Ingeborg Beck ist 84 Jahre alt. Seit knapp fünf Jahren lebt sie im Seniorenheim in Frontenhausen. Und dann liegt an einem Freitag plötzlich ein Brief auf ihrem Tisch. Das Heim ist pleite, der Betreiber hat am 15. Mai 2025 Insolvenz angemeldet. Die ersten Bewohner ziehen aus oder sehen sich nach neuen Plätzen um, Ingeborg Beck nicht. Und sie hat Glück. Quälende Wochen haben Ingeborg Beck und ihre zum Schluss noch rund 50 Mitbewohner in dem Heim hinter sich. "Das wär schon schlimm gewesen" sagt die 84-Jährige mit Tränen in den Augen beim Interview mit BR24. "Einen alten Baum verpflanzt man doch nicht mehr".
So wie Ingeborg Beck geht es auch Elisabeth Niedermeier. Auch sie will ihren Lebensabend hier im Heim in Frontenhausen verbringen und nicht noch einmal umziehen. "Nein, um alles in der Welt nicht", sagt die Seniorin. Auch sie ist seit rund fünf Jahren hier im Seniorenheim im niederbayerischen Frontenhausen. "Ich hab da so ein schönes Zimmer und so eine schöne Aussicht, ich sehe jeden, der kommt und geht, was will ich mehr?"
Insolvenz ein Schock für Bewohner und Angehörige
Nicht nur für die Bewohner, auch für die Angehörigen war die Insolvenz ein Schock, sagt Norbert Strebl beim Besuch seiner Mutter. "Da lag auf einmal ein Zettel. Insolvenzverfahren. Erst überlegt man, in welchem Film man jetzt mitspielt. Das war natürlich auch für die Mutter ein Ereignis, jeden Tag hat sie mich gefragt, wie geht es jetzt da weiter, muss ich nochmal umziehen? Zumal schon der erste Prozess von zu Hause weg nicht so einfach war."
Beschäftigte solidarisierten sich
Die Stimmung im Heim ist nach der Insolvenz im Mai dieses Jahres auf dem Tiefpunkt. Doch statt zu kündigen und sich einen neuen Job zu suchen, solidarisieren sich auch fast alle der rund 75 Beschäftigten mit den Bewohnern. Sie hängen ein riesiges Transparent an die Fassade des großen Seniorenheims mit rund 100 Plätzen. Aufschrift: "Aufgeben ist keine Option. Wir sind weiter für euch da. Die Mitarbeiter des Seniorenheims Frontenhausen."
"Ein Umzug für so einen alten Menschen ist so ziemlich das Schlimmste, was es gibt", sagt Heimleiterin Corinna Hartmann. "Und da war von Anfang an so eine Haltung im Team: Wir halten durch, wir bringen das zu Ende. Welches Ende das auch sein wird. Aber wir kommunizieren das auch nach außen. Und deshalb das Banner. Um zu zeigen: Wir sind da, wir möchten, dass der Standort erhalten bleibt."
Weiterbetrieb des Heims gesichert
Und dann kommt kurz vor dem befürchteten endgültigen Aus am 1. Oktober doch noch die Wende. Björn Michael, den Geschäftsführer des Heimbetreibers Aloisium mit drei kleineren Heimen im Raum Dorfen in Oberbayern, beeindruckte der Zusammenhalt. Die Aloisium Pflege GmbH mit Sitz in Hohenpolding sichert den Weiterbetrieb des Heims. Gleichzeitig wünscht sich der Geschäftsführer nicht nur die schnellere Anerkennung von dringend benötigten ausländischen Fachkräften, damit sich ähnliche Fälle nicht wiederholen: "Wir müssen flexibler werden in allen Bereichen, auch in Sachen Refinanzierung", sagt Björn Michael gegenüber BR24. "Man muss uns mehr Freiheiten, mehr Spielräume geben und man muss auch den privaten Betreibern oder allen Trägern zugestehen, dass wir auch Rücklagen bilden und Gewinne machen dürfen, ohne an den Pranger gestellt zu werden."
Frontenhausen kein Einzelfall
Ingeborg Beck und ihre Mitbewohnerinnen sind erst einmal erleichtert. Allerdings kommt es immer wieder vor, dass solche Einrichtungen in finanzielle Schieflage geraten. Auf BR24-Anfrage, warum es immer wieder zu solchen Fällen kommt, antwortet ein Sprecher des Bayerischen Sozialministeriums: "Bei der Vereinbarung der Pflegevergütung der Pflegeeinrichtungen wird in Bayern eine Auslastungsquote von 96,16 % zu Grunde gelegt.
Die tatsächlichen Auslastungsquoten liegen jedoch häufig darunter, dem Vernehmen nach insbesondere aufgrund des Fachkräftemangels. Dem begegnet in Bayern der jüngste Beschluss der Landespflegesatzkommission, dass Heime mit einer niedrigeren Auslastungsquote einen Zuschlag zu den Pflegesätzen erhalten können. Diese Maßnahme der Selbstverwaltung kann dazu beitragen, die Insolvenzen von Pflegeheimen in Bayern einzudämmen." Gleichzeitig, so der Ministeriumssprecher, unterstütze man mit Blick auf den Fachkräftemangel die Verbesserung der Arbeitsbedingungen in den Pflegeberufen.
In den Jahren 2023 und 2024 mussten nach einer Erhebung des Arbeitgeberverbands Pflege mehr als 1200 Pflege-Einrichtungen Insolvenz anmelden oder schließen, wie Anfang des Jahres bekannt wurde. Bislang, so Experten, ist vor allem der Norden und Osten Deutschlands davon betroffen. Gleichzeitig steigt die Zahl der Pflegebedürftigen in ganz Deutschland.
Das Seniorenheim in Frontenhausen musste Insolvenz anmelden. In letzter Minute hat sich ein neuer Betreiber gefunden.
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