Die Bilder vermeintlicher Massen-Demos für die AfD stammen von anderen Protesten und Großveranstaltungen und wurden aus dem Kontext gerissen.
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Die Bilder vermeintlicher Massen-Demos für die AfD stammen von anderen Protesten und Großveranstaltungen und wurden aus dem Kontext gerissen.

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#Faktenfuchs: Videos über vermeintliche AfD-Demos sind gefälscht

#Faktenfuchs: Videos über vermeintliche AfD-Demos sind gefälscht

Manipulierte Videos vermitteln den falschen Eindruck, in deutschen Großstädten wie München und Nürnberg gingen massenhaft Menschen für die AfD auf die Straße. Der #Faktenfuchs erklärt, was dahintersteckt.

  • Die Bilder vermeintlicher Massen-Demos für die AfD in München und Nürnberg stammen von anderen Protesten und Großveranstaltungen und wurden aus dem Zusammenhang gerissen.
  • Beim Blick auf Quelle, Bild-Details und Kommentare finden User schnell Hinweise darauf, dass es sich um Fakes handelt.
  • Laut einem Desinformations-Experten ist die Täuschung von Menschen zwar willkommen, aber nicht das Hauptziel dieser Art von Videos. Sie sollen vielmehr ein Zugehörigkeitsgefühl für AfD-Anhänger konstruieren – unabhängig vom Tatsachen-Gehalt.

Auf TikTok und Youtube vermitteln gefälschte Videos den Eindruck, dass derzeit massenhaft Menschen für die in Teilen als gesichert rechtsextrem eingestufte Partei AfD auf die Straße gingen. Solche Fake-Videos wurden auch mit den Ortsmarken München und Nürnberg tausendfach, teils sogar hunderttausendfach geklickt, geteilt und geliked. Der #Faktenfuchs hat drei der Videos genauer analysiert und herausgefunden, welche Strategie hinter den Fakes steckt.

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Die Bilder vermeintlicher Massen-Demos für die AfD stammen von anderen Protesten und Großveranstaltungen und wurden aus dem Kontext gerissen.

Irreführende Videos folgen demselben Schema

Die Videos stammen offenbar alle von zwei Accounts mit demselben Namen, einmal auf TikTok und einmal auf Youtube. Wer hinter den Accounts steckt, ist bislang unklar. Seit Ende Januar veröffentlichen sie teils mehrfach täglich dieselben oder sehr ähnliche Videos. Alle folgen dem gleichen Schema: Zu sehen sind große Menschenmengen bei Straßen-Demonstrationen oder in vollen Stadien, etwa bei Konzerten. Der Originalton wurde entfernt, stattdessen sind die Videos wiederholt mit anderen, häufig denselben Tonspuren unterlegt. Zu hören sind darin Sprechchöre mit teils rechtsextremen Parolen.

Gefälschte Videos täuschen große AfD-Kundgebungen vor

Die Videos können nicht von AfD-Demos stammen, wie dieser #Faktenfuchs zeigen wird. Stattdessen zeigen die Bilder Großdemonstrationen gegen Rechtsextremismus und wurden aus diesem ursprünglichen Kontext gerissen. Gleich mehrere Videos enthalten etwa Luftaufnahmen der Münchner Großdemo gegen rechts im Januar 2024. Damals demonstrierten laut Polizei 100.000 Menschen auf der Ludwig- und Leopoldstraße, die Veranstalter sprachen gar von 250.000 Teilnehmerinnen und Teilnehmern. Die Veranstaltung wurde damals wegen Überfüllung abgebrochen.

Unterlegt sind die Videos von damals mit einer Tonspur: Ein Sprechchor skandiert "Ost-, Ost-, Ostdeutschland!". Die Video-Aufschrift führt in die Irre und behauptet fälschlicherweise, es handle sich um die "Größte AfD-Demo nach der Wahl in München". In einem anderen Fake-Video, datiert auf den 9. März 2025, sind dieselben München-Bilder unterlegt mit einem anderen Sprechchor. Die rechtsextreme Parole darin lautet: "Wer Deutschland nicht liebt, soll Deutschland verlassen!"

Bilder stammen von anderen Protesten und Großveranstaltungen

Derselbe Sprechchor ist auch in einem anderen Video zu hören. Es zeigt ein riesiges, vollbesetztes Stadion bei Nacht. In der Ferne ist die Bühne zu sehen, wo ein Konzert der Band Coldplay stattfindet. Das Video trägt die irreführende Aufschrift "Ganzes Stadion in München für die AFD" und ist auf den 2. April 2025 datiert. Auffällig ist die Bild-Ton-Schere: Die Bilder von Menschen, die langsam ihre mit orangen LED-Armbändern beleuchteten Arme schwenken, passen nicht zu dem rhythmischen Sprechchor, der kämpferisch und hetzend wirkt.

