20. November 1945: Auf der Anklagebank im Saal 600 des Nürnberger Justizpalastes sitzen 21 Männer. Darunter Hermann Göring, Rudolf Hess, Joachim von Ribbentrop – die Hauptkriegsverbrecher des NS-Regimes. Knapp ein Jahr später werden zwölf von ihnen vom Internationalen Militärgerichtshof zum Tode verurteilt, sieben erhalten eine Freiheitsstrafe, drei werden freigesprochen. Hitlers Vertrauter Martin Bormann wird in Abwesenheit zum Tode verurteilt.
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Nürnberger Hauptkriegsverbrecherprozess verändert die Welt
Doch warum hat dieser Hauptkriegsverbrecherprozess die Welt verändert? "Die Nürnberger Prozesse waren der Samen für das Verständnis von internationalem Völkerstrafrecht und von Gerechtigkeit", sagt Imanuel Baumann zu BR24. Er ist Leiter des Dokumentationszentrums Reichsparteitagsgelände und der Abteilung "Erinnerungskultur und Zeitgeschichte" in Nürnberg.
Bis 1945 gab es keine Strafverfahren für Kriegsverbrecher. Auch nach dem Zweiten Weltkrieg sei das ähnlich vorgesehen gewesen, sagt Baumann. Sowohl die Westmächte als auch der sowjetische Diktator Josef Stalin wollten die Verantwortlichen zunächst kurzerhand und ohne Prozess erschießen.
Wendepunkt in der Geschichte: Recht statt Rache
Statt blind Rache zu üben oder die Kriegsverbrechen zu vergessen, machten die Siegermächte – USA, Sowjetunion, Frankreich und Großbritannien – den wichtigsten Akteuren des NS-Regimes den Prozess. Den Kriegstreibern eine faire Verhandlung mit Richtern und Verteidigern zu gewähren, sei eine Premiere und ein Wendepunkt im Völkerstrafrecht gewesen, so Baumann.
Dabei arbeiteten die Alliierten mit einem Statut, das sie selbst erst im August 1945 geschaffen hatten. Anklagepunkte wie Verbrechen gegen den Frieden oder gegen die Menschlichkeit waren zuvor noch kein internationaler Straftatbestand. Auch die Erklärung der Menschenrechte gab es noch nicht. Die Nürnberger Prozesse sollten ein juristischer Präzedenzfall werden. "Durch sie ist die Stadt als Wiege des Völkerstrafrechts in die Geschichte eingegangen", so der Historiker.
Nürnberger Prozesse: Vorbild für modernes Völkerstrafrecht
Aber was ist eigentlich das Völkerstrafrecht? Als Teil des Völkerrechts dient es dazu, Einzelpersonen wegen schwerer Verbrechen wie etwa Völkermord strafrechtlich belangen zu können. Als Grundlage dafür setzten die Alliierten die Nürnberger Prinzipien auf, die nach den Nürnberger Prozessen in die UN-Charta eingegangen sind.
Heute gilt der Internationale Strafgerichtshof (IStGH) in Den Haag weltweit als Institution, um völkerrechtliche Verbrechen zu ahnden.
Im Video: "Memorium Nürnberger Prozesse" - Tag der offenen Tür am 23.11.2025
Memorium Nürnberger Prozesse
Internationaler Strafgerichtshof als Erbe der Nürnberger Prozesse
Auf die Hauptkriegsverbrecher-Prozesse folgten zwischen 1946 und 1949 zwölf Nachfolgeprozesse. So gab es in Nürnberg unter anderem Verfahren gegen Juristen, Mediziner und Industrielle der Nazidiktatur. Während des Kalten Krieges zwischen den USA und der damaligen Sowjetunion geriet das Völkerstrafrecht allerdings in den Hintergrund.
Erst die Völkermorde im ehemaligen Jugoslawien und in Ruanda Anfang der 1990er-Jahre riefen die Weltgemeinschaft wieder auf den Plan. Es wurden Sondertribunale auf Grundlage der Nürnberger Prinzipien eingerichtet. "Ohne die Nürnberger Prozesse hätte man sich wesentlich schwerer getan, auf diese Straftaten so schnell eine Antwort zu finden und Verfahren einzuleiten", sagt die wissenschaftliche Mitarbeiterin Rebecca Weiß. Als Kuratorin am Memorium Nürnberger Prozesse betreut sie die Ausstellung zum Thema "Völkerstrafrecht".
Völkerstrafrecht verhindert Kriegsverbrechen nicht
Dass auch der IStGH nicht den Weltfrieden garantieren kann, erkennt man mit Blick auf den russischen Angriffskrieg auf die Ukraine und den Nahostkonflikt zwischen Israel und Palästina. Denn obwohl der IStGH Haftbefehle gegen den russischen Präsidenten Wladimir Putin und den israelischen Premierminister Benjamin Netanjahu erlassen hat, wurden sie bislang nicht festgenommen.
Im Gegensatz zum Nürnberger Militärtribunal hat der IStGH dafür keine Zwangsmittel. Er ist abhängig von der Kooperationsbereitschaft der jeweiligen Länder.
Nürnberger Prozesse als Marke der Stadt
Nicht nur für die Weltöffentlichkeit haben die Nürnberger Prozesse eine historische Bedeutung. Laut Baumann gelten sie heute auch als Aushängeschild der Stadt: "Nürnberg hat sich in Abgrenzung zur Stadt der Reichsparteitage den Claim der Stadt des Friedens und der Menschenrechte gegeben."
Das Vermächtnis von Nürnberg sei die Hoffnung auf Gerechtigkeit, so der Historiker. Und ein Signal, dass selbst, wenn Verbrechen nicht verhindert werden können, sie dennoch nicht vergessen werden.
Im Video: 80 Jahre Nürnberger Prozesse - Meilenstein für Völkerstrafrecht
80 Jahre Nürnberger Prozesse - Meilenstein für Völkerstrafrecht
Im Interview: Prof. Christoph Safferling zu 80 Jahre Nürnberger Prozesse
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Historischer Gerichtssaal 600 im Landgericht Nürnberg-Fürth
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