dpatopbilder - 20.10.2024, Baden-Württemberg, Karlsruhe: Polizisten bringen den in Bernau bei Berlin festgenommenen mutmaßlichen IS-Unterstützer, der einen Anschlag mit Schusswaffen auf die israelische Botschaft in Berlin geplant haben soll, zur  Haftvorführung. Foto: René Priebe/dpa +++ dpa-Bildfunk +++
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Haftvorführung wegen mutmaßlicher Anschlagsplanung

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Kampf gegen Terror: Vertraut Deutschland zu stark auf US-Hilfe?

Kampf gegen Terror: Vertraut Deutschland zu stark auf US-Hilfe?

Die US-Bundespolizei FBI half nach BR-Recherchen bei der Enttarnung eines 26-Jährigen, der in München wegen mutmaßlicher IS-Unterstützung vor Gericht steht. Diese US-Hilfe ist kein Einzelfall. Verlässt sich Deutschland zu stark auf Amerika?

Über dieses Thema berichtet: Der Funkstreifzug am .

Der schlanke Mann mit den kurz geschnittenen Haaren schaut mit streng wirkendem Blick zum Richter. Seit Wochen muss sich Moaaz A. in München vor dem Oberlandesgericht verantworten – 26 Jahre alt, geboren in Syrien. Die bei der Münchner Generalstaatsanwaltschaft angesiedelte Zentralstelle zur Bekämpfung von Extremismus und Terrorismus wirft ihm vor, die Terrororganisation IS in Syrien im Zeitraum 2016 bis 2019 mindestens 15 Monate als Soldat unterstützt zu haben. 2022 kam Moaaz A. den Ermittlungen zufolge nach Deutschland und lebte im mittelfränkischen Greding. "Nach seiner Ankunft in Deutschland soll er über TikTok Propagandavideos des IS geteilt haben", so Gerichtssprecher Laurent Lafleur.

Ermittlungen dank FBI: Angeklagter taucht laut Gericht auf IS-Listen auf

Und: Bei seiner Enttarnung half nach BR-Recherchen die US-Bundespolizei FBI. "Nach Auffassung der Generalstaatsanwaltschaft München steht der Angeklagte auf mehreren sogenannten IS-Listen. Diese Listen wurden von den amerikanischen Behörden, konkret dem FBI, im Hinblick auf ein Rechtshilfeersuchen den deutschen Behörden überlassen", sagt Laurent Lafleur.

Moaaz A. ist kein Einzelfall. Deutsche Sicherheitsbehörden arbeiten eng mit ihren US-amerikanischen Partnern zusammen, gerade weil der islamistische Terror ein globales Phänomen ist. Hans-Jakob Schindler von der internationalen gemeinnützigen Organisation "Counter Extremism Project", die unter anderem Gerichtsverfahren auswertet und Social-Media-Aktivitäten von Extremisten weltweit beobachtet, betont, dass die USA viel größere Kapazitäten bei der Aufklärung von Terrorismus hätten sowie viel weitere rechtliche Möglichkeiten: "Das alles erlaubt den Amerikanern natürlich immer wieder auch, Deutschland Informationen zu geben, die von zentraler Bedeutung sind. Und regelmäßig wurden in den letzten zwei Jahrzehnten immer wieder auch Anschläge verhindert."

US-Sicherheitsbehörden ein unverzichtbarer Partner für Deutschland

Vom Bundesinnenministerium heißt es auf BR-Anfrage, dass Deutschland "in dieser sehr erfolgreichen Art der Zusammenarbeit sowohl eine Rolle als Informationsgeber wie auch als Empfänger von Hinweisen einnimmt".

Schindler sieht das aber etwas anders. Er kennt beide Seiten, pendelt zwischen den USA und Deutschland. Seit mehr als zwei Jahrzehnten ist er gut mit Geheimdiensten vernetzt. So war er unter anderem bis 2018 Chefberater des UN-Sicherheitsrates: "Ich bin mir sicher, die deutschen Sicherheitsbehörden geben auch Informationen zu Terrorismus an die Amerikaner weiter. Aber ich muss auch sagen, und ich bin jetzt schon seit 2013 permanent auch in Amerika, mir ist im Moment kein einziger versuchter oder durchgeführter Terroranschlag irgendeiner Ideologie in Erinnerung, bei dem die Amerikaner gesagt haben – und der Tipp kam aus Deutschland."

So halfen US-Sicherheitsbehörden in der Vergangenheit

Wie wichtig die USA sind, zeigt etwa das Beispiel eines hochrangigen IS-Mitglieds in Afghanistan im Messengerdienst Telegram. Wie BR-Recherchen zeigen, konnte das FBI dessen Telegram-Namen enttarnen. Der Name landete schließlich bei den deutschen Behörden. Ein inzwischen inhaftierter Verdächtiger, der 2023 mutmaßlich Anschläge in Deutschland plante, soll diesen Namen auf seinem Handy gespeichert haben. In einem weiteren Fall stellte das FBI die Fingerabdrücke einer IS-Anhängerin aus Bayern zur Identifizierung zur Verfügung, die in einem kurdischen Gefangenenlager festgehalten wurde. Sie ist Teil einer Gruppe von IS-Frauen, die via Chat auch schon zu Anschlägen in Deutschland aufgefordert haben sollen.

