Die Liste ist lang. Da ist der Messerangriff von Mannheim, im Mai 2024, bei dem ein Polizist starb. Da ist der Anschlag von Solingen wenige Monate später, bei dem drei Menschen getötet wurden. In Aschaffenburg griff ein Mann eine Kita-Gruppe mit einem Messer an. In München fuhr ein Autofahrer in eine Verdi-Demonstration. Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) spricht von einer "Angriffsreihe". Das Sicherheitsgefühl der Bevölkerung sei erschüttert.
Herrmann hat heute den Verfassungsschutzbericht 2024 vorgestellt – zusammen mit Manfred Hauser, dem Präsidenten des Landesamtes für Verfassungsschutz. Das Fazit: Die Gefährdungslage habe sich in allen Bereichen verschärft - also etwa durch Rechts- und Linksextremisten oder auch Islamisten.
"Neue Welle von jihadistischen Anschlägen"
Die Bedrohungslage durch islamistisch motivierte Anschläge und Anschlagsversuche ist laut Herrmann so hoch wie lange nicht mehr. "Kein Zweifel", sagt er, "wir befinden uns in einer neuen Welle von jihadistischen Anschlägen."
Als Ursache nennt Herrmann vor allem zwei Entwicklungen. Zum einen habe die Lage in Nahost der islamistischen Szene neuen Auftrieb gegeben. Zum anderen: Die Mehrheit der Angriffe sei von Einzeltätern verübt worden, die nicht an islamistische Netzwerke angebunden waren. In diesen Fällen haben sich die Täter schnell und im Internet radikalisiert.
Social-Media-Strategie verfängt
Herrmann sagt: Die Sozialen Medien hätten sich "zum Dreh- und Angelpunkt für extremistische Rekrutierung und Selbstrekrutierung entwickelt." Der Verfassungsschutzbericht nennt etwa im Bereich Islamismus mehrere Beispiele, in denen Minderjährige im Netz radikalisiert wurden:
Ein 13-Jähriger postet ein Video von einer Nachricht, in der mit einem Anschlag gedroht wird. Im Hintergrund ist Gesang des Islamischen Staates zu hören.
Ein 16-Jähriger plant einen Anschlag auf Polizisten. Im Internet beschafft er sich eine Bauanleitung für eine Maschinenpistole, die er im 3-D-Drucker herstellen kann.
Ein 13-Jähriger sucht eine Anleitung zum Bombenbau, nach Propagandavideos und Gewaltdarstellungen.
Junge Menschen als Zielgruppe
Sally Hohnstein beobachtet schon länger, dass Extremisten zunehmend auch junge Menschen ansprechen. Sie forscht am Deutschen Jugendinstitut. Hohenstein sagt: Junge Menschen seien in ihrer Weltanschauung noch nicht so gefestigt, das mache sie als Zielgruppe attraktiv. Außerdem habe das Jugendalter eine Tendenz zur Radikalität.
Die Frage ist, wie die Politik auf diese Herausforderungen reagieren kann. Manfred Hauser, der Präsident des Landesamtes für Verfassungsschutz, fände es wichtig, die Medienkompetenz zu stärken. Zudem sagt er, es sei wesentlich, dass der Verfassungsschutz KI einsetzt. Das will auch Innenminister Herrmann.
Prävention gegen Radikalisierung
Auch Innenminister Herrmann will, dass der Einsatz von Künstlicher Intelligenz ausgebaut wird. Einzelne Mitarbeiter könnten nicht alles beobachten. Der rechtspolitische Sprecher der SPD-Fraktion im bayerischen Landtag, Horst Arnold, bekräftigt das. Er warnt aber: "Peinlichkeiten wie die Anschaffung der Palantir-Software von fragwürdigen US-Unternehmen dürfen sich keinesfalls wiederholen. Gerade bei der unberechenbaren Politik der USA müssen wir mehr denn je auf europäische Datensouveränität pochen." Herrmann sagt: Die Software müsse im Einzelnen natürlich geprüft werden.
Darüber hinaus verweist Herrmann auf Präventionsprojekte. Wolfgang Hauber, der innenpolitische Sprecher der Freien Wähler im Landtag, sagt: Prävention und Repression müssten Hand in Hand gehen. Psychisch kranke Straftäter müssten stärker überwacht werden. Der Sprecher für Strategien gegen Rechtsextremismus der Grünen-Fraktion, Cemal Bozoglu, fordert mehr Demokratieförderung. Richard Graupner, innenpolitischer Sprecher der AfD-Fraktion, will, dass der Verfassungsschutz die islamistische Szene stärker in den Fokus nimmt.
Herrmann: Teile der AfD setzen Stimmungsmache gegen Rechtsstaat fort
Die AfD ist selbst Thema im Verfassungsschutzbericht. Seit 2022 beobachten die Verfassungsschützer einzelne Funktionäre und Mitglieder der Partei. Sie wollen überprüfen, ob die AfD von einer verfassungsfeindlichen Grundtendenz beherrscht wird. Heute verweisen die Verfassungsschützer etwa auf einen Post des Kreisverbandes Aichach-Friedberg. Der Kreisverband schreibt darin: "Der Optimist lernt Chinesisch. Der Pessimist lernt Arabisch. Der Realist lernt Schießen." Danach schreiben sie: "Wir wollen doch alle Realisten sein!"
Innenminister Herrmann sagt: Teile der Partei würden ihre extremistische Stimmungsmache gegen den Rechtsstaat unverhohlen fortsetzen. Die AfD äußert sich heute nicht dazu. In der Vergangenheit hat sie die Beobachtung als politisch motiviert kritisiert.
Gleichzeitig ist die AfD auch Ziel linksextremistischer Aktivitäten. Bayerns Innenminister Herrmann sagt, die AfD werde von der Szene für einen - von ihr wahrgenommenen - Rechtsruck in der Bevölkerung verantwortlich gemacht. Die Szene setze zunehmend auf Einschüchterungs- und Gewaltstrategien.
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