Fünf Militär-LKW mit Tarnabdeckung fahren auf einer Autobahnspur in Kolonne.
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Sicherheitsexperte Gehringer: "Bis zu 800.000 Soldaten könnten im Ernstfall durch Deutschland transportiert werden."
Bildrechte: picture alliance / CHROMORANGE | Michael Bihlmayer
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Sicherheitsexperte Gehringer: "Bis zu 800.000 Soldaten könnten im Ernstfall durch Deutschland transportiert werden."

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Deutschland im Ernstfall: "Brauchen jede einzelne Person"

Deutschland im Ernstfall: "Brauchen jede einzelne Person"

Stromausfälle, Verpflichtungsbescheide, umgestellte Produktionen – im Ernstfall würde sich unser Alltag radikal verändern. Sicherheitsexperte Gehringer erklärt, warum wir uns jetzt vorbereiten müssen und welche Rolle jeder Einzelne dabei spielt.

Über dieses Thema berichtet: Possoch klärt am .

Bis zu 800.000 Soldaten könnten im Ernstfall durch Deutschland transportiert werden. Züge würden ausfallen, Ärzte an die Ostgrenze versetzt, die Textilindustrie auf Schutzwesten umgestellt. Ferdinand Gehringer, Experte für Innere Sicherheit bei der Konrad-Adenauer-Stiftung und Autor des Buches "Deutschland im Ernstfall", beschreibt im BR24-Interview, wie unser Leben im Spannungs- oder Verteidigungsfall aussehen würde – und warum Deutschland noch nicht ausreichend vorbereitet ist.

"Wir erleben den Ernstfall nicht von heute auf morgen"

BR24: Herr Gehringer, was passiert, wenn Deutschland im Krieg ist?

Ferdinand Gehringer: Ich gehe davon aus, dass wir den Ernstfall nicht so erleben, dass wir eines Morgens aufwachen und dann wissen: Jetzt ist der Ernstfall da. Das ist eher ein schleichender Prozess. Deutschland wird zur logistischen Drehscheibe innerhalb der Nato. Wenn ganz viele Truppen durch Deutschland transportiert werden – durch Häfen, Bahnhöfe, Flughäfen – kann das massive Auswirkungen auf unseren zivilen Verkehr haben. Züge könnten ausfallen, Vorrang-Verkehr würde für militärisches Gerät gelten.

BR24: Sind wir auf diesen Ernstfall vorbereitet?

Gehringer: Aus meiner Sicht noch nicht vollumfänglich. Wir müssen uns in Deutschland ernsthafter mit der sicherheitspolitischen Lage auseinandersetzen. Die Drohnenüberflüge, Sabotage- und Spionageaktivitäten der vergangenen Wochen zeigen: Wir leben nicht mehr im ursprünglichen Frieden. Es gibt russische Akteure, die versuchen, uns zu destabilisieren und zu testen. Wir sind in einer Testphase – und Stand heute sind wir noch nicht sehr gut vorbereitet.

Im Video: Was passiert, wenn Deutschland im Krieg ist? Possoch klärt!

Stromausfälle und Verpflichtungsbescheide

BR24: Wie konkret würde der Ernstfall unser Leben verändern?

Gehringer: Vermutlich würden in einem Spannungsfall vor allem unsere vulnerablen Punkte im Fokus stehen – Einrichtungen, die mit der militärischen Versorgung der Ostflanke zu tun haben. Wir müssen mit vereinzelten, größerflächigen Stromausfällen rechnen, 48 bis 72 Stunden vielleicht. Gewisse Straßen könnten gesperrt werden, weil militärische Kolonnen unterwegs sind. Wenn bis zu 800.000 Soldaten durch Deutschland transportiert werden müssen, kommt es zu massiven Einschränkungen im zivilen Verkehr.

BR24: Könnte der Staat bestimmen, wo ich arbeite?

Gehringer: Ja. Das Arbeitssicherstellungsgesetz [externer Link] erlaubt es, dass einzelne Arbeitsleistungen in anderen Bereichen angefordert werden. Ärzte werden vielleicht nicht mehr im Südwesten Deutschlands gebraucht, sondern im Osten, weil dort viele Verwundete zu erwarten sind. Der Staat kann auch in Wirtschaftsunternehmen eingreifen – die Textilindustrie könnte statt T-Shirts plötzlich Schutzwesten produzieren müssen.

"Jeder hat eine Rolle"

BR24: Warum muss ich als Bürger vorsorgen? Muss der Staat nicht für mich sorgen?

Gehringer: Der Staat kann das nicht allein leisten. In einem wirklichen Ernstfall brauchen wir jede einzelne Person – nicht nur in der Bundeswehr, sondern auch jede zivile Person, die eine eigene Rolle erfüllt. Man muss sich das als superkomplexes Unterfangen vorstellen: Truppen müssen versorgt werden, mit Lebensmitteln, Unterkünften, Reparaturen. Jeder hat letztlich eine Rolle, und das schafft der Staat allein nicht.

BR24: Was sollten wir konkret tun?

Gehringer: Es geht nicht darum, dass wir alle Prepper werden. Aber wir sollten uns mit der Lage auseinandersetzen. Wo trifft sich die Familie, wenn Internet und Strom ausfallen? Wer holt die Kinder ab? Haben wir einen Grundstock an Nahrungsmitteln für drei bis zehn Tage zu Hause? Ein Transistorradio, eine Powerbank? Durch diese Eigenvorsorge entlaste ich die Behörden automatisch.

Im Audio: Sicherheitsexperte Ferdinand Gehringer über ein Deutschland im Spannungsfall

Sicherheitspolitischer Berater bei der Konrad-Adenauer-Stiftung: Ferdinand Gehringer
Bildrechte: Ferdinand Gehringer
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Sicherheitspolitischer Berater bei der Konrad-Adenauer-Stiftung: Ferdinand Gehringer

Was jetzt zu tun ist

BR24: Gibt es in Deutschland Planspiele für diesen Ernstfall?

Gehringer: Die Bundeswehr ist sehr aktiv bei der Umsetzung des Operationsplans Deutschland und spricht mit vielen Unternehmen. Ich nehme aus der Wirtschaft eine große Bereitschaft zur Unterstützung wahr.

Was noch fehlt, sind umfassende Planspiele mit Verschränkung zwischen Bundeswehr, Zivil- und Katastrophenschutz, privaten KRITIS-Betreibern [kritische Infrastruktur; Anm. d. Red.] und Wirtschaft. In Finnland wird das getestet – die Textilindustrie wird mal angewiesen, Schutzwesten statt herkömmlicher Textilien zu produzieren. Da sollten wir in Deutschland auch hinkommen.

Dieser Artikel ist erstmals am 5. Oktober 2025 auf BR24 erschienen. Das Thema ist weiterhin aktuell. Daher haben wir diesen Artikel erneut publiziert.

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