Auch Bilder der Großdemonstration gegen Rechtsextremismus auf dem Nürnberger Kornmarkt im Februar 2025 wurden aus dem Zusammenhang gerissen und kursieren in falschem Kontext. Unterlegt wurden die Bilder mit der Parole "Ost-, Ost-, Ostdeutschland!", die Aufschrift suggeriert fälschlicherweise, das Video zeige, wie "20.000 Nürnberger für [die] AFD" demonstrieren.

Details, Witterung, Bild-Ton-Schere: So erkennt man die Fakes

Bei einem genauen Blick auf die Videos können Userinnen und User selbst erkennen, dass die verwendeten Aufnahmen nicht zur Video-Aufschrift passen und die Inhalte manipuliert wurden. In der Menschenmenge auf dem Nürnberger Kornmarkt sind Details der Demonstranten gut zu erkennen, etwa ein Regenbogen-Schild, Zeichen für die LGBTIQ-Community, eine blaue Europa-Fahne und Banner mit der Aufschrift "Demokratie schützen" und "Gemeinsam gegen Rechts".

Ein Bildvergleich belegt: Die Luftaufnahme der Großdemonstration gegen Rechts auf der Münchner Ludwigstraße im Januar 2024 stammt von Fridays for Future München. Das Originalmaterial [externer Link] ist auf dem Instagram-Account der Organisation zu finden. Das gefakte Video ist lediglich gespiegelt. So müsste die Kirche St. Ludwig mit Blick auf die Feldherrnhalle eigentlich linkerhand liegen, die gelbe Theatinerkirche müsste eigentlich rechterhand liegen.

Belege finden sich auch in Details von Aufnahmen des BR-Fernsehens: So waren Münchens Dächer im Januar 2024 teilweise mit einer dünnen Schneedecke bedeckt. Die Dachspitze gegenüber von St. Ludwig war jedoch schneefrei.

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Ein Bildvergleich zeigt: Die Fake-Videos nutzen Aufnahmen der Münchner Großdemonstration gegen Rechtsextremismus im Januar 2024.

Stadionbilder stammen von Coldplay-Konzert

Das dritte Video wiederum zeigt Konzertbilder der Band Coldplay auf ihrer aktuellen Welttournee. Dies ergibt eine Bilder-Rückwärtssuche und ein Vergleich mit Aufnahmen verschiedener Coldplay-Konzerte. Ein Hinweis darauf sind die blinkenden LED-Armbänder, die bei Coldplay-Konzerten an die Besucher verteilt werden. Die Farbe der Leuchtbänder wechselt während des Konzerts immer wieder, die orange Farbe kommt beispielsweise beim Song "Yellow" zum Einsatz. Auch die runde Form der Leinwände rechts und links der Hauptbühne ist markant und auf verschiedenen Aufnahmen von Coldplay-Konzerten zu erkennen, genau wie der ins Publikum hinein ragende Steg, der ebenfalls in einer runden Bühne mündet.

Woher genau die verwendeten Tonspuren stammen, lässt sich nicht rekonstruieren. Der Slogan "Wer Deutschland nicht liebt, soll Deutschland verlassen" [externer Link] wird schon länger von Teilnehmerinnen und Teilnehmern rechtsextremer und ausländerfeindlicher Demonstrationen genutzt. Die Parole "Ost-, Ost-, Ostdeutschland!" [externer Link] wird immer wieder von Fans des Fußballvereins Dynamo Dresden gerufen.

Wie Faktenchecker von Correctiv und Mimikama recherchiert haben, wurde eine ähnliche Tonspur auch in der Vergangenheit schon verwendet, um Videos zu manipulieren und eine Massendemonstration vorzutäuschen.

Keine Massen-Demos für AfD in Nürnberg und München

Weder in München noch in Nürnberg haben Massendemonstrationen für die AfD stattgefunden – das bestätigen auch Polizei und Behörden: "Die AfD hat 2025 keine Versammlungen durchgeführt, die eine zweistellige Teilnehmer*innenzahl überschritten hätten", schreibt eine Sprecherin der Landeshauptstadt München.

Und auch ein Sprecher des Nürnberger Ordnungsamts schreibt dem #Faktenfuchs: "Eine AfD-Versammlung mit 10.000 Teilnehmern hat es in Nürnberg noch nie gegeben." Zu AfD-Versammlungen im Freien seien in der Vergangenheit am Jakobsplatz höchstens 750 Teilnehmer (April 2023) gekommen, im April 2024 waren es zuletzt nur 30 Teilnehmer.

Täuschungspotenzial hängt von Medienkompetenz ab

In den Kommentaren zu den Fake-Videos weisen viele Userinnen und User darauf hin, dass es sich um relativ einfach zu durchschauende Fakes handelt. Trotzdem können derartige Videos Menschen in die Irre führen, sagt Pablo Maristany de las Casas, Analyst beim Institute for Strategic Dialogue Germany (ISD) im Gespräch mit dem #Faktenfuchs:

"Das Täuschungspotenzial ist immer eine subjektive Frage. User haben ja unterschiedliche Medienkompetenzen, und es könnte sein, dass zum Beispiel ältere Menschen durch diese Videos getäuscht werden." Pablo Maristany de las Casas

Videos sollen Zugehörigkeitsgefühl stärken

Maristany de las Casas untersucht Hassrede und Desinformation im Netz. Es gebe in der AfD und in der extrem Rechten ein starkes Identitätsgefühl. Die manipulierten Videos zielten auf Gefühle von Usern und insbesondere AfD-Anhängern ab, sagt Maristany de las Casas.

