Schmerzpatientin Jennifer Eser, Fernbedienung, Modell der Wirbelsäule
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Wie eine junge Mutter heftigste Schmerzen einfach abschaltet

Wie eine junge Mutter heftigste Schmerzen einfach abschaltet

Jennifer Eser kämpft seit Jahren mit unerträglichen Rückenschmerzen. Kein Medikament hilft, Ärzte hatten sie schon abgeschrieben. Doch jetzt bekommt sie in Augsburg ein Implantat, mit dem sie ihre Schmerzen selbst steuern kann – per Fernbedienung.

Über dieses Thema berichtet: Mittags in Schwaben am .

Auf ihrem Handy hat Jennifer Eser einen eigenen Ordner mit Bildern ihrer Operationen. Sie zeigen lange Narben auf dem Rücken der Frau, teils waren 18 Metall-Klammern nötig. Alles Versuche, um Esers heftige Rückenschmerzen nach einem Bandscheibenvorfall in den Griff zu bekommen. Am Ende wurden sogar ihre Lendenwirbel operativ versteift. Doch nichts hat geholfen.

"Mir hat ein Arzt gesagt, dass meine Schmerzen chronisch geworden sind und man da nichts mehr machen könne. Ich müsse halt jetzt damit leben", berichtet die Mutter von zwei Kindern. Seit Jahren nimmt sie deshalb Opiate, also heftigste Schmerzmittel. Sie leidet unter Nebenwirkungen wie Bauchkrämpfen, Gewichtsverlust und Stimmungsschwankungen. "An manchen Tagen sitze ich einfach zu Hause und weine", sagt Eser.

Augsburger Mediziner forschen an Strom-Therapie

Doch dann erzählt ihr ein Orthopäde von einer Therapie-Methode, die es eigentlich schon seit vielen Jahren gibt. Diese hat in den vergangenen Jahren bedeutende Fortschritte gemacht: die sogenannte "epidurale Rückenmarkstimulation", kurz SCS (spinal cord stimulation).

Die Methode wird derzeit in der Augsburger Uniklinik weiter erforscht und verfeinert. Im Prinzip geht es darum, eine Elektrode auf die Rückenmarkshaut zu legen. Diese sendet dann elektrische Impulse in die Nerven. So werden die Schmerz-Signale überlagert und im Idealfall ausgeschaltet. Alle anderen Nervenfunktionen bleiben jedoch erhalten. Bei einer ähnlichen Methode werden Elektroden sogar direkt ins Gehirn eingesetzt.

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Elektrode direkt in den Nervenkanal

Eser wendet sich an die Augsburger Uniklinik und bekommt schnell die Zusage: Die Technik kann bei ihr eingesetzt werden. Bei Bewusstsein wird sie von Oberarzt Philipp Krauß operiert. Er führt die Elektrode direkt in den Nervenkanal der Wirbelsäule ein. Dann fließt der erste Strom. Die 27-Jährige muss dem OP-Team sagen, was sie spürt. Als es dort kribbelt, wo sonst die Schmerzen sind, weiß Krauß: Die Elektrode liegt an der richtigen Stelle.

Nun folgen die entscheidenden Tage: Das System wird passend für sie eingestellt und Eser bekommt eine Fernbedienung, mit der sie Frequenz und Stärke des Stroms verändern kann. Über Tage soll sie das System zu Hause testen und ein Schmerz-Tagebuch führen. Bringt es ihr genügend Erleichterung, wird das System, das jetzt noch an Kabeln aus der Haut kommt, komplett unter der Haut implantiert. Die Schmerz-Fernbedienung funktioniert weiter über Funk-Signale.

"Viele denken, das ist ein Experiment"

Genau eine Woche nach der OP öffnet Eser lächelnd ihre Haustür. Sie ist begeistert von dem System, ihre Schmerzen haben sich deutlich verringert. Auch ihre kleine Tochter steht lächelnd im Flur: "Normal sagt Mama immer, sie hat so Rückenschmerzen. Und jetzt sagt sie es nicht mehr oft."

Oberarzt Krauß ist mit der Schmerzreduktion ebenfalls zufrieden. Wichtig sei, die passenden Patienten für die OP auszuwählen. Dann habe das System eine hohe Erfolgsquote. Die Augsburger Forscher glauben, dass die Methode für rund 30.000 bis 50.000 Schmerzpatienten in Deutschland infrage kommen könnte. Inzwischen setzen sie die Therapie auch bei chronischen Herzschmerzen, chronischen Schmerzen in Armen und Beinen, Gürtelrose oder Phantomschmerzen ein. Auch für Unterleibsschmerzen bei Frauen könne die Methode inzwischen eingesetzt werden.

Krauß hofft, dass mehr Ärzte und Therapeuten ihren Patienten von der SCS-Methode berichten: "Viele denken aber, das ist ein Experiment, oder die OP ist sehr invasiv, und probieren doch nochmal ein anderes Medikament aus." Jennifer Eser kann das bestätigen. Selbst in der Schmerztherapie habe ihr niemand von der Schmerzreduktion auf Knopfdruck erzählt.

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