Sechseinhalb Wochen nach der Bundestagswahl haben sich Union und SPD auf einen Koalitionsvertrag geeinigt. Die Parteien müssen dem Vertrag noch zustimmen, bevor er unterzeichnet und CDU-Chef Friedrich Merz im Bundestag wohl Anfang Mai zum Kanzler gewählt werden kann. Wer genau als Ministerin oder Minister ins neue Kabinett kommt, soll erst danach verkündet werden. Geplant ist ein neues Ministerium für Digitalisierung und Staatsmodernisierung.
Merz sagte bei der Vorstellung des Koalitionsvertrags in Berlin: "Hinter uns liegt ein hartes Stück Arbeit, aber vor uns liegt ein starker Plan." Deutschland bekomme eine handlungsfähige Bundesregierung, auch Europa könne sich auf Deutschland verlassen. "Wir wissen, was auf dem Spiel steht" betonte Merz. "Wir werden das Land wieder zusammenführen."
CDU bekommt nach fast 60 Jahren erstmals wieder das Außenministerium
Die CDU wird in der neuen Bundesregierung sechs Ressorts besetzen. Dazu kommt der Chef des Kanzleramts, der ebenfalls Ministerrang haben wird. Die SPD stellt die Leitung in sieben und die CSU in drei Ressorts. Erstmals seit fast 60 Jahren wird die CDU wieder das Außenministerium übernehmen. Auch das neue Ministerium für Digitalisierung und Staatsmodernisierung geht an die CDU. Mit Verteidigung, Finanzen sowie Umwelt und Klimaschutz erhält die SPD wichtige Schlüsselressorts.
Merz: "Irreguläre Migration weitgehend beenden"
In der Migrationspolitik werde die neue Regierung die von der Union im Wahlkampf angekündigte Verschärfung durchsetzen, sagte Merz. Sie werde "die irreguläre Migration weitgehend beenden", es werde "Kontrollen an den Staatsgrenzen geben und auch Zurückweisungen gegenüber Asylsuchenden". Wie genau das aussehen soll, ist aber bisher unklar.
Außerdem wollen Union und SPD freiwillige Aufnahmeprogramme soweit wie möglich beenden und keine neuen Programme auflegen. Nach Afghanistan und Syrien wollen die Parteien abschieben, zunächst Straftäter und Gefährder. Die Zahl der Abschiebungen soll generell weiter gesteigert werden. Auch soll die freiwillige Rückkehr gefördert werden.
Die künftige Koalition werde zudem die von der Ampel-Regierung eingeführte Möglichkeit der Schnell-Einbürgerung nach drei Jahren wieder abschaffen. Die frühestmögliche Einbürgerung solle erst nach fünf Jahren wieder möglich sein, sagte Merz.
Bürgergeld soll zu "neuer Grundsicherung" werden
Beim heutigen Bürgergeld planen Union und SPD deutliche Verschärfungen. Das bisherige System soll nach der Einigung von CDU/CSU und Sozialdemokraten auf einen Koalitionsvertrag zu "einer neuen Grundsicherung für Arbeitssuchende" umgestaltet werden. Vermittlung in Arbeit soll bei arbeitsfähigen Menschen Vorrang haben. Neu aus der Ukraine ankommende Geflüchtete sollen anders als bisher kein Bürgergeld mehr erhalten, sondern Leistungen für Asylbewerber.
Rentenniveau soll bei 48 Prozent bleiben
Zudem haben sich Union und SPD vorgenommen, statt des üblichen Acht-Stunden-Tags einen wöchentlichen Rahmen für die Arbeitszeit einzuführen. Das Vorhaben soll in Absprache mit Arbeitgebern und Gewerkschaften ausgestaltet werden. Gute Nachrichten für viele Seniorinnen und Senioren: Das aktuelle Rentenniveau von 48 Prozent soll gesetzlich festgeschrieben werden.
