Nördlich von Würzburg steht Jasper Pleyer auf einem seiner letzten Rhabarberfelder. Der Biobauer hat den Kampf gegen die Schilf-Glasflügelzikade verloren: Von einst 50 Hektar Rhabarber stehen nur noch vier, weil sich der Anbau nicht mehr gelohnt hat. Dabei war Rhabarber seine Hauptkultur, er ist wirtschaftlich davon abhängig. "Aber es hat einfach keinen Sinn mehr gemacht, wir hatten nur noch zehn Prozent vom Ertrag", erklärt Pleyer.
Rhabarber neue Wirtspflanze der Schilf-Glasflügelzikade
Die geernteten Rhabarberstangen waren weich und löchrig. Inzwischen sind die Pflanzen verkümmert, ihre Blätter rot verfärbt. Denn die Schilf-Glasflügelzikade hat den Rhabarber mit zwei Pflanzenkrankheiten infiziert: SBR und Stolbur. Das Gemüse gehört inzwischen offiziell zu den Wirtspflanzen der Zikade. Verschiedene Versuche – unter anderem auf den Feldern von Jasper Pleyer – haben das bestätigt.
"Mit der Regionalität ist es beim Rhabarber vorbei"
An den Versuchen beteiligt war auch Johannes Ritz vom Bioland-Beratungsdienst Baden-Württemberg. Dort hat sich die Anbaufläche von Rhabarber wegen der Zikade bereits drastisch reduziert. Von 150 auf nur noch 60 Hektar, berichtet Ritz. Gleiches befürchtet er für Bayern. Rhabarber sei zwar extrem nachgefragt, doch die Zikade sei in der Lage, eine Kultur wie den Rhabarber komplett aus einem Naturraum zu tilgen: "Wir können den Rohstoff nicht mehr liefern. Mit der Regionalität ist es beim Rhabarber vorbei!"
Mit SBR und Stolbur befallener Rhabarber bei Hausen im Landkreis Würzburg
Lebenszyklus der Schilf-Glasflügelzikade
Die ausgewachsenen Zikadenweibchen legen meist im Juni bzw. Juli unterirdisch ihre Eier in der Nähe der verschiedenen Wirtspflanzen wie Zuckerrüben, Kartoffeln oder Rote Beete ab. An deren Wurzeln saugen dann die geschlüpften Nymphen, fliegen im nächsten Frühjahr wieder aus und infizieren andere Pflanzen mit den Krankheiten. Für die Dauerkultur Rhabarber ist das besonders verheerend: Ist eine Anlage einmal infiziert, gibt es kein Zurück mehr.
Ein Netz kann zwar vor den Zikaden schützen, allerdings wuchert dann das Unkraut im Rhabarber. Pleyer hatte versuchsweise einen Teil seiner Pflanzen abgedeckt, von Mai bis September, während die Zikaden fliegen. Doch in dieser Zeit darf er es nie öffnen – weder zur Ernte noch um Unkraut zu hacken. Für die Dauerkultur Rhabarber ist eine Netzabdeckung daher nicht praktikabel.
Schwarze Verfärbungen bei Chips und Pommes
Auch immer mehr Kartoffeln in Bayern sind mit SBR und Stolbur befallen. Zwar sind die Erträge durch die gute Witterung in diesem Jahr teilweise über dem Durchschnitt, gleichzeitig breitet sich die Zikade jedes Jahr weiter aus. Im Raum Ingolstadt und südlich von Regensburg mussten das viele Landwirte in diesem Jahr feststellen: Teilweise hatten sie Ernteeinbußen von bis zu 50 Prozent. Von dem Erregerkomplex befallene Kartoffeln sind meist klein, werden weich und gummiartig zu sogenannten Gummiknollen. Ein anderes Symptom sind sogenannte Gefäßbündel-Verbräunungen – oft nur leichte Verfärbungen, die bei der Verarbeitung aber Probleme machen: Chips und Pommes verfärben sich schwarz.
Zu weiche Knödel und künftig zu wenig Kartoffelbauern?
Auch Knödelhersteller Burgis aus Neumarkt i.d.OPf. hat mit den befallenen Kartoffeln zu kämpfen. Sie sind nicht lagerfähig. In diesem Frühjahr gab es zum ersten Mal Probleme: Der Knödelteig war zu weich, viele Knödel mussten aussortiert werden.
Weil viele Landwirte keine Perspektive mehr sehen, hätten sie bereits angekündigt, ihre Anbaufläche zu reduzieren bzw. den Anbau ganz einzustellen, berichtet Burgis-Geschäftsführer Timo Burger. "Wenn ein Kartoffelbauer aufhört, ist die Erfahrung und Kompetenz weg – dies führt langfristig zum Verlust der Versorgungssicherheit. Durch Importe kann der Bedarf schlecht gedeckt werden, da die Kompetenz im Ausland wesentlich schlechter ist als bei uns in Bayern bzw. Deutschland", warnt Burger.
Schwarzbrache als Teil einer Lösung?
Eine schnelle, einfache Lösung gegen die Schilf-Glasflügelzikade wird es nicht geben, da sind sich Forschung und Praxis einig. Inzwischen hat auch die Politik reagiert: Nach Notfallzulassungen für Pflanzenschutzmittel gibt es ab 2026 nun Lockerungen bei der Schwarzbrache. Bei einer Schwarzbrache bleiben Ackerflächen über den Winter ohne Vegetation. Das heißt: keine Aussaat von Wintergetreide und damit der Verzicht auf eine wichtige Einnahmequelle, um die Zikade bzw. deren Larven über den Winter "auszuhungern".
Zum Schutz vor Bodenerosion und Nährstoffverlusten war die Schwarzbrache im Rahmen der EU-Agrarförderung bisher nur sehr eingeschränkt möglich. Studien zufolge kann die Schwarzbrache die Zikaden um bis zu 90 Prozent verringern – allerdings nur, wenn genügend Landwirte mitmachen.
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