Während westliche Staaten in Berlin und anderswo um eine Friedenslösung für die Ukraine ringen, suchen sie gleichzeitig nach neuen Wegen, um das Land finanziell über Wasser zu halten. Der Plan, Moskau für die angerichteten Kriegsschäden zur Kasse zu bitten, entstand schon wenige Tage nach Russlands Überfall am 24. Februar 2022. In ihrem dritten Sanktionspaket verbot die EU Transaktionen von Reserven und Vermögenswerten der russischen Zentralbank.
Dadurch wurden russische Vermögenswerte in der EU in Höhe von schätzungsweise 210 Milliarden Euro eingefroren. Davon liegen rund 185 Milliarden bei der belgischen Wertpapierverwahrstelle Euroclear. Die G7-Länder USA, Großbritannien, Kanada und Japan sowie Australien setzten weitere russische Vermögenswerte von rund 50 Milliarden Euro fest.
Keine Beschlagnahme
Dabei war immer klar, dass die EU die russischen Reserven selbst nicht beschlagnahmen kann und will. Das verstieße gegen Völkerrecht und würde Europas Stellung als Hort des Rechts sowie die weltweite Währungsordnung gefährden. Die Europäische Zentralbank (EZB) hat Überlegungen in Brüssel und anderen EU-Hauptstädten, wie Russlands Vermögen zugunsten der Ukraine zu nutzen wäre, entsprechend zurückhaltend bis skeptisch begleitet. Die in der EU festgesetzten russischen Vermögenswerte bleiben also Moskaus Eigentum. Der Kreml kommt aber nicht heran, um damit seinen Angriffskrieg in der Ukraine zu bezahlen.
Zinsen für Waffen
Anders verhält es sich aus EU-Sicht mit Zinserträgen auf das eingefrorene Geld: Die sind laut Brüssels Überzeugung unerwartete Einnahmen und damit Eigentum der Verwahrstellen, auf die Russlands Zentralbank und der russische Staat keinen Anspruch hätten.
Also nutzte die EU in einem ersten Schritt Zinserträge, die Euroclear durch das Anlegen der russischen Vermögenswerte erzielte – damals rund 3 Milliarden Euro pro Jahr. Sie flossen größtenteils in einen Fonds abseits des EU-Haushalts, aus dem Waffen, Munition und Ausrüstung für die Ukraine finanziert werden. Ein kleinerer Teil ging in den Wiederaufbau des Landes. Im Herbst 2024 beschlossen die sieben großen demokratischen Industrienationen G7, mit den Zinseinnahmen ein Darlehen über 50 Milliarden US-Dollar für die Ukraine zu bedienen und zurückzuzahlen.
Russenvermögen dauerhaft gesperrt
Mit Beginn des vierten Kriegsjahres wurden Stimmen lauter, die fordern, die eingefrorenen Vermögenswerte umfassender für den Wiederaufbau der Ukraine zu nutzen, der schätzungsweise eine halbe Billion Euro kosten wird. Außerdem mussten die EU-Staaten erkennen, dass von der US-Regierung wenig Hilfe zu erwarten ist und sie die Unterstützung für das zerstörte Land vor allem aus eigener Kraft organisieren müssen.
Als Voraussetzung dafür hat die EU vor kurzem die eingefrorenen Vermögenswerte dauerhaft gesperrt. Das sichert die auf EU-Konten liegenden Beträge gegen den Fall ab, dass die Wirtschaftssanktionen gegen Russland nicht verlängert werden.
Denn die Strafmaßnahmen mussten bisher von den EU-Mitgliedsstaaten alle sechs Monate einstimmig bestätigt werden, was dem kremlfreundlichen Ungarn regelmäßig einen Hebel zur Blockade in die Hand gab. Um das zu ändern, hat sich die EU auf Artikel 122 des Vertrags über ihre Arbeitsweise berufen: Bei schwieriger Wirtschaftslage sind außergewöhnliche Maßnahmen möglich.
Belgiens Bedenken
Der nächste Schritt soll ein Reparationsdarlehen für Kiew sein, das über ein Kreditinstrument der EU aus dem russischen Staatsvermögen finanziert wird - nach dem Vorschlag der EU-Kommission jeweils 45 Milliarden Euro für das nächste und übernächste Jahr. Die EU-Staaten sollen für das neue Darlehen garantieren, um Euroclear in Brüssel unabhängig von Verlauf oder Ausgang des Krieges eine sichere Perspektive zu geben.
Die staatlichen Garantien würden nicht in Anspruch genommen, falls Russland irgendwann Reparationen zahlt und das Darlehen damit finanziert werden könnte. Falls ein mögliches Friedensabkommen aber vorsieht, dass Russland sein Geld zurückbekommt, müssten die EU-Staaten einspringen. Für diesen Fall verlangt Belgien belastbare Garantien.
Mehrheitsbeschluss beim Gipfel?
Bisherige Zusagen der EU-Partner reichen dem belgischen Regierungschef Bart de Wever nicht. Er besteht außerdem darauf, auch die 25 Milliarden Euro russisches Staatsvermögen einzubeziehen, die anderswo in der EU eingefroren sind. Neben Belgien fordern auch Italien, Malta und Bulgarien die Kommission auf, andere Optionen zu prüfen, wie der Ukraine finanziell geholfen werden kann.
Die vier Länder könnten aber einen Mehrheitsbeschluss nicht verhindern – selbst dann nicht, wenn sich das kremlfreundliche Ungarn und die Slowakei anschließen würden. Denn es ist gut möglich, dass erst beim EU-Gipfel Ende der Woche eine Lösung gefunden wird, und zwar nicht wie sonst üblich im Konsens, sondern mit der Mehrheit der Teilnehmenden am Tisch. Auch hier gilt: Ungewöhnliche Zeiten erfordern ungewöhnliche Maßnahmen.
Im Audio: Berliner Gespräche gehen vor Entscheidung über "Frozen Assets" weiter
Der US-Sondergesandte Steve Witkoff in Berlin
Das ist die Europäische Perspektive bei BR24.
"Hier ist Bayern": Der BR24 Newsletter informiert Sie immer montags bis freitags zum Feierabend über das Wichtigste vom Tag auf einen Blick – kompakt und direkt in Ihrem privaten Postfach. Hier geht’s zur Anmeldung!