Wirtschaft: Industriestrompreis soll kommen
Die neue Bundesregierung will Maßnahmen ergreifen, um die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft wieder zu stärken. Ab 2028 solle die Körperschaftsteuer in fünf gleichen Schritten um jeweils ein Prozent jährlich sinken. Die Stromsteuer solle "auf das europäische Mindestmaß" reduziert werden, die Netzentgelte sollen "deutlich" sinken. Auch einen Industriestrompreis solle es geben.
Neue Wehrpflicht kommt – "zunächst freiwillig"
Union und SPD wollen mit einem neuen Wehrdienst mehr Soldatinnen und Soldaten für die Bundeswehr gewinnen. "Wir schaffen einen neuen attraktiven Wehrdienst, der zunächst auf Freiwilligkeit basiert", heißt es im Koalitionsvertrag. Geplant ist demnach ein Fragebogen, der allen Männern und Frauen im wehrpflichtigen Alter zugesendet wird und Motivation, Fähigkeiten und Interessen abfragt. Auf dieser Grundlage wird ein Teil der Personen zur Musterung geladen.
Eltern, Pendler und Studenten werden begünstigt
Laut der Einigung können künftige Eltern auf ein höheres Elterngeld hoffen. Die Beträge sollen "spürbar" steigen. Sowohl der Mindestsatz von derzeit 300 Euro als auch der Höchstsatz von 1.800 Euro sollen angehoben werden. Wie hoch die Steigerung künftig ausfallen soll, blieb zunächst unklar.
Auch Pendler sollen nach Angaben von Union und SPD entlastet werden. Die Pendlerpauschale soll demnach ab 2026 bereits vom ersten Kilometer an bei 38 Cent liegen. Mit der Pendlerpauschale lassen sich die Fahrtkosten für den Weg zur Arbeit steuerlich absetzen – und zwar unabhängig davon, mit welchem Verkehrsmittel man unterwegs ist.
Die von der Ampel-Koalition eingeführte Teillegalisierung von Cannabis bleibt vorerst bestehen. Union und SPD einigten sich darauf, dass im Herbst "eine ergebnisoffene Evaluierung" des Gesetzes erfolgt.
Söder: "Signal an das Ausland"
Der Koalitionsvertrag von CSU, CDU und SPD holt Deutschland nach den Worten von CSU-Chef Markus Söder außenpolitisch aus der Defensive. Der Vertrag sei auch ein "Signal an das Ausland, Deutschland ist nicht wehrlos, wir nehmen unser Schicksal selbst in die Hand", sagte Söder. Zugleich sei der Koalitionsvertrag auch ein Zeichen an die Bevölkerung: "Wir kümmern uns um euch."
SPD-Chef Lars Klingbeil sprach von einem Aufbruchssignal, das allerdings auch notwendige Änderungen bedeute. Die aktuelle Lage zwinge dazu, sich "von lieb gewordenen Projekten zu verabschieden" und "zu priorisieren", sagte Klingbeil. Mit Blick auf das Streitthema Migration betonte er, es gehe um ein stärkeres Ordnen und Steuern, aber "das Grundrecht auf Asyl bleibt dabei unantastbar". Auch stehe nicht in Frage, dass Deutschland ein Einwanderungsland bleibe.
Die Verhandlungen zwischen Union und SPD hatten Mitte März begonnen, drei Wochen nach der Bundestagswahl am 23. Februar. Zuvor hatten sich Union und SPD in Sondierungsgesprächen bereits auf ein elfseitiges Eckpunktepapier verständigt, das unter anderem die Lockerung der Schuldenbremse für Verteidigung und ein Sondervermögen von 500 Milliarden Euro für Investitionen vor allem in die Infrastruktur vorsah. Beides wurde vor rund drei Wochen bereits im Bundestag beschlossen.
Mit Informationen von dpa und AFP
Im Audio: Was genau ist ein Koalitionsvertrag?
CDU-Chef Friedrich Merz (vorne l.) mit Co-SPD-Chefin Saskia Esken, dahinter Co-SPD-Chef Lars Klingbeil (SPD) (l.) und CSU-Chef Markus Söder
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