Dicke Bässe wummern durch die Messehalle in Chemnitz. Scheinwerfer werfen rote und weiße Lichtkegel auf die Delegierten, die stehend Beifall klatschen. Nicht zum ersten Mal bei diesem Parteitag der Linken in Chemnitz. Diesmal gilt der Applaus Jan van Aken, einem von zwei Parteivorsitzenden. Der Hamburger hat sich gerade zum Abschluss seiner Rede ein Land gewünscht, "in dem immer Frühling ist". Dafür gab es zwar Lacher, aber van Aken hat es ernst gemeint – in einem übertragenen Sinn. Der 64-Jährige träumt von einem Land, "in dem Hoffnung wächst und nicht Angst".
Heidi Reichinnek: "Verdammt gutes Gefühl"
Damit beschreibt van Aken die Stimmung in Chemnitz ganz gut. Die Zuversicht im Saal ist mit Händen zu greifen. Fraktionschefin Heidi Reichinnek sagt, es sei ein "verdammt gutes Gefühl, endlich mal wieder gewonnen zu haben". Die 8,8 Prozent bei der Bundestagswahl haben der Linken ein neues Selbstbewusstsein verschafft. Damit geht nun ein betont klassenkämpferischer Sound einher. Reichinnek und andere fordern in Chemnitz, den Kapitalismus zu überwinden. "Wenn es radikal ist zu fordern, dass alle Menschen das bekommen, was sie zum Leben brauchen", so Reichinnek, dann sei man eben radikal.
Und für Partei-Co-Chefin Ines Schwerdtner ist klar: "Wir können sehr, sehr viel in der Opposition verändern." Aus ihrer Sicht belegen dies etwa die Vorgänge am vergangenen Dienstag, wie sie im BR24-Interview deutlich macht: Da konnte CDU-Chef Friedrich Merz nur mithilfe der Linken nach seinem Scheitern im ersten Wahlgang noch am gleichen Tag nochmal antreten. Auch für die Zukunft gelte: "Merz kommt an der Linken nicht mehr vorbei". Hintergrund ist, dass beispielsweise auch bei Richterwahlen oder einer Reform der Schuldenbremse eine Zweidrittelmehrheit im Bundestag gebraucht wird.
Linke verzeichnet auch in Bayern deutlich mehr Mitglieder
In Chemnitz treten auch die bayerischen Delegierten selbstbewusst auf. "Die Linke ist in Bayern angekommen", sagt Luke Hoß im BR24-Gespräch. Nach den Worten des Passauer Abgeordneten setzt seine Partei auf Themen, "die die Menschen bewegen". Allen voran sind das aus Sicht der Sozialisten die steigenden Mieten und Lebensmittelpreise. Tatsächlich hat die Linke bei der Bundestagswahl auch in Bayern deutlich zulegen können, wenn auch auf niedrigerem Niveau als bundesweit.
Und auch am bundesweiten Rekord von mehr als 110.000 Mitgliedern hat der bayerische Landesverband seinen Anteil. Allein im Freistaat sind nach Parteiangaben seit dem Jahreswechsel fast 5.000 Genossen dazu gekommen. Damit hat sich ihre Zahl in wenigen Monaten verdoppelt. Der Rosenheimer Abgeordnete Ates Gürpinar erhofft sich von Wahlergebnis und Mitgliederentwicklung deutlichen "Rückenwind" für die Kommunalwahl im nächsten Jahr. Er sieht darin "aber auch eine große Aufgabe" – schließlich müssten die vielen Neuen eingebunden werden.
Linke: Zwischen Klassenkampf und Kampagnenfähigkeit
Helfen soll dabei auch der Leitantrag, der beim Parteitag an diesem Wochenende beschlossen wurde. Ungeachtet des klassenkämpferischen Sounds liest sich der Text streckenweise wie eine Anleitung für professionelles Wahlkampfmanagement. Ob analog an Haustüren und bei Bürgersprechstunden oder digital in Online-Netzwerken: Die Linke will ihre Mitglieder dazu befähigen, Kernbotschaften der Partei wirksam zu verbreiten. Und ihre Abgeordneten möchte sie möglichst dazu verpflichten.
Das Ziel: Die Linke will mit einer Stimme sprechen, den Dauerstreit im Zuge der Abspaltung des Wagenknecht-Lagers endgültig hinter sich lassen. Nach dem Parteitag in Chemnitz sind die Chancen gestiegen, dass das klappen könnte. Der aktuelle ARD-Deutschlandtrend sieht die Sozialisten bundesweit bei zehn Prozent. Ob der neue Tonfall der Linken dabei hilft, dieses Potenzial auszuschöpfen, bleibt allerdings offen.
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