Der wohl künftige Bundeskanzler, CDU-Chef Friedrich Merz, spricht von einem starken Signal an die Bürgerinnen und Bürger und an Europa. Der Vertrag zeige, dass die politische Mitte in der Lage sei, die Probleme des Landes zu lösen. Aber stimmt das auch?
Im Wahlkampf hatte Merz vieles versprochen, das sich auf den rund 140 Seiten nicht oder nur in abgeschwächter Form wiederfindet. SPD-Chef Klingbeil sagt, zuletzt sei oft von roten Linien die Rede gewesen - aber das, was jetzt vorliege, sei ein roter Faden. Und es zieht sich viel rote, also SPD-Politik durch diesen Koalitionsvertrag.
Der rote Faden im Koalitionsvertrag
Beispiel Verteidigungspolitik: Da ist ein Wehrdienstmodell geplant, das erst einmal auf Freiwilligkeit basiert. Es erinnert an die Pläne von Boris Pistorius. Laut Koalitionsvertrag soll das Verteidigungsministerium auch in der neuen Legislaturperiode wieder an die SPD gehen. Über die Namen der neuen SPD-Ministerinnen und Minister soll aber erst nach dem Mitgliedervotum der Partei entschieden werden – und das könnte sich bis nach Ostern hinziehen.
Die Sozialdemokraten sollen außerdem die Ressorts Finanzen, Arbeit, Entwicklung, Bauen und Wohnen, Umwelt und Klima, sowie Justiz und Verbraucher bekommen. Damit konnten sie in den Verhandlungen mit der Union mehr herausholen als erwartet. Außerdem hat die SPD durchgesetzt, dass der Mindestlohn bis 2026 auf 15 Euro steigt, das Rentenniveau soll auf 48 Prozent nach 45 Beitragsjahren steigen und der Solidaritätszuschlag wird nicht abgeschafft.
Thema Migration: Künftig in CSU-Verantwortung
Die von der Union im Wahlkampf vehement geforderte Migrationswende wurde abgemildert. Es gibt wenige Verschärfungen: so wird der Familiennachzug für subsidiär Schutzberechtigte ausgesetzt, freiwillige Aufnahmeprogramme werden eingestellt. Für die konkrete Umsetzung wird in Zukunft ein CSU-Minister oder eine CSU-Ministerin zuständig sein.
Parteichef Söder sorgte bei der gemeinsamen Pressekonferenz mit CDU-Chef Merz und den beiden SPD-Vorsitzenden Klingbeil und Esken immer wieder für Lacher. Aber angesichts der angespannten Weltlage traf heute eher Lars Klingbeil den Ton. Der künftige Kanzler Merz verlor sich in einer recht nüchternen Aufzählung der geplanten Maßnahmen.
Reformen in der Wirtschaftspolitik
In den kommenden vier Jahren planen CDU, CSU und SPD eine Stärkung der Wirtschaft. Für Unternehmen soll es neue Abschreibungsmöglichkeiten geben, die Körperschaftssteuer soll gesenkt werden. Für besonders energieintensive Firmen soll ein Industriestrompreis eingeführt werden. Ob das allein hilft, deutsche Unternehmen im US-Zollstreit zu stärken, bleibt abzuwarten.
Außerdem sieht der Koalitionsvertrag vor, Überstunden steuerfrei zu stellen und das umstrittene Bürgergeld durch eine neue Grundsicherung mit harten Sanktionsmöglichkeiten zu ersetzen. Die CSU hat eine Ausweitung der Mütterrente durchgesetzt. Die Worte Kern- oder Atomkraft haben es nicht in den Koalitionsvertrag geschafft, hier konnten sich die Christsozialen nicht durchsetzen.
Söder: "Liebe vergeht, Hektar besteht"
"Dieser Vertrag kann ein Bestseller werden, um jedes Komma wurde gerungen", sagte CSU-Chef Söder. Die Koalition mit den Sozialdemokraten sei für ihn keine Liebesheirat, auch wenn sich CDU-Chef Merz seit Kurzem mit SPD-Chef Klingbeil duze. Mit Blick auf das Agrarministerium fügte Söder hinzu: "Liebe vergeht, Hektar besteht." Die CSU soll nicht nur das Ministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Heimat sowie das Innenministerium übernehmen, sondern auch das Ressort für Forschung, Technologie und Raumfahrt.
Kanzlerwahl nach dem 5. Mai
Die SPD will ihre Parteimitglieder über den Koalitionsvertrag abstimmen lassen. Solche Mitgliederentscheide dauern in der Regel zehn Tage. Aber wegen Ostern könnte sich das diesmal etwas länger hinziehen. Bei der CSU geht es am schnellsten, da soll nur der Parteivorstand abstimmen. Die CDU plant am 28. April einen kleinen Parteitag in Berlin. Friedrich Merz geht davon aus, dass er sich in der Woche darauf im Bundestag zur Wahl stellen und vereidigen lassen kann. Es kursiert auch schon ein konkreter Termin: der 7. Mai, also der Tag vor den Gedenkfeiern zum 80. Jahrestag des Endes des Zweiten Weltkriegs.
Im Video: Bayerns SPD-Chefin Endres im Interview
Im Video: Bayerns SPD-Chefin Endres im BR-Interview zum Koalitionsvertrag
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