"Das hat es noch nie gegeben", erklärt Hans Peter Wollseifer, IKK-Vorstandvorsitzender. Über 90 Prozent der gesetzlichen Krankenkassen verlangen höhere Zusatzbeiträge. Weitere Anhebungen seien bereits angekündigt. Doch es ginge nicht anders. Allein 2025 fehlten 46 Milliarden Euro. Die Prognose für die kommenden Jahre – rote Zahlen: Zwischen Einnahmen und Ausgaben klaffe eine große Lücke.
"Schwarz-rot muss endlich handeln"
Von der schwarz-roten Bundesregierung zeigt sich der Krankenkassenvertreter enttäuscht. "Noch bei den Koalitionsverhandlungen, da hat man suggeriert, die Kassen werden unterstützt, das Gesundheitswesen auf stabile Beine gestellt, das sehen wir im Moment nicht." Außerdem mache die Bundesregierung aktuell auch einen großen Fehler, weil sie auf Überbrückungsdarlehen setze, um die Defizite auszugleichen. Das belaste Versicherte und Arbeitgeber dann später doppelt.
Gesundheitsleistungen für Bürgergeldempfänger entkoppeln
Das Milliardendefizit hat verschiedene Gründe. Zum einen der demographische Wandel, zum anderen der medizinische Fortschritt, der viele Behandlungen immer teurer werden lässt. Laut Hans Peter Wollseifer gibt es aber auch hausgemachte Probleme. So müssten die gesetzlichen Krankenkassen versicherungsfremde Leistungen finanzieren. Als Beispiel nennt er die Gesundheitsleistungen von Bürgergeldempfängern. Hier übernehmen die Kassen zwei Drittel der Leistungen, das seien rund zehn Milliarden Euro pro Jahr. Krankenkassenvertreter fordern, dass solche Leistungen komplett über Steuern finanziert werden, da es sich um staatliche Aufgaben handelt. Bei der Politik ist das Problem angekommen.
Auch Bundesgesundheitsministerin Nina Warken (CDU) wollte die Gesundheitsleistungen für Bürgergeldempfänger bereits von den Krankenkassen entkoppeln, scheiterte aber bisher an Bundesfinanzminister Lars Klingbeil (SPD). In den Regierungsparteien gibt es weitere Kritiker an dem Bürgergeld-Konstrukt. Hans Theiss, CSU-Abgeordneter, Mitglied im Gesundheitsausschuss und selbst Mediziner, plädiert auch dafür, dass diese Leistungen über Steuermittel finanziert werden müssten: "Das würde eine schnelle und effiziente Entlastung der Kassen bewirken." Unklar ist allerdings, wann die Politik sich dem Thema wieder widmet.
Kassen fordern Ausgabenmoratorium
Die Bundesregierung hat eine Expertenkommission damit beauftragt, Reform-Vorschläge zu erarbeiten. Den Innungskrankenkassen geht das zu langsam. Sie rechnen erst für das Jahr 2027 mit Ergebnissen. Deshalb fordern sie so lange ein Ausgabenmoratorium, also einen Stopp weiterer Ausgaben. "Statt Schuldenpolitik muss es eine Strukturreform geben." Hans-Jürgen Müller, ebenfalls im Vorstand der IKK, stellt weitere Ideen vor: So sollten Genusssteuern wie Tabak- und Alkoholsteuern in die Finanzierung der Kassen fließen. Die Folgekosten allein des Alkoholkonsums in Deutschland betrügen schließlich rund 57 Milliarden Euro. Außerdem fordert er mehr Prüf- und Kontrollrechte für die Kassen.
Stimmungsumschwung bei Mitgliedern
Die Innungskassen sehen außerdem ein weiteres Problem. In den vergangenen Jahren seien die Mitglieder der Kassen immer unzufriedener mit der medizinischen Versorgung, vor allem mit der Terminvergabe. Das zeigt auch eine Forsa-Umfrage, die die IKK in Auftrag gegeben hat. Während im Vorjahr 46 Prozent der Befragten ein drängendes Problem in den zu hohen Beitragssätzen gesehen haben, sind es jetzt schon fast zwei Drittel. Gleichzeitig sinkt laut Umfrage die Zufriedenheit mit der Gesundheitspolitik. Nur noch 28 Prozent der Menschen sind aktuell zufrieden, während es 2024 noch 39 Prozent waren. Hans Peter Wollseifer von der IKK warnt: "Wenn Versicherte keinen zeitlich angemessenen Arzttermin bekommen, aber immer mehr zahlen müssen, dann sinkt der Glauben ins Gesundheitssystem."
Im Video: Finanznot - Krankenkassen brauchen mehr Geld
(Symbolbild) Die Beträge, die die Menschen in Deutschland für die gesetzliche Krankenkasse zahlen müssen, werden immer höher.
Das ist die Europäische Perspektive bei BR24.
"Hier ist Bayern": Der BR24 Newsletter informiert Sie immer montags bis freitags zum Feierabend über das Wichtigste vom Tag auf einen Blick – kompakt und direkt in Ihrem privaten Postfach. Hier geht’s zur Anmeldung!