weiter gegangen und hat auch noch die Texte von einer Künstlichen Intelligenz (KI) schreiben lassen. Dafür hat sie ihr mitgeteilt, dass sie eine Ziege sei und Arien für die Oper in eigenen Worten schreiben soll – aus Ziegensicht. So sei die KI "quasi Mitautorin" und "ein Hirn von vielen".
Grenzen der KI
Doch auch Menschen spielen weiterhin eine Rolle. Sie haben etwa das Konzept entworfen, die Opernsängerinnen Natalya Boeva, Jihyun Cecilia Lee und Olena Sloiadie leihen den Ziegen ihre Stimmen. KI-generierte Verse wie "Oh Weide, du mein Trost, Ach, Du mein Grün des Lebens Huldigung, der Wind". "Wie bei den Ziegen gut zu hören", erklärt dazu Sophie Walz, leitende Musikdramaturgin am Staatstheater Augsburg, "sind Betonungen und Phrasierungen oft falsch, Sätze sind mitten in der musikalischen Phrase unvollständig." Die dramaturgische Auswahl und Struktur hat Walz zusammen mit ihrem Kollegen Stefan Leibold entwickelt – ganz ohne KI.
Auch wenn die KI erst ein recht neues Phänomen ist und stets dazulernt - der Mensch wird auch in Zukunft im Theater zentral bleiben, ist sich Digitalspartenleiter Benjamin Seuffert sicher: "Die KI gibt ja eigentlich nur wieder, was sie schon gehört hat. Mit Trainingsdaten fasst sie das immer neu zusammen." Immer wieder komme dabei auch Interessantes heraus, Geschichten mit rotem Faden. Schwer tue sich die KI aber, etwas Neues zu schaffen. "Das ist etwas, was der Mensch der Maschine für immer voraushaben wird. Denn irgendwann muss es mal ein Mensch gesagt haben, damit die Maschine es wiederholen kann", so Seuffert. Auch die Künstlerin Tintin Patrone hat keine Angst, dass die KI sie irgendwann ersetzen könnte.
Begegnungen von Mensch und Maschine
Wie sie, wagt auch eine Besucherin es schließlich, einer der Ziegen ihre Hand hinzustrecken. "Als wir unten saßen und so auf Augenhöhe waren mit den Ziegen, sie plötzlich auf uns zukamen, hatte ich einen kurzen Schreckmoment", erinnert sich Besucherin Helena Böhme nach der Vorstellung, "weil es eine Interaktion ist, die man nicht einschätzen kann und ich nicht wusste, ob der Sensor funktioniert oder es eine sehr nahe Begegnung wird."
Die Stars sind an diesem Abend wohl die Maschinen. Dabei wollen sie aber gar nichts von alledem wissen. Sie stapfen einfach weiter, unbelebt, und tun so, als würde sie das alles nichts angehen. Zu Stars werden sie nur in Verbindung mit Menschen: ihren Schöpfern, den Musikerinnen, dem Publikum.
Das 35-minütige Stück "dolci_ingananni.zip" läuft noch täglich bis Sonntag, 18. Mai, im Gaswerk Augsburg. Dort wird es jeweils zwischen 18 Uhr und 20:15 Uhr wiederholt.
Das ist die Europäische Perspektive bei BR24.
"Hier ist Bayern": Der BR24 Newsletter informiert Sie immer montags bis freitags zum Feierabend über das Wichtigste vom Tag auf einen Blick – kompakt und direkt in Ihrem privaten Postfach. Hier geht’s zur Anmeldung!