"Die Videos sind da, um dieses Zugehörigkeitsgefühl zu stärken. Wenn man da jemanden täuscht, ist es natürlich willkommen bei Accounts, die solche Inhalte verbreiten. Aber ich glaube, die Videos wollen einfach zeigen, was eventuell möglich wäre, wenn User der AfD zusammenkommen, auf die Straße gehen und für die AfD werben. Das Ziel ist, den Anhängern das Gefühl zu geben: Wir sind eine große Menschenmenge, die die AfD supportet." Pablo Maristany de las Casas

Zustimmung suggerieren ist Teil der AfD-Taktik auf TikTok

In den Kommentaren unter den Videos finden sich auch viele blaue Herz-Emojis, als Zeichen der Zustimmung und Zugehörigkeit zur AfD. Maristany de las Casas weist jedoch darauf hin, auf TikTok gebe es auch viele "inauthentische Accounts", die teils koordiniert Stimmung machten für die AfD. Die Fake-Videos sind laut Maristany de las Casas auch als eine Art Kontrapunkt zu den Demonstrationen gegen Rechtsextremismus und für Demokratie zu sehen, an denen sich seit Januar 2024 Hunderttausende Bürgerinnen und Bürger beteiligten.

Für manche User zählt die Message - nicht die Fakten

Gemeinsam mit seinem Team beim ISD hat Maristany de las Casas Inhalte der extremen Rechten analysiert [externer Link]. Ein Ergebnis: Rechtsextrem-affine User erkennen häufig, wenn es sich um Fakes handelt und äußern dies auch in den Kommentaren. Es sei ihnen aber oft schlicht egal:

"Die Message ist, was zählt. Die Fakten sind an der Stelle für sie nicht so relevant." Pablo Maristany de las Casas

Dieses Phänomen beschreibt auch Michael Caulfield [externer Link], Informationsforscher an der University of Washington in der Zeitschrift "The Atlantic":

"Der Hauptzweck von Fehlinformationen besteht nicht darin, die Überzeugungen anderer Menschen zu ändern. Stattdessen wird die überwiegende Mehrheit der Falschinformationen als Dienstleistung angeboten, damit die Menschen trotz überwältigender Gegenbeweise an ihren Überzeugungen festhalten können." Michael Caulfield

Satire-Markierung als rechtliche Absicherung

Der Account, der die manipulierten Videos veröffentlicht hat, schreibt in der Profilbeschreibung, es handle sich um "Satire". Pablo Maristany des Casas widerspricht dem: "Bezüglich der Videos denke ich nicht, dass das Ziel ist, irgendwie Satire zu zeigen." Die Kennzeichnung ordnet er hingegen als Zugeständnis an die Richtlinien von TikTok ein. "Ich denke, die Tatsache, warum sich dieser Account als Satire markiert, hängt mit der Plattformregulierung zusammen." Um sicherzugehen, dass er möglichst lange auf der Plattform posten kann, erwecke der Account den Eindruck, dass es sich um satirische Inhalte handeln könnte.

Fazit:

In München und Nürnberg haben keine Großdemonstrationen für die AfD stattgefunden. Posts mit Videos, die dies behaupten, wurden manipuliert. Die Bilder stammen von Demonstrationen gegen Rechtsextremismus sowie von anderen Großveranstaltungen und wurden aus dem Zusammenhang gerissen.

Ein Blick auf Quelle, Bild-Details und auf die Kommentare kann helfen, zu erkennen, dass es sich um Fakes handelt. Laut einem Desinformations-Experten ist das Hauptziel dieser Art von Videos, ein Zugehörigkeitsgefühl für AfD-Anhänger zu konstruieren - unabhängig vom Tatsachen-Gehalt.

Quellen:

Antwort des Ordnungsamtes München auf schriftliche Anfrage des #Faktenfuchs

Antwort des Polizeipräsidiums München auf schriftliche Anfrage des #Faktenfuchs

Antwort des Polizeipräsidiums Mittelfranken auf schriftliche Anfrage des #Faktenfuchs

Interview mit Pablo Maristany de las Casas, Analyst beim Institute for Strategic Dialogue Germany

Faktenchecks zu ähnlichem Video von Mimikama und Correctiv

Untersuchung von Anna Hiller und Pablo Maristany de las Casas: “Generative KI und die deutsche extreme Rechte. Narrative, Taktiken und digitale Strategien”, 2025

Bildvergleich mit Luftaufnahme von Münchner Großdemonstration gegen Rechtsextremismus von Fridays for Future München auf Instagram

Bildvergleiche mit Aufnahmen von Coldplay-Konzerten, etwa in Abu Dhabi und in Ahmedabad im Januar 2025

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