Anne Brorhilker
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Cum-Ex-Chefermittlerin wirft hin - und übt Kritik an der Politik

Cum-Ex-Chefermittlerin wirft hin - und übt Kritik an der Politik

Der Cum-Ex-Betrug gilt als größter Steuerskandal Deutschlands. Nun gibt die Chefermittlerin Anne Brorhilker auf - und macht ihre Frustration über Mängel beim Kampf gegen Finanzkriminalität deutlich. Der Politik wirft sie massive Versäumnisse vor.

Über dieses Thema berichtet: BR24 im Radio am .

Die Cum-Ex-Chefermittlerin Anne Brorhilker hat um ihre Entlassung aus dem Beamtenverhältnis gebeten, bestätigte ein Sprecher der Generalstaatsanwaltschaft Köln, nachdem zuvor der WDR berichtet (externer Link) hatte. Zu Brorhilkers Gründen äußerte sich die Behörde nicht.

Brorhilker: "Nicht zufrieden mit Verfolgung von Finanzkriminalität"

Die 50-jährige Oberstaatsanwältin nahm eine zentrale Rolle bei der Verfolgung von Cum-Ex-Steuerbetrügern ein und leitete die eigens für den größten deutschen Steuerskandal eingerichtete Hauptabteilung. Dem WDR sagte sie: "Ich war immer mit Leib und Seele Staatsanwältin, gerade im Bereich von Wirtschaftskriminalität, aber ich bin überhaupt nicht zufrieden damit, wie in Deutschland Finanzkriminalität verfolgt wird."

Bei dieser Art von Kriminalität gehe es "oft um Täter mit viel Geld und guten Kontakten, und die treffen auf eine schwach aufgestellte Justiz", sagte Brorhikler. Beschuldigte könnten sich oft aus Verfahren schlicht herauskaufen, wenn etwa Verfahren gegen eine Geldbuße eingestellt würden: "Dann haben wir den Befund: Die Kleinen hängt man, die Großen lässt man laufen." Sie als einzelne Staatsanwältin könne daran wenig ändern. Bei der Nicht-Regierungs-Organisation "Finanzwende" wolle sie nun helfen, das Übel an der Wurzel zu packen und nicht mehr nur Einzelfälle zu behandeln.

Vorwürfe an die Politik

Die Politik habe elf Jahre nach Bekanntwerden der ersten Cum-Ex-Fälle noch immer nicht hinreichend reagiert, so Brorhilker gegenüber dem WDR. Steuerdiebstähle seien längst nicht gestoppt, es gebe Cum-Ex-Nachfolgemodelle, das sei wie bei einem "Hase-und-Igel-Spiel".

Grund seien fehlende Kontrollen, was bei Banken und auf den Aktienmärkten geschehe, so die Oberstaatsanwältin: "Wenn keine Kontrolle passiert durch staatliche Organe, dann greifen die Menschen in die Auslagen. Aber wenn da eine Videokamera über der Auslage installiert ist, dann denkt man dreimal darüber nach, ob man zugreift."

Cum-Ex: Der größte Steuerskandal der Bundesrepublik

Durch den Cum-Ex-Betrug, der seine Hochphase von 2006 bis 2011 hatte, wurde der deutsche Staat schätzungsweise um einen zweistelligen Milliardenbetrag geprellt, es handelt sich um den wohl größten Steuerskandal der Bundesrepublik. Bei den Steuerdeals wurden Aktien mit ("cum") und ohne ("ex") Dividendenansprüche in kurzer Zeit zwischen Finanzakteuren hin- und hergeschoben. Bei dem Verwirrspiel erstattete der Fiskus unwissentlich Steuern, die gar nicht gezahlt worden waren. Erst mit einer zum Januar 2012 greifenden Gesetzesänderung wurde den Deals ein Riegel vorgeschoben. 

"Mr. Cum-Ex" zu acht Jahren Haft verurteilt

In rund 120 Cum-Ex-Ermittlungsverfahren wurde in Köln unter Brorhilkers Führung gegen 1.700 Beschuldigte ermittelt. Mit ihrem Team konnte Brorhilker Kronzeugen gewinnen, die über die verborgenen Geschäfte auspackten. Ihre Anklage führte 2019 zum ersten rechtskräftigen Urteil. Später brachten die Ermittler den einst in die Schweiz geflohenen "Mr. Cum-Ex" Hanno Berger in Deutschland vor Gericht. Der Steueranwalt wurde vor dem Landgericht Bonn zu acht Jahren Gefängnis verurteilt.

Bisher wurden nach Zahlen des Bundesfinanzministeriums 149 Cum-Ex-Fälle rechtskräftig abgeschlossen. Dabei wurden 3,4 Milliarden Euro an Kapitalertragsteuer und Solidaritätszuschlag zurückgefordert oder entsprechende Erstattungsanträge abgelehnt. Nach jüngsten Daten von Ende 2022 waren 418 Cum-Ex-Verdachtsfälle in Bearbeitung gemeldet, mit einem Steuervolumen von rund 3,9 Milliarden Euro.

Bundeskanzler Scholz vor Untersuchungsausschuss

Öffentliche Aufmerksamkeit erfuhren Brorhilkers Ermittlungen auch, weil sie bis in die hohe Politik führten. Auch Bundeskanzler Olaf Scholz musste in der Sache vor einem Parlamentarischen Untersuchungsausschuss der Hamburger Bürgerschaft aussagen, um zu klären, ob es zu einer Einmischung der Politik zu Gunsten der Hamburger Privatbank M.M. Warburg gekommen war.

Scholz war Erster Bürgermeister von Hamburg gewesen, als 2016 das Hamburger Finanzamt für Großunternehmen 47 Millionen Euro, die aus den illegalen Finanzgeschäften stammten, zunächst von der Bank zurückforderte. Dann änderte die Hamburger Finanzverwaltung überraschenderweise ihre Meinung und die Bank durfte die 47 Millionen Euro zunächst behalten.

Neue Verfahren sind zu erwarten

Demnächst dürften neue Cum-Ex-Akteure in den Fokus rücken. "Ich erwarte etwa eine Anklage gegen Banker der früheren Landesbank WestLB, die wohl größter Player im Cum-Ex-Skandal in Deutschland war, am Landgericht Bonn", sagte jüngst Gerhard Schick, Vorstand der Bürgerbewegung Finanzwende.

Aber auch das sei "eine politische Frage", die Politik müsse bei der Aufarbeitung von Cum-Ex mehr Ehrgeiz entfalten, so Schick: "Je länger es dauert, Fälle aufzuarbeiten und Verfahren abzuschließen, desto schwieriger wird es, Täter zu bestrafen und Gelder einzutreiben." Ohnehin werde man nie das komplette Ausmaß von Cum-Ex erfahren und das ganze Steuergeld zurückbekommen.

Mit Informationen von dpa

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