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Kommentar: Es gibt keine Alternative zur Geschichte

Kommentar: Es gibt keine Alternative zur Geschichte

Politiker, die die NS-Zeit abhaken wollen, führen Deutschland in den Ruin. Sie zerstören das Fundament, auf dem die Demokratie entstanden ist. Aus der Geschichte lernen, heißt Deutschland schützen, kommentiert BR-Chefredakteur Christian Nitsche.

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Sie wurden verhaftet, gedemütigt, gefoltert, vergast. Sie starben bei Todesmärschen. Sie wurden erschossen, auch sehr viele Kinder. Ihnen wurde, als sie ins Konzentrationslager gebracht wurden, als erstes gesagt: Hier kommt ihr hinein und dort geht ihr raus. Der Finger des Nazi-Teufels zeigte auf den Schlot. All das ist nicht vergangene Geschichte. Überlebende der KZ erzählen es Gott sei Dank immer wieder, auch heute in Dachau. Das Konzentrationslager wurde vor 80 Jahren befreit.

Aber nie hat Deutschland die menschenverachtende Ideologie der Nazis ganz abstreifen können. Sie wird bis heute immer wieder aktiviert und gepflegt. Und sie wird politisch gezielt verharmlost. 2018 sagte der AfD-Partei- und Fraktionsvorsitzende Alexander Gauland: "Hitler und die Nazis sind nur ein Vogelschiss in über 1.000 Jahren erfolgreicher deutscher Geschichte." Ein Vogelschiss? Wie hört sich das für die an, deren Familien vergast, erschossen und erschlagen wurden, die in grauenhaften Menschenversuchen ermordet wurden, die sich zu Tode schuften mussten und die man absichtlich an Hunger, Krankheiten und Seuchen zugrunde gehen ließ? Wenn man schon die lange Geschichte bemüht: Das war gestern! Unsere Geschichte kann man nicht abhaken. Sie bleibt.

Prüfen wir unsere Haltung

Wenn etwa 40 Prozent der 18- bis 29-Jährigen in einer Umfrage Anfang des Jahres allerdings angeben, nicht gewusst zu haben, dass etwa sechs Millionen Jüdinnen und Juden in der Zeit des Nationalsozialismus ermordet wurden, dann ist das eine ernste Mahnung. Und nicht nur der Geschichtsunterricht scheint zu wenig zu leisten. Sich heute noch bewusst zu erinnern, ist eine Sache der Einstellung. Anlässlich von 80 Jahren Kriegsende ist es auch Sache der Eltern und Großeltern, mit den Kindern über das zu reden, was geschehen ist.

Und die, die bei Wahlen und in Umfragen ihren Protest gegenüber einer Regierung ausdrucken wollen, sollten sich fragen, welchen Weg des Protestes sie gehen wollen? Eine Partei unterstützen, die nun vom Verfassungsschutz insgesamt als rechtsextremistisch eingestuft wird?

Erinnerung an NS-Zeit

Die AfD duldet Faschisten in ihren Reihen. Der AfD-Partei- und -Fraktionsvorsitzende Tino Chrupalla wich am Freitag im ARD-Brennpunkt der Frage aus, warum die AfD Matthias Helferich in ihre Bundestags-Fraktion aufgenommen hat. Ein Mann, der sich selbst als "das freundliche Gesicht des NS" bezeichnet hat. Auch in der Fraktion ist Maximilian Krah, der in einer italienischen Zeitung SS-verharmlosende Aussagen gemacht hatte. Die SS bewachte und führte unter anderem die Konzentrationslager. Eine Organisation von Verbrechern der niederträchtigsten und unmenschlichsten Sorte. Und Björn Höcke, der AfD-Landeschef in Thüringen, droht unverhohlen den Mitarbeitern des Verfassungsschutzes, "am Ende wird es wie immer in der Geschichte heißen: Mitgehangen – mitgefangen". Das erinnert sehr an die NS-Zeit.

Versäumnis demokratischer Parteien

Die AfD hat den Misserfolg der Flüchtlingspolitik der Bundesregierung genutzt, sich als Anwalt der Menschen zu präsentieren. Zwar sagten zur Bundestagswahl 74 Prozent der Deutschen, die AfD distanziere sich nicht genug von rechtsextremen Positionen. Aber 55 Prozent sagten auch, die Partei habe besser als andere Parteien verstanden, dass sich viele Menschen nicht mehr sicher fühlen. Ein Versäumnis demokratischer Parteien, ja. Aber wenn wir anfangen, rechts- oder linksextreme Positionen zu schlucken, wenn wir wegsehen, gehen wir einen extrem gefährlichen Weg.

In den Ruin

Die AfD versucht immer wieder, den Eindruck entstehen zu lassen, sie sei der Retter der Demokratie. Das ist sie beileibe nicht. Wer in seinen Reihen Menschen duldet und schützt, die die deutsche Geschichte verharmlosen, der schützt nicht die Demokratie, die als Lehre aus der Machtergreifung der Nazis und als Konsequenz aus dem Holocaust entstanden ist. Solche Politiker versündigen sich an Deutschland, weil sie in die Gesellschaft eine Saat einbringen, die zurück in die dunkelste Zeit führt. Wir sahen ein zerstörtes Deutschland. Lernen wir daraus. Unser Land hat Millionen Menschen auf dem Gewissen. Vergessen wir das nie! Es gibt keine Alternative zur deutschen Geschichtsschreibung. Und es gibt auch keine andere Alternative für ein sicheres und wohlhabendes Deutschland als: Demokratie. Der Geist, den die AfD durchs Land wehen lässt, ist vergiftet. Er führt in den Ruin.

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