Berlin, 14.01.24: Mitglieder des Bürgerrats "Ernährung im Wandel" stehen mit Bundestagspräsidentin Bas (Mitte) für ein Gruppenfoto zusammen.
Bildrechte: pa/dpa/Christophe Gateau
Bildbeitrag

Berlin, 14.01.24: Mitglieder des Bürgerrats "Ernährung im Wandel" stehen mit Bundestagspräsidentin Bas (Mitte) für ein Gruppenfoto zusammen.

Bildbeitrag
>

Bürgerräte: Was sie bringen – und was Schwarz-Rot plant

Bürgerräte: Was sie bringen – und was Schwarz-Rot plant

Der Bürgerrat "Ernährung im Wandel" galt als Erfolg – aber seine Forderungen sind bisher weitgehend verpufft. Was plant die neue Bundesregierung aus Union und SPD bei solchen Formaten? Und welche Rolle spielen Bürgerräte auf kommunaler Ebene?

Über dieses Thema berichtet: BR24 im Radio am .

Für den Soziologen Steffen Mau sind Bürgerräte idealerweise eine "Belebung der politischen Kultur", der CDU-Bundestagsabgeordnete Philipp Amthor sprach dagegen zuletzt von einem "missglückten Experiment". Die Idee dahinter: Eine zufällig ausgeloste Gruppe Menschen diskutiert ein Thema – und legt ihre Empfehlungen dem zuständigen politischen Gremium vor. Das soll die repräsentative Demokratie um mehr direkte Bürgerbeteiligung erweitern und Demokratieverdrossenheit lindern.

Die Ampel-Regierung wollte Bürgerräte auch auf Bundesebene etablieren. In der wegen der vorgezogenen Neuwahl kürzeren Legislaturperiode blieb es allerdings bei einem Bürgerrat – mit 160 Teilnehmenden zum Thema Ernährung. Dessen Kernforderungen (externer Link) Anfang 2024: ein kostenloses gesundes Mittagessen für alle Schulkinder, eine Altersgrenze für Energydrinks, Zucker soll nicht mehr als steuerlich begünstigtes Grundnahrungsmittel gelten.

Was macht Schwarz-Rot in Sachen Bürgerräte?

Das Problem: Bundesweit umgesetzt wurden die Vorschläge von der Ampel-Koalition nicht. Auch im Koalitionsvertrag von Union und SPD, die höchstwahrscheinlich die kommende Bundesregierung stellen werden, fehlen die Empfehlungen des Bürgerrats. Die Verbraucherorganisation foodwatch spricht von einer "bitteren Enttäuschung". Teilnehmende des Bürgerrats zeigten sich ebenfalls unzufrieden, dass ihre Empfehlungen bislang verpufft sind.

Offen ist, ob der neue Bundestag weitere Bürgerräte einsetzen wird. Die Union will zunächst die Arbeit des Ernährungs-Bürgerrats evaluieren. Im schwarz-roten Koalitionsvertrag heißt es lediglich allgemein: "Ergänzend zur repräsentativen Demokratie setzen wir dialogische Beteiligungsformate wie zivilgesellschaftliche Bürgerräte des Deutschen Bundestages fort." Ob es zu einem Bürgerrat zur Corona-Aufarbeitung kommt, was die SPD will? Unklar.

Immer mehr Bürgerräte – vor allem auf kommunaler Ebene

Insgesamt erfreuen sich Bürgerräte wachsender Beliebtheit. Im vergangenen Jahr 2024 gab es bundesweit laut dem Verein "Mehr Demokratie" 51 Bürgerräte – so viele wie noch nie. Die meisten davon fanden demnach auf kommunaler Ebene statt, also in einer Stadt oder Gemeinde. Die häufigsten Themen: Klima, Verkehr und Stadtplanung.

Laut dem Bürgerrat-Experten Daniel Oppold eignet sich das Format für streitbare, konkrete und klar begrenzte Themen. "Wir haben viel zu wenig Möglichkeiten, uns außerhalb der viel beschworenen Bubbles mit anderen Leuten argumentativ auszutauschen und gemeinsam nach den besten Argumenten zu suchen", sagte Oppold zuletzt BR24. Um Frust zu vermeiden, müsse man aber immer vorab klären, was ein Bürgerrat leisten könne – bisher kann er "nur" Empfehlungen formulieren.

Eine "dritte Kammer" neben Bundestag und Bundesrat?

Der Soziologe Steffen Mau schlägt in seinem Buch "Ungleich vereint" vor: Bürgerräte sollen auch (mit)entscheiden dürfen. Denkbar wäre eine "dritte Kammer, in der Angehörige des Bundestags (25 Prozent), Mitglieder des Bundesrates (25 Prozent) und durch Losverfahren bestimmte Bürger (50 Prozent) Entscheidungen zu grundlegenden und weit über eine Legislaturperiode hinausreichenden Fragen erarbeiten (wie Energieversorgung, soziales Pflichtjahr oder Klimatransformation)".

Warnungen vor "Politiksimulation" und Verdrossenheit

Die bisherigen Erfahrungen zeigen, dass Bürgerrate gleichzeitig Chance und Risiko sind. Die Hoffnung: Andere Menschen als sonst engagieren sich politisch, auch mehr Jüngere. Gemeinsam bearbeiten sie Themen, die im politischen Alltag oft zu kurz kommen – weil etwa viele Klimaschutz-Aspekte zeitlich weit über die Amtsperiode eines Parlaments oder eines Gemeinderats hinausgehen.

Das Ganze könne aber zur "Politiksimulation" verkommen, warnt die Politikwissenschaftlerin Miriam Hartlapp von der Freien Universität Berlin. Ein Bürgerrat könne zwar Politikverdrossenheit abbauen und eine "positive Demokratieerfahrung für Teilnehmer und Beobachter" haben, betont sie. "Doch wenn nichts Konkretes folgt, können Bürgerinnen und Bürger hinterher umso enttäuschter sein."

Mit Informationen von KNA und epd

Im Audio: Bürgerräte boomen – stärken sie die Demokratie?

Zum Hören: Bürgerräte boomen – stärken sie die Demokratie?
Bildrechte: pa/dpa-Zentralbild/Hendrik Schmidt
Audiobeitrag

Zum Hören: Bürgerräte boomen – stärken sie die Demokratie?

Das ist die Europäische Perspektive bei BR24.

"Hier ist Bayern": Der BR24 Newsletter informiert Sie immer montags bis freitags zum Feierabend über das Wichtigste vom Tag auf einen Blick – kompakt und direkt in Ihrem privaten Postfach. Hier geht’s zur Anmeldung!