Zehntausende haben auf dem "Platz der Geiseln" in Tel Aviv die Freilassung der verbliebenen 20 Geiseln - darunter auch vier mit deutscher Staatsangehörigkeit - ausgelassen gefeiert. Im Fernsehen werden Bilder von Angehörigen übertragen, die mit großer Freude und Erleichterung auf die Rückkehr ihrer Liebsten nach 738 Tagen Geiselhaft reagieren und sie wieder in die Arme schließen.
Ausgelassene Freude in Israel
Auf einem der Videos ist Einav Zangauker zu sehen, eine der bekanntesten Aktivistinnen der Protestbewegung für die Freilassung der Geiseln. "Mein Leben, mein Leben", ruft sie immer wieder, während sie ihren Sohn an sich drückt. Lautes Schluchzen ist in einem weiteren Video zu hören, als es dem Vater von Bar Kuperstein nach monatelangem Training gelingt, aus dem Rollstuhl aufzustehen, um seinen Sohn in den Arm zu nehmen. Nach einem Schlaganfall muss der Mann auch um jedes Wort kämpfen, das er sagen will. Auf anderen Videoaufnahmen des Militärs ist zu sehen, wie der Deutsch-Israeli Rom Braslavski nach seiner Freilassung Tränen der Erleichterung vergießt. "Wir sind alle unglaublich bewegt", sagt Danielle Aloni, die selbst Geisel der Hamas war. Sie ist die Schwägerin von David Cunio, einem der insgesamt 20 noch lebenden Geiseln. "Ein Traum ist in Erfüllung gegangen, es ist unbeschreiblich", sagt sie dem israelischen TV-Sender N12.
Im Video: Geiseln frei - Frieden jetzt?
Brennpunkt: Geiseln frei - Frieden jetzt?"
Geiseln brauchen psychologische Unterstützung
Die Freude ist groß, aber nicht ungetrübt. Experten warnten etwa vor einer Überernährung der Geiseln, die sehr lange unter Hunger gelitten hatten, kurz vor der Freilassung durch die Hamas. Es drohe das sogenannte "Refeeding-Syndrom" - bei dem der Organismus durch zu viel Nahrung in kurzer Zeit überlastet werden könne. Auch die massiven psychischen Folgen des Traumas für die Freigelassenen dürfen nicht unterschätzt werden. Zuletzt hatte sich ein Überlebender des Nova-Musikfestivals das Leben genommen - zwei Jahre nach seiner Rettung.
Hinterbliebene warten auf Leichenübergabe
Doch es gibt auch Familien, deren entführte Angehörige nicht lebend zurückkommen werden. Teil der Vereinbarung mit der Hamas ist auch die Übergabe von 28 Leichen. Israels Militär geht nicht davon aus, dass die Hamas alle heute - und damit innerhalb der im Rahmen der Waffenruhe vereinbarten 72-Stunden-Frist - übergeben kann. Das israelische Forum der Geiselfamilien teilte mit, dass zunächst nur vier Leichen an Israel übergeben werden. "Dies stellt einen eklatanten Vertragsbruch durch die Hamas dar", heißt es in einer Erklärung des Forums. Das Forum der Geiselfamilien erwarte, dass die israelische Regierung und die Vermittler "unverzüglich Maßnahmen ergreifen, um diese schwere Ungerechtigkeit zu korrigieren". Nach Angaben der israelischen Regierung wurde ein internationales Gremium eingerichtet, um die sterblichen Überreste der Geiseln im Gazastreifen ausfindig zu machen, die am Montag nicht übergeben werden sollten.
Palästinensische Häftlinge kehren zurück
Im Gegenzug für die Freilassung der 20 noch lebenden Geiseln der Hamas hat Israel nach eigenen Angaben mehr als 1.900 palästinensische Häftlinge aus Gefängnissen entlassen. Eine jubelnde Menschenmenge erwartete die Busse, die am Montag vom Ofer-Gefängnis kommend in Beitunia im Westjordanland eintrafen, wie Reporter der Nachrichtenagentur AP beobachteten. Im Gazastreifen versammelte sich eine große Menschenmenge und empfing Busse mit Gefangenen am Nasser-Krankenhaus in Chan Junis. Weitere 150 Häftlinge wurden nach Ägypten geschickt. Sie trafen nach Angaben eines ägyptischen Regierungsvertreters am Nachmittag am Grenzübergang Rafah zwischen dem Gazastreifen und Ägypten ein.
"Wenn der Krieg jetzt aufhört, kommt dann meine Mama zurück?"
Die psychologische Nachbereitung des Krieges wird Menschen auf beiden Seiten noch lange beschäftigen. Die Nachricht von einem bevorstehenden Frieden löste nach Angaben der SOS-Kinderdörfer bei Kindern und Familien in Gaza gemischte Gefühle aus. Aber dennoch: es herrscht vorsichtige Zuversicht", sagte eine Mitarbeiterin der Hilfsorganisation vor Ort. Nachdem das SOS-Kinderdorf Rafah in Gaza völlig zerstört wurde, betreut die Hilfsorganisation in einem provisorischen Camp in Khan Younis Kinder, die im Krieg ihre Eltern verloren haben.
Die Mitarbeiterin erzählt: "Als die Kinder davon erfuhren, dass der Krieg bald vorbei sein könnte, fingen manche vor Aufregung an zu singen und zu tanzen. Andere begannen leise zu weinen. Da war die Trauer um getötete Eltern, Brüder, Schwestern und Großeltern. Der unerträgliche Schmerz." Ein kleiner Junge habe die Frage gestellt: "Wenn der Krieg jetzt aufhört, kommt dann meine Mama zurück?" Seine Mutter war bei dem Versuch ums Leben gekommen, Essen für ihre Kinder zu besorgen. Laut den SOS-Kinderdörfern geht es jetzt auch im Gazastreifen unter anderem um die Zusammenführung von Familien, humanitäre Hilfe und psychosoziale Unterstützung.
Im Video: Israel lässt mehr als 1.900 Gefangene frei
Die Freilassung palästinensischer Häftlinge ist angelaufen.
Mit Informationen von dpa, AFP, Reuters
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