München: Wie der mutmaßliche Terrorunterstützer enttarnt wurde

Und: Nur durch die vom FBI bereitgestellten IS-Listen, auf denen Kämpfer mit Gehaltsangaben geführt werden, konnten deutsche Ermittler den in München Angeklagten Moaaz A. eindeutig zuordnen. Die Terrororganisation führte genauestens Buch – über Mitglieder, Gehälter, Leistungen und Ansprüche.

Nach BR-Informationen identifizierten die Ermittler Moaaz A. über seinen Kampfnamen, den er in Telegram-Chats genutzt haben soll. Dieser Kampfname tauchte auch in den IS-Listen auf, zusammen mit einer speziellen Nummer, die die Terrororganisation ihren Kämpfern vergab. Im Fall von Moaaz A. war es laut Generalstaatsanwaltschaft München die Verwaltung in der syrischen Provinz al-Furat. Al-Furat bezeichnet das Gebiet entlang des Euphrat, insbesondere im Raum Deir ez-Zor – was mit dem Geburtsort des Angeklagten übereinstimmt. Zudem benutzte er den Ermittlern zufolge eine Mailadresse mit einem Geburtsjahr, das mit der ihm mutmaßlich zugeteilten Nummer und dem genannten Geburtsjahr in den Listen korrespondiert.

Der BR konnte Einblick in Inhalte der IS-Listen nehmen, die Zahlungen für Verpflegung, Strom und die sogenannte Märtyrerzulage an Witwen gefallener Kämpfer verzeichnen. Laut Ermittlungen erhielt Moaaz A. als IS-Kämpfer monatlich mindestens etwa 215 US-Dollar, was den Ermittlern zufolge deutlich über dem damaligen Durchschnittseinkommen von rund 100 US-Dollar in Syrien lag.

Experte Schindler: USA sollten weiterhin liefern

Terrorexperte Schindler sagt, dass die USA weiterhin in vollem Umfang liefern sollten. Er findet aber auch: "Wir müssen uns trotzdem um unsere eigene Sicherheit kümmern, weil die Amerikaner nicht für die innere Sicherheit Deutschlands zuständig sind."

Wie bedeutsam dieser Aspekt ist, zeigte sich Schindler zufolge im August, als ein mutmaßlicher IS-Terrorist drei Menschen während eines Stadtfestes in Solingen mit einem Messer erstach. Wochen später wurde der inhaftierte mutmaßliche Attentäter in einem IS-Propagandamagazin als "Lone Wolf", also Einzeltäter, gefeiert. Zudem wurden weitere Einzeltäter zu Anschlägen in Deutschland aufgefordert, mit einem besonderen Fokus auf die LGBTQ-Community. So bleibt der IS gefährlich. In den vergangenen Monaten wurden auch in Deutschland immer wieder IS-Terroristen wegen mutmaßlicher Anschlagsplanungen verhaftet.

Diskussion über Vorratsdatenspeicherung

Die Union drängt auf mehr Handlungsspielraum für Polizei, Verfassungsschutz und Bundesnachrichtendienst. Etwa plädiert sie für mehr Überwachungsmöglichkeiten, wie die Vorratsdatenspeicherung, also eine anlasslose Speicherung von IP-Adressen. Dadurch könnten terroristische Netzwerkstrukturen besser erkannt werden, sagt der CDU-Bundestagsabgeordnete und Sicherheitsexperte Roderich Kiesewetter dem BR. Die Ampelkoalition ist jedoch skeptisch, hat datenschutzrechtliche Bedenken. Kiesewetter hält das für übertrieben: "Viele Informationen bekommen wir von befreundeten Diensten, weil wir selbst keine Finanzströme überwachen können und nicht in geschützte Chatverkehre eindringen dürfen – also jetzt Signal, Threema und anderes."

Ampelkoalition reagiert – Kritik an bürokratischen Hürden

Das Bundesinnenministerium dagegen gibt zu verstehen, dass aktuelle Maßnahmen ausreichen – und verweist auf die kürzliche Verabschiedung des Sicherheitspakets als direkte Reaktion auf den Messeranschlag von Solingen. Damit hat die Ampelregierung unter anderem das Waffenrecht verschärft.

Doch Teile des Sicherheitspakets sind auf Betreiben unionsgeführter Bundesländer bei einer Abstimmung im Bundesrat durchgefallen. Der Union missfielen die vielen bürokratischen Hürden, die zum Beispiel einen geplanten Abgleich biometrischer Daten im Internet deutlich verkomplizierten.

Diese Bürokratie-Hürden erschwerten die Arbeit von Polizei und Nachrichtendiensten, erfährt der BR aus Sicherheitskreisen. Wenn das so weitergehe, sei man irgendwann handlungsunfähig, heißt es.

Mehr zu diesem Thema hören Sie am 16.10.2024 um 12:17 Uhr in der Sendung Funkstreifzug im Radioprogramm von BR24. Sie finden die Sendung schon jetzt im Funkstreifzug-Podcast in der ARD Audiothek.

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